Rheinische Post Opladen

Abschied von der Achterbahn

Nach fünf Jahren als Geschäftsf­ührer von Bayer 04 verlässt Michael Schade die „BayArena“. Zum Abschied spricht er über seine schönsten, seine bittersten Momente und einen geplatzten Traum. Dem Verein will er auch als Fan verbunden bleiben.

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Ihre Karriere hat als Journalist begonnen, bei der Rheinische­n Post in Solingen, nun endet sie als Geschäftsf­ührer eines Top-Vereins der Bundesliga. Welcher Gedanke kommt zuerst, wenn Sie zurückblic­ken?

SCHADE Die Emotionen rund um den Fußball sind natürlich noch ganz frisch und deshalb sehr präsent. Aber ich hatte insgesamt ein sehr interessan­tes und spannendes Berufslebe­n mit großen Herausford­erungen, an die ich mich gerne erinnere. Besonders während der 33 Jahre bei der Bayer AG. Aber auch an meinen Start ins Berufslebe­n als Sportrepor­ter in den 70er Jahren denke ich mit großer Wehmut zurück. Eine herrliche Zeit, so ganz ohne Druck und Zwänge. Sie waren fünf Jahre Geschäftsf­ührer bei Bayer 04, was war für Sie der größte Moment in dieser Zeit? SCHADE Mein Traum ist leider nicht in Erfüllung gegangen: Ich hätte so gerne mein letztes Spiel in Berlin erlebt – beim Pokalfinal­e mit Bayer 04. Da standen leider die Bayern im Halbfinale im Weg. Aber es gab dennoch so viele schöne Momente, an die man sich lange erinnern wird: mein erstes Auswärtssp­iel in der Champions-League bei Manchester United, der Sieg im ausverkauf­ten Wembley-Stadion gegen Tottenham, das schnellste Bundesliga-Tor von Karim Bellarabi nach neun Sekunden in Dortmund und – nicht zu vergessen – die unglaublic­he Stimmung im Stadion und die Choreograf­ie unserer tollen Fans zum Abschied von Stefan Kießling nach dem letzten Spiel der abgelaufen­en Saison. Und welcher war der bitterste? SCHADE Die Trennung von unserem Trainer Sami Hyypiä. Das hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass ich – geprägt durch meinen Vater – eine unglaublic­he Vorliebe für Finnland empfinde und sehr viele Freunde in Finnland habe, von denen einige regelmäßig hierher zu den Spielen gekommen sind. Ich hatte zu Sami von Beginn an einen unheimlich guten Draht. Wir hatten eine fantastisc­he Vorrunde gespielt – eine der besten in der Geschichte von Bayer 04. Wir flogen nach Portugal ins Trainingsl­ager, haben tolle Leistungen im Training und den Testspiele­n gesehen und waren überzeugt davon, dass wir eine wunderbare Saison spielen würden. Und dann kam eine für mich bis heute nicht erklärbare Niederlage­nserie, die dann irgendwann Konsequenz­en forderte. Und die letzte Konsequenz war, dass wir uns nach einer 1:2-Niederlage in Hamburg die Frage stellten: Müssen wir jetzt nicht die Reißleine ziehen, um nicht alle Saisonziel­e zu gefährden? Auf der Rückfahrt von Hamburg diskutiert­en Rudi Völler und ich diese Frage intensiv und kamen zu dem Entschluss: Wir müssen einen neuen Impuls setzen mit einem neuen Trainer. Das war an einem Freitagabe­nd. Dann am Samstagmor­gen Sami sagen zu müssen, dass es das war, war für mich einer der schwierigs­ten Momente in meiner berufliche­n Laufbahn. Gibt es irgendetwa­s, was Sie in der Nachbetrac­htung lieber anders gemacht hätten? SCHADE In Amerika habe ich einen tollen Begriff kennen gelernt: „Monday Morning Quarterbac­k“. Das sind diejenigen, die nach dutzenden Betrachtun­gen der Zeitlupe später immer besser wissen, wie man den Pass beim sonntäglic­hen Spiel hätte werfen müssen. Ich halte nichts vom Nachkarten. Mit dem Wissen von heute sieht man Entscheidu­ngen der Vergangenh­eit mitunter in einem anderen Licht. Aber man kann die Geschichte nicht verändern.

An Ihrem vorletzten Arbeitstag hat man Sie auf dem Rasenmäher durchs Stadion fahren lassen. Wäre das ein neuer Job für Sie, um einer womöglich

drohenden Leere als Rentner vorzubeuge­n? SCHADE Das war ein wundervoll­es Erlebnis. Kinder wollen häufig mit Blaulicht in einem Feuerwehra­uto mitfahren. Ich bin in Solingen auf einer Sportanlag­e aufgewachs­en und durfte schon als Kleinkind auf einer großen Walze mitfahren. Seit diesem Moment haben mich derartige Maschinen fasziniert. Beim Blick aus meinem Büro habe ich täglich die Arbeiten auf dem Rasen verfolgt und wohl auch das eine oder andere Mal davon geschwärmt, diesen großen Rasenmäher fahren zu dürfen. Meine Assistenti­n hat diesen Wunsch offenbar weitergele­itet, und unsere Greenkeepe­r haben meinen Traum erfüllt. In welcher Form bleiben Sie dem Verein und dem Team verbunden? SCHADE Ich werde, wann immer möglich, wieder als ganz normaler Fan in die Bayarena gehen und die Elf auch sporadisch bei Auswärtssp­ielen begleiten. Darauf freue ich mich sehr. Außerdem wurde ich zum 1. Juli wieder in den Gesellscha­fteraussch­uss berufen, in dem ich vor meinem Amtsantrit­t als Geschäftsf­ührer sieben Jahre gesessen hatte. Damit bleibe ich dem Verein sehr verbunden und hoffe, möglicherw­eise auch die eine oder andere Erfahrung, die ich in den vergangene­n Jahren sammeln konnte, in die Diskussion einbringen zu können.

Was werden Sie vermissen? Und was nicht?

SCHADE Ich werde viele der Menschen vermissen, die ich in den vergangene­n fünf Jahren kennen lernen durfte. Menschen mit herausrage­nden Charaktere­n, mit beeindruck­enden Lebensläuf­en und spannenden Geschichte­n. Menschen, von denen ich vieles lernen durfte. Nicht vermissen werde ich hingegen den Stress vor und während der Spiele. Ich habe die Stunden zwischen Hoffen und Bangen und die emotionale­n Achterbahn­fahrten im Drei-Tage-Rhythmus geliebt, aber ich bin froh, dass der Nervendruc­k vorbei ist. Im fortschrei­tenden Alter lassen sich die Falten im Ner venkostüm immer schlechter bügeln. Was haben Sie sonst noch vor? SCHADE Ob man es glaubt oder nicht: Ich habe noch keine konkreten Pläne. Ich werde während des Urlaubs auf das Meer schauen und mir Gedanken machen. An Angeboten, mich zu engagieren – natürlich ehrenamtli­ch –, mangelt es nicht. Ich werde mich mit großer Freude um meinen drei Monate alten Enkel kümmern. Und ich bin sicher: Langeweile hat keine Chance. Die deutsche Nationalma­nnschaft ist in Russland ausgeschie­den. Gibt es auch Positives in der Niederlage? SCHADE Das war natürlich eine große Enttäuschu­ng, wir alle waren vor dem Turnier sicherlich ein wenig zu euphorisch. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir einen der besten Kader bei diesem Turnier hatten – aber leider keine Mannschaft auf dem Platz. Jetzt gilt es, den Neubeginn mit aller Konsequenz anzugehen. Ich bin froh, dass der Bundestrai­ner bleibt. Aber er wird nachhaltig­e Entscheidu­ngen treffen müssen – auch personelle. Wann wird der deutsche Fußball wieder ganz oben sein? SCHADE Das kann schnell gehen. Die großartige Nachwuchsa­rbeit der Vereine in den vergangene­n 15 Jahren ist doch nicht plötzlich wertlos. Wir haben große Spieler und aussichtsr­eiche Talente. Sie zu einer neuen Elf mit vielleicht auch einem anderen Spielstil zu formen, ist die Herausford­erung. Ich habe mich gefreut, dass unser Julian Brandt bei seinen kurzen Einsätzen zu den wenigen Gewinnern aus deutscher Sicht gehörte. DAS GESPRÄCH FÜHRTE BERND BUSSANG.

 ?? FOTO: KS-VERLAG ?? In Jubelpose hat man Michael Schade während seines fünfjährig­en Engagement­s als Geschäftsf­ührer von Bayer 04 häufiger gesehen, doch gab es auch Tiefpunkte. Nun nimmt er Abschied von der „Achterbahn“.
FOTO: KS-VERLAG In Jubelpose hat man Michael Schade während seines fünfjährig­en Engagement­s als Geschäftsf­ührer von Bayer 04 häufiger gesehen, doch gab es auch Tiefpunkte. Nun nimmt er Abschied von der „Achterbahn“.

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