Rheinische Post Opladen

EU sieht Londons weichen Brexit kritisch

Theresa May hat ihr Kabinett auf einen Kompromiss eingeschwo­ren: Beim Handel mit Waren soll es weiterhin eine Freihandel­szone geben. Das geht den Hardlinern in ihrer Partei zu weit, der EU nicht weit genug.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Theresa May hat ihr Kabinett auf eine gemeinsame Linie beim Brexit eingeschwo­ren. Der britischen Premiermin­isterin gelang es, ihre über den EU-Austritt zerstritte­ne Ministerri­ege bei einer Klausurtag­ung auf dem Landsitz Chequers auf einen „dritten Weg“zu verpflicht­en. Großbritan­nien will eine Freihandel­szone mit der EU aushandeln, in der Güter und Waren nach den bisherigen Regeln und Bestimmung­en gehandelt werden. Es soll die Freiheit bekommen, bilaterale Handelsabk­ommen abzuschlie­ßen und eigene Zölle festzusetz­en. Das Prinzip der Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit soll nicht mehr gelten, jedoch durch ein „Mobilitäts­abkommen“ ersetzt werden. Die Vorschläge laufen auf einen Brexit hinaus, der weicher ausfällt, als es Mays bisherige rote Linien nahegelegt haben.

Nach zwei Jahren internen Streits hat sich die britische Regierung jetzt auf eine Marschrich­tung geeinigt das ist die gute Nachricht. Theresa May unterstric­h in einem Brief an ihre Parteifreu­nde, dass die Zeit des Dissens vorbei ist. Ihre Minister hätten in der Vergangenh­eit ihre individuel­len Sichtweise­n beim Brexit ausgedrück­t, schrieb sie. Die Vereinbaru­ng jetzt stelle die kollektive Verantwort­ung wieder her. Soll wohl heißen: Ab sofort gilt Kabinettsd­isziplin. Wer öffentlich ausschert, muss gehen.

Noch in dieser Woche sollen die Vorschläge detaillier­t vorgestell­t werden. Das Problem der irischen Grenze war bisher der größte Streitpunk­t, die EU besteht darauf, dass es zu keiner harten Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland kommt. Eine Freihandel­szone für Güter, die Kontrollpo­sten überflüssi­g macht, könnte das Problem lösen. Auch Unternehme­n, die auf eine rasche Abfertigun­g in Häfen wie Dover angewiesen sind, dürften aufatmen. Für den Güterverke­hr will London weiter das EU-Regelwerk akzeptiere­n, verbleibt also de facto im Binnenmark­t. Doch beim Dienstleis­tungssekto­r, der fast 80 Prozent des Sozialprod­ukts ausmacht, will Großbritan­nien künftig eigenen Regeln folgen. Zugleich will Großbritan­nien auch bei Waren eigene Freihandel­sabkommen mit Drittstaat­en schließen.

Entspreche­nd gemischt fallen die Reaktionen aus. Brexit-Hardlinern wie dem ehemaligen Ukip-Chef Nigel Farage gehen Mays Pläne zu weit, er sprach von einem „Ausverkauf an globale Unternehme­n“. Der Anführer der Brexiteers im Unterhaus, Jacob Rees-Mogg, sprach von einemVerra­tamWähler.Seitensder Wirtschaft kam Zustimmung. „Ein echter Vertrauens­schub“, sagte Carolyn Fairbairn, Direktorin des britischen Industrie-Verbands. Auch der Verband der deutschen Maschinenb­auer (VDMA) reagierte positiv.

Der EU sind die Brexit-Vorschläge dagegen zu selektiv. „Wir werden die Vorschläge überprüfen, um zu sehen, ob sie umsetzbar und realistisc­h sind“, sagte EU-Chefunterh­ändler Michael Barnier. Der CDU-Europapoli­tiker Elmar Brok äußerte sich skeptisch, ob Brüssel Londons Plan akzeptiert: Eine Mitgliedsc­haft im Binnenmark­t nur für Waren widerspräc­he dem EU-Grundsatz, Freiheit für Waren, Dienstleis­tungen, Menschen und Kapital zu gewähren.

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FOTO: IMAGO Theresa May und ihr Mann Philip beim Kirchgang am Sonntag. May hat ihr Kabinett zuvor auf einen gemeinsame­n Kurs verpflicht­et.

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