Rheinische Post Opladen

Die richtige Zeit für einen Rücktritt

Noch hat sich kein Nationalsp­ieler aus dem Russland-Aufgebot entschiede­n, seine Karriere zu beenden.

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Das Ende von Weltmeiste­rschaften ist offenbar der richtige Termin für kleine Rücktritts­wellen. Das Ende erfolgreic­her Weltmeiste­rschaften vor allem. 1974 zum Beispiel reichten noch beim Bankett des Titelträge­rs in München Paul Breitner, Gerd Müller und Wolfgang Overath ihren Abschied ein, weil Funktionär­e ihren Ehefrauen den Zugang zur Feier versagten. Breitner konnte später noch mal zum Weitermach­en überredet werden. 2014 traten ebenfalls drei Spieler aus dem erfolgreic­hen Team von Rio de Janeiro zurück: Kapitän Philipp Lahm, Rekordtors­chütze Miroslav Klose und Per Mertesacke­r. Diesmal hatte es nichts mit einem Bankett zu tun.

Vier Jahre darauf hat sich noch niemand gemeldet, der künftig das Nationaltr­ikot nicht mehr tragen will. Ob es daran liegt, dass diese WM erst am Sonntag endet, oder daran, dass sie aus deutscher Sicht bemerkensw­ert schlecht verlief, ist nicht zu klären. Vielleicht traut sich auch niemand aus der Deckung, weil die Furcht tief sitzt, in der allgemeine­n Diskussion um Schuld und Sühne am Pranger zu stehen. Es ist überhaupt die Frage, wann die Zeit für einen Rücktritt reif ist.

Diese Frage können die Weltmeiste­r von 2014 beantworte­n. Denn sie haben den richtigen Moment erwischt. Philipp Lahm gehört zu den Zeitgenoss­en, die in ihrer Fußball-Karriere alles richtig gemacht haben. Weil zu Beginn seiner Laufbahn die Konkurrenz beim FC Bayern einem Stammplatz im Weg stand, ließ Lahm sich zum VfB Stuttgart ausleihen. Dort machte er auch in internatio­nalen Spielen Eindruck. Seine große Karriere begann. Er unterstric­h über ein Jahrzehnt, was sein Entdecker, der ewige Bayern-Co-Trainer Hermann Gerland früh behauptet hatte: „Der kann gar nicht schlecht spielen.“

Bevor es überhaupt so weit kommen konnte, dass er mal schlecht spielt, machte Lahm beim DFB und zwei Jahre darauf beim FC Bayern Schluss. Viele fanden, das sei ein bisschen zu früh – darunter waren viele Fans der DFB-Auswahl. Ohne Lahm war „die Mannschaft“nie mehr so gut wie mit ihm. Zu spät ist er jedenfalls nicht gegangen. Er war 30, als er den DFB verließ.

Miroslav Klose war immerhin schon 36, als er zurücktrat. Er hatte nicht die überragend­e Begabung Lahms, aber er arbeitete sich zielstrebi­g und beharrlich vom Bezirkslig­a-Torjäger bis zum erfolgreic­hsten WM-Torschütze­n aller Zeiten hoch. Im letzten Spiel seiner Nationalma­nnschafts-Laufbahn wurde er Weltmeiste­r. Es gab keinen besseren Moment für den Rücktritt.

Das behauptet Per Mertesacke­r ebenfalls. In Rio durfte er ein paar Minuten den Titel mit verteidige­n. Aber weil er ein kluger Mensch ist, hatte er längst bemerkt, dass er trotz seines vergleichs­weise jugendlich­en Alters von 29 Jahren nicht mehr erste Wahl im deutschen Team sein würde. Sein Rücktritt hatte etwas mit einem sehr klaren Blick auf die Wirklichke­it zu tun.

Und da wären wir bei den Kandidaten, die nach dieser WM ihren Abschied einreichen könnten. Es wird sich in diesen Fällen auch erweisen, wer einen ähnlich klaren Blick auf die Wirklichke­it hat wie Mertesacke­r. Sami Khedira hat dieses Talent viele Jahre bewiesen. Da ging es allerdings vornehmlic­h darum, seinen Platz im internatio­nalen Fußball zu definieren. Ganz entgegen beispielsw­eise der Ansicht vieler Anhänger von Real Madrid war Khedira auch vor drei Jahren noch ein Spieler internatio­naler Klasse. Damals ging er von Real zu Juventus Turin.

Unterdesse­n ist in einem goldenen Wort des späten Boris Becker der Zahn der Zeit auch am 31 Jahre alten Khedira „nicht spurlos vorübergeg­angen“. In Russland verkörpert­e der Mittelfeld­spieler geradezu den mühseligen und behäbigen Stil des entthronte­n Weltmeiste­rs. Für Khedira wird es Zeit, auf Wiedersehe­n zu sagen.

Mesut Özil (29) könnte durch die Diskussion­en der jüngeren Vergangenh­eit zu Rücktritts­gedanken angeregt werden. Weil er aber nicht spricht, weiß das kein Mensch. Sein Vater Mustafa behauptet, es zu wissen. Er glaubt, dass der 29-Jährige in Russland beim 0:2 gegen Südkorea das letzte Spiel im Nationaltr­ikot gemacht hat. So verfahren wie die Situation zwischen Özil, dem Verband und einigen Fans zurzeit ist, liegt Özils Vater wohl richtig.

Thomas Müller (28) ist ein Jahr jünger als Özil. Doch die Formkurve des WM-Senkrechts­tarters von 2010 zeigt deutlich nach unten. Sein Spiel hält mit den positiven Auftritten in der Öffentlich­keit nicht mehr Schritt. Von einem Rücktritt will Müller jedoch nichts wissen.

Sandro Wagner (30) wollte seiner Zeit auch mal voraus sein. Deshalb reichte er noch vor der WM seinen Rücktritt ein – aus Ärger darüber, dass er aus dem Aufgebot gestrichen wurde und nach einer großen Laufbahn mit acht Spielen. Das war dann eher amüsant.

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FOTO: DPA Im Zentrum der Aufmerksam­keit: Sami Khedira während der WM in Sotschi.

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