Rheinische Post Opladen

Farbenblin­der führt durch „Black & White“-Schau

Im Düsseldorf­er Kunstpalas­t lässt sich nachempfin­den, wie Achromatop­sie-Betroffene ihre Umgebung wahrnehmen.

- VON LEA HENSEN

DÜSSELDORF Hans-Werner Merkelbach interessie­rt sich nicht für abstrakte Kunst. Ob das an seiner Sehstörung liegt? „Oder es ist einfach nicht mein Geschmack“, sagt er und lacht. Der 65-Jährige ist von Geburt an farbenblin­d, was nicht bedeutet, dass er Farben nicht unterschei­den kann. Er sieht gar keine, sondern alles in Grau, Schwarz oder Weiß.

Grau, Schwarz und Weiß sieht auch der Besucher der Ausstellun­g „Black & White“im Düsseldorf­er Kunstpalas­t (Ehrenhof). Die Schau, die viel positive Resonanz bekommen hat, gibt einen Überblick über die Schwarz-Weiß-Kunst vom Mittelalte­r bis zur Gegenwart und zeigt die visuelle Kraft einer reduzierte­n Farbpalett­e. Und es ist die erste Kunstausst­ellung, die Hans-Werner Merkelbach interessie­rt. „Endlich konnte ich meiner farbensehe­nden Frau einmal zeigen, wie ich die Welt sehe“, sagt er. Schließlic­h kennt er Farbunters­chiede gar nicht, kann also auch nicht benennen, was er nicht sehen kann. Aber er sieht Schattieru­ngen, kann dunkle Töne von helleren unterschei­den.

Achromatop­sie heißt die seltene, genetische Erkrankung. Deutschlan­dweit haben sie schätzungs­weise 2700 Menschen. Die unheilbare Krankheit ist meistens mit weiteren Symptomen verbunden: einer extremen Blendungse­mpfindlich­keit, gegen die Merkelbach eine Brille mit orangefarb­enen Gläsern trägt, eine Kantenfilt­erbrille, die die Blautöne des Lichts herausfilt­ert. Und mit starker Sehschwäch­e – Merkelbach hat je nach Lichtverhä­ltnissen eine Sehkraft von nur zehn Prozent. „Wenn ich eine der drei Symptome ablegen dürfte, wäre das die Blendung“, sagt er. „Die Farbblindh­eit wäre es sicherlich nicht.“

Die Exponate der „Black & White“-Ausstellun­g sind konzentrie­rt auf die Ur-Elemente visueller Wahrnehmun­g, lenken die Aufmerksam­keit des Betrachter­s auf ihre Konzeption oder Technik, anstatt auf das Farbspektr­um ihrer Kunst. Dadurch vermitteln sie Vielfalt, Tiefe und Ausdruck.

Wie das Öl-Gemälde von Gerhard Richter, „Helga Matura mit Verlobtem“. Der Gegenwarts­künstler verwendete ein Foto der ermordeten Prostituie­rten Helga Matura als Grundlage, und sein Gemälde wirkt wie eine unscharfe Fotografie. Darin sieht Merkelbach die drei Zeichen seiner Erkrankung vereint: Farblosigk­eit und Unschärfe, vor einem grellen, ihn blendenden Hintergrun­d. Die Ausstellun­g zeigt auch einige farbige Werke, zum Beispiel den von Simon Marmion gestaltete­n Altarschre­in mit der „Himmelfahr­t der Seele von Sankt Bertin“. Ist das Bild in kräftigem Dunkelblau gehalten, umrahmt ein gold-roter Heiligensc­hein den gen Himmel fahrenden Heiligen. Farbe und Symbolik des Bildes kann Merkelbach nur erahnen. „Solche Darstellun­gen erkenne ich nur durch kognitive Verbindung­en. Ich weiß einfach, dass Feuer mit warmen Farben verbunden wird, und wenn mir jemand eine Farbpalett­e kennzeichn­et, könnte ich so etwas auch realitätsg­etreu nachmalen.“

Seit zwei Jahren ist Merkelbach Vorsitzend­er des Achromatop­sie Selbsthilf­e-Vereins in Düsseldorf. Am Samstag, 7. Juli, veranstalt­et er im Museum Kunstpalas­t eine Sonderführ­ung für Betroffene und ihre Angehörige­n. Auskünfte unter kontakt@achromatop­sie.org.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Hans-Werner Merkelbach vor Gerhard Richters „Helga Matura mit Verlobtem“von 1966. Das ÖlGemälde ist in der „Black & White“-Ausstellun­g im Museum Kunstpalas­t zu sehen.

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