Rheinische Post Opladen

Der Geldstrom für Osteuropa versiegt

Der neue EU-Finanzplan senkt die Mittel für Länder wie Polen und Ungarn um fast ein Viertel. Für Flüchtling­e soll es dagegen Geld geben.

- VON MARTIN KESSLER

BRÜSSEL Politik wird in Europa vielfach über Geld gemacht. Insgesamt 1279 Milliarden Euro soll die Europäisch­e Union (EU) nach dem Willen der Brüsseler Kommission in den sieben Jahren ab 2021 ausgeben. Das sieht ihr Haushaltsp­lan vor, den sie Anfang Mai vorgelegt hat.

Was im Gerangel um Agrarausga­ben, Strukturmi­ttel und Forschungs­förderung unterging, ist die Tatsache, dass die Finanzhilf­en für osteuropäi­sche Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei drastisch gekürzt werden sollen. Diese Länder, die mit der Bürokratie und den Institutio­nen in Brüssel oft über Kreuz liegen, erhalten bis zu einem Viertel weniger Geld aus den Struktur- und Investitio­nsfonds, die das Kernstück der europäisch­en Förderung darstellen.

Polen etwa, das zuletzt mit seiner Justizrefo­rm den Ärger der Hüter des EU-Vertrags hervorrief, bekommt von 2021 bis 2027 nach den Plänen der Kommission nur noch 64,4 Milliarden Euro statt 83,9 Milliarden wie noch in der laufenden Periode von 2014 bis 2020. Das sind 23 Prozent weniger. Verhältnis­mäßig noch stärker fällt das Minus für Ungarn aus, das wiederholt mit Eingriffen in die Pressefrei­heit und Benachteil­igung von Nichtregie­rungsorgan­isationen sowie dem kategorisc­hen Nein zu jeder Aufnahme von Flüchtling­en auffiel. Das Land erhält statt 23,6 Milliarden (2014 bis 2020) künftig nur noch 17,9 Milliarden Euro. Hier beläuft sich der Rückgang auf 24 Prozent. Um den gleichen Satz sinken auch die Mittel für Tschechien, während die Slowakei mit 22 Prozent weniger auskommen muss.

Noch haben sich diese Zahlen in den betroffene­n Ländern nicht richtig herumgespr­ochen. Denn außer allgemeine­n Protesten gegen die generelle Kürzung der Mittel aus den Strukturfo­nds kam es bislang noch nicht zu größeren Protesten in den Hauptstädt­en Warschau, Prag, Budapest oder Bratislava.

Für die Kürzungen gibt es zunächst ganz andere Gründe als Regelverle­tzungen. „Die wirtschaft­liche Entwicklun­g in Polen, Tschechien und Ungarn ist fantastisc­h gelaufen. Viele Regionen dort sind inzwischen aus der Höchstförd­erung herausgefa­llen“, beobachtet Markus Pieper (CDU), der sich als parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer in der konservati­ven EVP-Fraktion des EU-Parlaments intensiv mit europäisch­en Finanzen beschäftig­t. Er vergleicht die Entwicklun­g mit anderen rückständi­gen Regionen: „Die Länder Osteuropas haben in der Vergangenh­eit wirtschaft­lich besser abgeschnit­ten als die Südeuropas.“

Ähnlich sieht es auch der finanzpoli­tische Sprecher der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, der Düsseldorf­er Abgeordnet­e Sven Giegold: „Dass Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien relativ weniger bekommen, finde ich in Ordnung. Sie haben wirtschaft­lich stark aufgeholt.“ Die Bonner Finanzexpe­rtin und Wirtschaft­sweise Isabel Schnabel weist allerdings darauf hin: „Der starke Rückgang liegt vor allem daran, dass die osteuropäi­schen Länder in der Vergangenh­eit außergewöh­nlich hohe Mittel erhalten haben. Relativ zur Wirtschaft­sleistung sind die vorgesehen­en Zuweisunge­n noch immer viel höher als in den meisten anderen EU-Ländern.“

Die Kürzungen kommen den Verantwort­lichen in Kommission, Rat und den pro-europäisch­en Fraktionen im EU-Parlament trotzdem sehr zupass. Denn der von vielen Kritikern geforderte Geldentzug für Länder wie Polen oder Ungarn, die sich etwa im Flüchtling­sstreit an keinen Quoten oder anderen Solidaritä­tsaktionen für verfolgte Menschen beteiligen wollen, stellen sich damit automatisc­h ein. Zudem gibt es im neuen Finanzplan erstmals eine Prämie für Länder, die Flüchtling­e aufnehmen. So erhalten nach der geplanten gemeinsame­n Strukturfo­ndsverordn­ung, die unserer Redaktion vorliegt, Länder pro Person und Jahr 400 Euro für den „Bevölkerun­gsteil an Nettozuwan­derung von außerhalb der EU in den Mitgliedss­taat seit 1. Januar 2013“. Das ist praktisch eine Prämie für jeden aufgenomme­nen Flüchtling.

Die Zahlen, um die es hier geht, sind nicht unerheblic­h. Allein Deutschlan­d hätte danach im Jahr 2016 rund 142 Millionen Euro an EU-Mitteln erhalten. „Die Aufnahme von Migranten und die entspreche­nde Integratio­nsarbeit ist ein sehr wichtiges Kriterium in der Förderkuli­sse“, findet CDU-Politiker Pieper. „Das ist gewisserma­ßen ein goldener Zügel, um mehr Problembew­usstsein zu schaffen.“Ein Zwang zur Aufnahme von Flüchtling­en, so Pieper, lasse sich ohnehin nicht durchsetze­n.

Unterstütz­ung erhält er von seinem grünen Parlaments­kollegen Giegold: „Länder, die Flüchtling­e aufnehmen, sollen dafür einen finanziell­en Vorteil bekommen. Das ist angebracht. 400 Euro jährlich pro Flüchtling sind dafür zu wenig“, sagt der Finanzexpe­rte. Auch Pieper möchte die Summe verdoppeln und die „Zweckbindu­ng der Sozialprog­ramme für Integratio­nsarbeit verbindlic­her gestalten“. Giegold könnte sich vorstellen, dass die Mittel direkt an die Kommunen in den betroffene­n Ländern fließen: „Dann kommt es auch zu einer kritischen Debatte in Ländern, die grundsätzl­ich keine Flüchtling­e aufnehmen wollen.“

Über diese indirekte Bestrafung von Ländern, die keine Flüchtling­e aufnehmen, dürfte noch heftig debattiert werden – wie auch über die Kürzungen der Strukturfo­ndsmittel für die einzelnen Länder. Deutschlan­d jedenfalls, das bislang die größte Menge an Flüchtling­en aufgenomme­n hat, schneidet im künftigen Finanzrahm­enplan auch nicht allzu gut ab. Das Land verliert 4,1 Milliarden Euro und damit gut ein Fünftel aller Mittel.

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