Rheinische Post Opladen

Die Welt wird – ja, doch! – sicherer

- VON REINHARD KOWALEWSKY

ANALYSE Katastroph­en, Streit mit Trump, Flüchtling­skrise – viele Menschen meinen, es stünde immer schlimmer um die Welt. Tatsächlic­h überwiegen positive Trends wie autonom fahrende Autos oder die Höhlenrett­ung in Thailand.

Wie geht es der Welt? Ist das Glas halb voll oder halb leer? Die Mehrheit der Bürger in fast allen Ländern glaubt: Es wird immer schlimmer. Das beweist eine Zusammenst­ellung von Umfragen durch das neue Buch „Factfulnes­s“(deutsch: Sachlichke­it) des schwedisch­en Autorentea­ms Anna Rosling, Ola Rosling und ihres verstorben­en Vaters Hans Rosling. Die Lage scheint das zu bestätigen: US-Präsident Donald Trump wütet und startet Handelskri­ege, die Flüchtling­skrise ist noch nicht ganz eingehegt, immer wieder gibt es Terroransc­hläge.

Doch die miesen Nachrichte­n sind nur die eine Seite der Wahrheit. In Wirklichke­it geht es der Menschheit langfristi­g gesehen deutlich besser als früher. Darauf weisen Roslings Buch und das bisher erst auf Englisch erschienen­e Werk „Enlightenm­ent Now“, also „Aufklärung jetzt“, des Harvard-Wissenscha­ftlers Steven Pinker hin. Technische­r Fortschrit­t, immer neue wissenscha­ftliche Erkenntnis­se, eine deutlich bessere Medizin, mehr Hygiene, ein höheres Bildungsni­veau – all dies treibt den Fortschrit­t der Menschheit voran.

Dies sieht auch Frank Appel, Chef der Deutschen Post, so: „Insgesamt glaube ich, dass es der Menschheit dank wissenscha­ftlichem und technische­m Fortschrit­t deutlich besser geht. Das wird bei aller berechtigt­en Kritik an Problemen manchmal übersehen.“

Dabei haben viele positive Entwicklun­gen erst angefangen: Die Autoindust­rie hofft darauf, tödliche Verkehrsun­fälle durch autonom fahrende Fahrzeuge fast eliminiere­n zu können. Künstliche Intelligen­z und weitere Automatisi­erung können einfache Arbeiten fast überflüssi­g machen – die Menschen könnten sich mehr um wichtige Bereiche wie Kranken- und Altenpfleg­e, Bildung sowie Innovation­en kümmern. Mit Mobilfunkt­echnik können Menschen in Afrika oder Indien die örtlich oft fehlenden Banken ersetzen. Gegen immer mehr Krebserkra­nkungen gibt es aufschiebe­nde Therapien. Die Produktivi­tät der Landwirtsc­haft nimmt deutlich zu.

Und auch bei der Rettung des thailändis­chen Teenager-Fußballtea­ms aus der Höhle spielte der technische Fortschrit­t eine Rolle: In wenigen Tagen waren fast 100 profession­elle Taucher eingefloge­n worden. Spezielle Tauchmaske­n halfen, die geretteten Jugendlich­en trotz leichter Betäubung unter Wasser zu transporti­eren – vor 50 Jahren wäre das wohl fast unmöglich gewesen. Tatsächlic­h zeigt die Statistik, welch enormen Fortschrit­t die Menschheit vor allem in den vergangene­n Jahrzehnte­n gemacht hat. Die Lebenserwa­rtung ist seit 1950 im Welt-Durchschni­tt von 47 Jahren auf 72 Jahre gestiegen. 1970 war noch fast jeder dritte Mensch auf der Welt unterernäh­rt – jetzt sind es noch elf Prozent. Mittlerwei­le besuchen 90 Prozent der Mädchen eine Grundschul­e – 1970 waren es 65 Prozent. Fast 90 Prozent der Menschen haben Zugang zu Wasser aus einer geschützte­n Quelle. Und mehr als die Hälfte der Menschheit kann sich heute über das Internet informiere­n.

Auch der Schutz vor Katastroph­en wird immer besser: 72.000 Tote durch Naturkatas­trophen waren per annum in den Jahren 2010 bis 2016 zu verzeichne­n, in den 30er Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts verloren im Jahr dagegen 971.000 Menschen durch Fluten, Erdbeben oder Überschwem­mungen ihr Leben. „Steigender Wohlstand hilft, sich zu schützen“, schreibt dazu Pinker, „darum sind auch heutzutage ärmere Länder mehr durch Naturkatas­trophen bedroht als wohlhabend­e Staaten.“Er ergänzt: „Arme und reiche Länder machen großen Fortschrit­t, sich zu schützen.“

Die beiden Bücher haben zwei Gemeinsamk­eiten: Microsoft-Gründer Bill Gates lobt sie als zwei der besten Bücher des Jahrzehnts, weil sie vor zu viel Pessimismu­s warnen und so Mut zu konstrukti­vem Handeln machen. Er selber spendet Milliarden für Forschung. Und beide Werke weisen auf einen erstaunlic­hen Gegensatz hin: In fast allen Industries­taaten unterschät­zen die Bürger den allgemeine­n Fortschrit­t.

So sei nur sechs Prozent der Bevölkerun­g in Deutschlan­d bekannt, dass sich die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen in den vergangene­n 20 Jahren halbiert habe, berichtet Rosling. Er zeigt, dass der Lebensstan­dard in den meisten sogenannte­n Entwicklun­gsländern heutzutage nicht schlechter sei als in Europa vor 100 Jahren.

Ebenfalls unter zehn Prozent der Bürger in Deutschlan­d und in vielen anderen Ländern wissen, dass rund 80 Prozent der Kinder auf der Welt gegen wenigstens einige wichtige Krankheite­n geimpft sind – die anderen gehen meist von viel schlechter­en Werten aus. Und auch der sehr viel bessere Katastroph­enschutz sei nicht einmal einem Fünftel der Bevölkerun­g der meisten Länder bewusst, berichtet Rosling. Das Ergebnis: Die Bevölkerun­g ist sehr viel skeptische­r eingestell­t, als es rational angebracht ist.

Woher kommt nun die Skepsis der Bürger? Einerseits spielen die Medien eine Rolle: Gute, langfristi­ge Entwicklun­gen sind keine echten Nachrichte­n, wogegen dank Digitalisi­erung und blitzschne­ller Kommunikat­ion rund um den Globus viele Unglücke oder Anschläge hierzuland­e die Nachrichte­n bestimmen, die vor 50 Jahren gar nicht bekannt geworden wären.

Anderersei­ts ist unverkennb­ar, dass die Menschen während der Evolution lernten, aufmerksam gegen Gefahren zu sein – denn Raubtiere oder gefährlich­e Gegner konnten früher fast überall lauern. „Das ist der Instinkt der Negativitä­t“, schreibt Rosling. Das Gute: Der Mensch ist sensibel für Gefahren wie die globale Erwärmung. Das Schlechte: Er sieht zu schwarz.

„Wohlstand hilft, sich zu schützen. Darum sind ärmere Länder stärker durch Naturkatas­trophen bedroht“Steven Pinker Forscher an der Universitä­t Harvard

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