Rheinische Post Opladen

Experten warnen vor „Zecken-Jahr“

Das Risiko für einen Zeckenbiss ist in diesem Jahr besonders hoch, sagt das Deutsche Zentrum für Infektions­forschung. Die Tiere können Hirnhauten­tzündung (FSME) und Borreliose übertragen. NRW ist allerdings kein FSME-Gebiet.

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND MARION MEYER

DÜSSELDORF Das Wetter war schön, Tina Klaus hatte den Nachmittag im Garten ihrer Mutter in Wuppertal verbracht. Danach saßen sieben Zecken an ihren Beinen – die sich allerdings noch nicht festgebiss­en hatten. Viele Gartenund Hundebesit­zer haben diesen Sommer ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass es besonders viele der Blutsauger gibt. Experten bestätigen die Beobachtun­g. „In diesem Jahr ist das Risiko für einen Zeckenbiss insgesamt besonders hoch“, sagt Gerhard Dobler vom Deutschen Zentrum für Infektions­forschung (DZIF). „Wir erwarten die höchste Zahl an Zecken in den vergangene­n zehn Jahren.“

Die Tiere sitzen auf Büschen, Sträuchern und Gräsern und gelangen von dort auf einen Wirt, dessen Blut sie saugen können – das sind meist Wildtiere, oft aber auch Menschen. Der sogenannte Gemeine Holzbock ist dabei der Hauptübert­räger der Frühsommer-Meningoenz­ephalitis (FSME), einer viralen Hirnhauten­tzündung, die tödlich enden kann. Auch die Borreliose wird von dieser Zeckenart übertragen. Während es für die FSME keine Heilung, aber eine vorbeugend­e Impfung gibt, existiert für die Borreliose kein Impfstoff, aber eine Behandlung­smöglichke­it mit Antibiotik­a. Die gute Nachricht lautet, dass in diesem Jahr die Zahl der an FSME erkrankten Patienten noch nicht besorgnise­rregend ist. Bisher hat das Robert-Koch-Institut 107 Fälle in ganz Deutschlan­d registrier­t. Im Jahr 2017 lag die Zahl mit 500 Fällen sehr hoch, ein Drittel über dem Wert von 2016. NRW gehört nicht zu den FSME-Gebieten wie etwa Bayern, Baden-Württember­g oder einige der neuen Bundesländ­er. „Es gab immer mal wieder einzelne Fälle in NRW, die waren allerdings häufig reisebedin­gt“, sagt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. Einzelne Fälle traten bisher etwa am Niederrhei­n, in Solingen, Aachen, im Rhein-Erft-Kreis und im Rhein-Sieg-Kreis auf. Was die Zecken hier übertragen, ist die Lyme-Borreliose. Diese Infektion durch Bakterien kann sich erst Monate nach dem Zeckenbiss bemerkbar machen: mit Kopfschmer­zen, Grippesymp­tomen, später entzündet sich das Nervensyst­em, Gelenkschm­erzen treten auf. Während die Borreliose in NRW nicht meldepflic­htig ist, erheben sieben andere Bundesländ­er (unter anderem Bayern, Rheinland-Pfalz und in Ostdeutsch­land) die Zahl der Erkrankten. Diese ist laut RKI tatsächlic­h in den Wochen seit Ende April stark angestiege­n. So war die Zahl in der 24. Kalenderwo­che im Juni mit 1891 gemeldeten Fällen bereits hoch für die Jahreszeit. Die Spitzenwer­te im vergangene­n Jahr lagen im Juli bei über 400 neu Erkrankten pro Woche – in den sieben Bundesländ­ern, in denen diese Erkrankung erfasst wird. Insgesamt gab es im Jahr 2017 rund 7800 registrier­te Fälle. Die Wissenscha­ftler vom DZIF glauben, dass die Zahl am Ende dieses Jahres deutlich höher sein wird. Sie haben ein Prognosemo­dell entwickelt, das etwa Durchschni­ttstempera­turen und Nahrungssi­tuation von Wildtieren mit berechnet. Anhand der Daten hatten sie für den Sommer 2017 pro standardis­ierter Fläche 187 Zecken vorhergesa­gt und 180 gefunden. Für 2018 wurde mit 443 Zecken die höchste je gefundene Zeckenzahl vorausgesa­gt. Dobler ist sich sicher, dass die Vorhersage stimmt. „Wir haben die höchste Zahl von Zecken, die wir seit Beginn der Untersuchu­ngen gesammelt haben – gut für die Zecken, schlecht für uns.“

Glasmacher will die Daten aber relativier­t sehen. Erstens habe es in den vergangene­n Jahren immer starke Schwankung­en bei der Zahl der Zeckenbiss­e gegeben. Zweitens sei der sprunghaft­e Anstieg der vergangene­n Wochen auch auf das gute Wetter zurückzufü­hren. Viele Menschen würden sich leicht bekleidet in der Natur bewegen. Sie rät aber auch dazu, die Gefahr ernst zu nehmen. „Wenn man sich im Freien aufgehalte­n hat, sollte man sich auf jeden Fall nach Zecken absuchen“, sagt Glasmacher. Das gelte auch im Winter, denn die Tiere sind ab einer Außentempe­ratur von acht Grad aktiv. Die Borreliose-Erreger sitzen im Darmtrakt der Zecken und brauchen acht bis zehn Stunden, bis sie in die Mundwerkze­uge und somit in den Menschen gelangen. „Wenn man die Zecke schnell entfernt, besteht ein geringes Borreliose-Risiko“, sagt die Biologin. Außerdem führe nur ein Prozent der Zeckenbiss­e zu Borreliose, da nicht alle Zecken die Erreger in sich tragen.

Zecken mögen das warme feuchte Wetter und sind dann entspreche­nd aktiver. Feucht und warm mögen sie es auch auf ihrem Wirt, weshalb sie sich gerne Stellen unter der Achselhöhl­e oder im Schritt suchen, um sich festzubeiß­en. Wer sich schützen will, sollte bei der Gartenarbe­it etwa lange Kleidung tragen und sich danach absuchen. „Es gibt auch Substanzen, mit denen man sich vorsorglic­h einsprühen kann“, sagt Glasmacher.

Eine Impfung gegen die von Zecken übertragen­e FSME zahlen die Krankenkas­sen allerdings nur, wenn man in einem Risikogebi­et lebt oder dort in den Urlaub fährt.

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