„Wir müssen Leben in die Mann-Villa tragen“
Der Schauspieler Burghart Klaußner hat seinen ersten Roman verfasst. Er heißt „Vor dem Anfang“und erscheint im September.
HAMBURG Gerade ist Burghart Klaußner zurück aus Los Angeles. Er war dabei, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dort die Thomas-Mann-Villa eröffnet hat und gehört zu den ersten, die am Pazifik leben, arbeiten und Kulturbotschafter sein werden. Eigentlich hatte er gleich in der Villa bleiben sollen und sich dafür spielfreie Zeit verschafft. Doch die Bauarbeiten in dem eleganten Haus am Hang konnten nicht rechtzeitig beendet werden. Nun wird Klaußner erst im Herbst 2019 in den Räumen leben, in denen Thomas Mann sein Exil verbrachte. Schreiben wird er dort auch. Klaußner ist nicht nur Film-, Theaterschauspieler und Sänger, sondern hat gerade seinen ersten Roman vollendet, „Vor dem Anfang“, eine Geschichte aus den katastrophalen letzten Stunden des Zweiten Weltkriegs. Hat die Thomas-Mann-Villa eine besondere Aura? Klaußner Eher nein. Diese Aura ist wegretouschiert worden. Das ist ein sehr schönes, lichtes – wie der Bundespräsident gesagt hat – „weißes Haus“, großartig gelegen, aber noch wirkt es etwas steril. Es muss wieder neu mit Leben gefüllt werden. Natürlich wird an allen Ecken und Enden versucht, in dem Haus an die Geschichte zu erinnern, etwa durch die Bücher in der Bibliothek. Aber am Ende wird zählen, was wir Lebenden nun Neues in das Haus hineintragen. Das ist eine tolle Chance. Wer kann schon von sich sagen: Ich mache die Geschichte. Was haben Sie an den ersten Tagen in der Villa erlebt? Klaußner Bei der Eröffnung mit Bundespräsident Steinmeier habe ich ein wenig gesungen, an einem Abend eine englische Fassung meines ersten Romans gelesen und dann haben wir in der benachbarten Villa Aurora, in der Lion Feuchtwanger gelebt hat, einen Filmabend mit „Der Staat gegen Fritz Bauer“gegeben. Da waren interessierte Leute aus der Nachbarschaft, Menschen aus dem universitären und dem Kunstumfeld, denen haben wir auch erklärt, was wir eigentlich vorhaben als „Fellows“in der Thomas-Mann-Villa. Was haben Sie denn vor? Klaußner Es geht um Austausch zwischen Künstlern und Wissenschaftlern aus Deutschland und den USA. Dafür ist das Haus ein idealer Ort, denn in Kalifornien will einfach jeder sein. Bei den ersten Begegnungen war etwa davon die Rede, dass Europa so tiefschürfend sei. Die Amerikaner haben uns aber in Sachen Freundlichkeit viel voraus. Man zeigt einander dort mehr Wertschätzung, die Amerikaner wissen gar nicht um diesen Schatz. Wie sind Sie Fellow geworden? Klaußner Ich habe das selbst angeregt. Ich kenne die benachbarte Villa Aurora von den Empfängen, die dort immer im Vorfeld der Oscar-Verleihung gegeben werden. Als dann bekannt wurde, dass Steinmeier in der Nähe die Mann-Villa erhalten wollte, habe ich mich sofort im Auswärtigen Amt gemeldet. Ich fand das ein tolles Aufbruchsziel und wollte mich gern beteiligen. Hat Sie das Mann-Haus auch gereizt, weil Sie jetzt selbst schreiben? Klaußner Ich bin ja Debütant. Ich wusste am Anfang gar nicht, wie viel Abgeschiedenheit ich zum Schreiben brauchen würde, ob ein Klosteraufenthalt nötig sein würde oder ob die Thomas-Mann-Villa genügt. (lacht) Denn das Schwierigste beim Schreiben ist das Anfangen. Man darf eben nicht immer nur davon reden, dass man schreiben will, man muss es tun. Genau wie man nicht nur sagen sollte, dass man den Abwasch machen will, man muss es tun. Nur braucht man zum Abwaschen kaum Talent. Klaußner Ja, um Talent geht es wohl auch. Aber ich mache das alles, spielen, singen, schreiben, weil ich es gern tue. Ich hab’ Lust dazu! Ich möchte nun mal nicht so gern im Bergwerk in Ketten arbeiten, sondern lieber frei gewählte Tätigkeiten ausüben. Zum Glück fand sich ein gewisser Anklang beim Publikum, so dass ich davon leben kann. Also: Glück gehört auch dazu. Aber vor allem darf man sich nicht scheuen. Und das fällt in angelsächsischen Ländern leichter als in Deutschland. Das Komplizierte denken und das Leichte tun, um diese Kunst wusste schon Goethe. Was stand am Anfang Ihres Schreibens? Klaußner Eine in dürren Sätzen erzählte Anekdote meines Vaters, der nie Soldat war, aber in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges gezogen wurde und in eine Situation geriet, in der man ihn erschießen wollte. Ich habe schon immer gedacht, dass man aus dieser Geschichte mal etwas machen müsste, wollte aber nicht biografisch vorgehen. Und dann habe ich gefunden, dass man auch einen Roman schreiben kann. Ich habe meine Geschichte im Untertitel eine „Anekdote aus dem letzten preußischen Krieg“genannt in Analogie zu Kleist. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg gab’s kein Preußen mehr. Ich komme ja aus Berlin und habe mich seit Jahrzehnten damit beschäftigt, wie die Menschen die Apokalypse dort überleben konnten. In meiner Geschichte kulminiert alles am Wannsee, wo ich als Kind oft gewesen bin. Ich habe mich immer gefragt, wie an Orten größter Privatheit, am Badesee, die größte Katastrophe geschehen konnte. Was es bedeutet, wenn ein Strandbad und das Ende eines Weltkriegs aufeinandertreffen. Die große Weltgeschichte trifft auf kleines Leben, was hat Sie daran gereizt? Klaußner Wir leben seit 70 Jahren in Frieden, das ist außergewöhnlich. Wahrscheinlich werden die Generationen nach uns wieder Krieg erleben. Schon jetzt kann man sich fragen, ob die Migrantenströme, die wir gerade erleben und das Auseinanderbrechen von Regierungen, von Europa, Anzeichen eines kommenden Krieges sind. Solche Fragen treiben mich um. Wie viel Kloster brauchen Sie denn zum Schreiben? Klaußner (lacht) Ich könnte nicht im Kaffeehaus schreiben, aber Kloster brauch’ ich auch nicht. Eine wichtige Erfahrung für mich war, dass Schreiben beweglich ist, dass ich es mitnehmen kann, wenn ich als Schauspieler unterwegs bin. Außerdem habe ich gefunden, dass das gedruckte Bild von Sprache auf einem Computerbildschirm naturgemäß Gesetzeskraft hat. Das Geschriebene tritt einem mit einer gewissen Gewalt entgegen, mit Ausdrucksmacht. Das Handschriftliche ist sehr intim und fragil. Darum habe ich sehr bald nur am PC geschrieben, weil es mich so gefesselt hat, dass meine Geschichte dann so dastand – und stimmen wollte. Das Gedruckte will stimmen, es will Gesetz sein, wie in Erz gegossen. Sie haben viele Hörbücher eingesprochen. So gibt es den Effekt, dass man Sie sprechen hört, wenn man ihr Buch liest. Haben Sie beim Schreiben laut gesprochen? Klaußner Nein, das nicht. Aber tatsächlich ist mir der Klang beim Schreiben sehr wichtig, nur hör ich den auch beim stillen Überlesen. Allerdings wird es mein Buch auch als Hörbuch geben – von mir selbst gelesen.