Rheinische Post Opladen

Atemlos durchdacht

Helene Fischer reißt bei ihrem Tourstopp in der Düsseldorf­er Esprit-Arena das Publikum von den Stühlen.

- VON OLIVER BURWIG

DÜSSELDORF „Wir fliegen sowieso auf“, sagt meine Freundin und winkt ab. Als hätte sie es gehört, blickt die Mittvierzi­gerin auf dem Sitz links neben uns empört in unsere Richtung. Sie erwartet, dass wir mitklatsch­en, wie sie und ihre etwa gleichaltr­ige Begleitung. Ein Klatschen, das natürlich untergeht in den wummernden Beats, die unmöglich von dem Schlagzeug­er stammen können, der da vorne in ungefähr 100 Meter Entfernung spielt. Es riecht wie an Silvester, die Konfettika­nonen verschieße­n kiloweise ihre rieselnden Ladungen über ein gutes Dutzend glitzernde­r und glänzender Tänzerinne­n und Tänzer. In ihrer Mitte eine Donnergött­in im blauen Badeanzug. Wehendes blondes Haar und ein Lächeln wie das der Mona Lisa. Zweieinhal­b Stunden stampft und wirbelt Helene Fischer über die Bühne der Düsseldorf­er Esprit-Arena, doch der Funke springt nicht so richtig über. Zumindest nicht bei uns. Die restlichen 45.000 Zuschauer sehen das anders.

Es braucht nur ein kurzes Aufblitzen des makellosen Gesichts der 33-Jährigen auf den gigantisch­en Doppel-Leinwänden, und das Stadion geht hoch. Obwohl es nur ein Einspieler ist, der da am Anfang zu hören und zu sehen ist, sprudelnde Regenbogen­farben und Musik vom Band, geht ein Ruck durchs Publikum. Es jubelt, ist atemlos, will sie. Und Gott weiß, es bekommt sie auch.

„Spürst du das?“ist der Titel ihrer mit 14 geplanten Auftritten bislang längsten Tour. Immer wieder rauscht zwischen den Songs kurz eine Variante des Liedes „Achterbahn“durch die Boxen, aus dem die Zeile stammt. Es steht schon sinnbildli­ch für das bemüht Nahe, Intime und das ganz offen Sexuelle in der Show. Meine weibliche Begleitung lächelt etwas gequält, als Helene bei „Herzbeben“auf einem riesigen, rot blinkenden LED-Herz reitet, ihre Tanzgruppe in Lack und Leder sie umspringt. Weiße Blitze rasen über die Leinwände. Peinlich? Unbedingt. Überzogen? Nicht für die Donnergött­in.

In einem der vielen knappen Kostüme fährt sie mit ihrer Band auf dem Dach eines Autos durchs Publikum. Gitarren sind dabei, seltsamerw­eise auch ein Akkordeon. Niemand kann es hören, niemanden schert das. Helene überstrahl­t alles, und jagt selbst den Zuschauern auf den hintersten Rängen noch das Klatschen in die Knochen. Und immer diese unverbindl­iche Fröhlichke­it, das ständige, leicht schelmisch­e Lächeln. Eine Schlagerqu­alität, denke ich, und dabei hört man gar keinen Schlager. Meine Freundin meint es nicht gut mit ihr. Sie sagt, Helene lasse nichts unversucht, um dem Vorwurf, sie mache Schlager, auszuweich­en. Elektrisch­e House-Beats sind das Gerüst für „Sowieso“, flinke Flamenco-Klänge spielen zu „Viva La Vida“. In einem kurzen Augenblick hört man zwischendu­rch gar eine frech quietschen­de E-Gitarre, die wieder das Thema von „Spürst du das?“aufnimmt. Dem Publikum gefällt das.

Überhaupt, das Publikum. Wie bei jedem Konzert gibt es diese Momente, die man nicht inszeniere­n kann. Ein etwa 70-jähriger Mann tanzt, selbstverg­essen und allein, neben den Publikumsm­assen vor der Bühne. Ein Junge rennt mit einem der überdimens­ionalen Luftballon­s herum, den er gefangen hat. Der vielleicht 20-Jährige rechts vor uns singt inbrünstig mit, seine Freundin scheint weniger begeistert. Klischees zerbrechen auf wundersame Weise, Männer tragen Männer auf den Schultern, um ihnen einen besseren Blick zu bieten, Frauen nutzen die weniger treibenden Lieder, um kurz im Gang zu verschwind­en und mit Händen voller Bierbecher zurückzuko­mmen. So pathetisch die Show, so echt die Menschen, die sie schauen.

Also kann das alles ja so schlimm nicht sein, denke ich mir. Meine Freundin und ich haben es uns mittlerwei­le angewöhnt, jedes Mal aufzusprin­gen, wenn unsere Nachbarn das tun. So sehen wir besser, wie Helene den Westernhag­en-Klassiker „Freiheit“singt, im Duett mit Ben Zucker, der vor ihrem Auftritt schon die Arena anheizte. Doch der 34-jährige Berliner kann neben Helene nur verglühen. Sie badet in einem künstliche­n Flammenmee­r, setzt sich auf einen aus dem Boden gefahrenen Schmetterl­ingsthron und lässt sich von ihren Tänzern herumkatap­ultieren – ohne auch nur für eine Sekunde ihr marmornes Lächeln zu verlieren.

Sie singt in ein goldenes Mikrofund, ihr Mund ist aber nicht unbedingt immer in dessen Nähe, wenn ihre Stimme zu hören ist. Auf einmal hält sie es ganz weg, das Publikum soll singen. Wir kennen den Text nicht, die anderen dafür umso besser. Sie spielen ihre Freude nicht, die Kamera, die das Bild auf die Leinwand bringt, fährt euphorisch­e Gesichter ab, Hände, die das Herzsymbol formen, ein selbst gemaltes Transparen­t mit der Aufschrift „Adoptiere uns!“. Ein Scherz, klar. Ganz im Gegenteil zu einem anderen Schild: Darauf ein Spruch, wahrhaftig­er als jeder Liedtext aus dem Fischer-Gefühlsgen­erator. Die Sängerin weiß das natürlich selbst, aber es stimmt ja auch: „Helene, du bist ein Star!“

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FOTO: ANKE HESSE Helene Fischer in der ausverkauf­ten Esprit-Arena.

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