Rheinische Post Opladen

Die Politik holt sich die WM zurück

- VON ROBERT PETERS

Vier Wochen waren Fanfeste, Sport und fröhliche Atmosphäre das Thema. Nun betreten wieder Politiker die Bühne.

MOSKAU/DÜSSELDORF Emmanuel Macron war schon da. Und Kolinda Grabar-Kitarovic natürlich auch. Die kroatische Präsidenti­n trug sogar das Trikot ihrer Nationalma­nnschaft. Ihr französisc­her Amtsbruder erschien im Maßanzug. Beide werden am Sonntag zum Finale wiederkomm­en. Denn Fußball-Weltmeiste­rschaften sind eine schöne Bühne für Politiker – selbst wenn sich die besonders korrekten unter ihnen mit der WM in Russland vor ein paar Wochen noch sehr schwer getan haben.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel wird vielleicht ganz froh sein, dass sie sich die fröhliche Personalit­y-Show auf der Ehrentribü­ne nicht antun muss. Und sie muss sich nicht rechtferti­gen für die Verbeugung vor Wladimir Putin und einem Regime, das mit den Menschenre­chten einen sehr eigenen Umgang pflegt, das in der Ostukraine Krieg führt und die Krim völkerrech­tswidrig annektiert hat. Sie hat zwar den Forderunge­n nach einem politische­n Boykott der WM, wie sie vor dem Turnier Konjunktur hatten, nie das Wort geredet. Aber vorsichtig­e Distanz zur Veranstalt­ung nahm die deutsche Regierungs­chefin schon ein.

Andere haben da weniger Berührungs­ängste. Macron kennt sie nicht, Grabar-Kitavoric nicht, das belgische Königspaar Mathilde und Philippe nicht und der saudische Prinz Mohammed Bin Salman Al Saud schon gar nicht. Sie alle waren Gäste auf der Ehrentribü­ne und fanden nichts dabei. Bevor sie in der Heimat für zu viel Nähe kritisiert werden konnten, verwiesen sie vielleicht darauf, dass Putin im Stadion nicht zu sehen war.

Bislang überlässt der russische Präsident seinen Statthalte­rn die Bühne. Wenn die Fernsehkam­eras auf die Sitzplätze der Reichen, Wichtigen und Schönen schwenken, ist meist Ministerpr­äsident Dmitri Medwedew im Bild. Den Vordergrun­d sucht er nicht.

Den beherrscht Fifa-Präsident Gianni Infantino. Das entspricht ganz sicher seinem Selbstvers­tändnis. Und Berührungs­ängste mit der großen russischen Politik sind ihm selbstvers­tändlich fremd. „Russland wird die beste Weltmeiste­rschaft aller Zeiten veranstalt­en“, sagte er noch vor dem ersten Spiel. Anschließe­nd fiel er Putin auf einer Bühne um den Hals.

Es ist ziemlich wahrschein­lich, dass sich der Fifa-Präsident mit dem russischen Präsidente­n am Sonntag vor dem Finale erneut in die Arme fallen darf. Denn es ist anzunehmen, dass Putin den Höhepunkt der Veranstalt­ung mit seiner Anwesenhei­t veredeln möchte. Schließlic­h geht es auch darum, den Ruhm abzuholen. Russland organisier­te eine perfekte WM, die Fans sorgten für ein richtiges Fest. Und niemand bemerkte so recht, dass im Hintergrun­d eine halbe Million Sicherheit­skräfte die befürchtet­en Begegnunge­n von Hooligans, allzu viel Fannähe zu den Fußballern oder Terror-Anschläge verhindert­e. Den Lorbeer dafür wird sich Putin winden lassen.

Auch das ist ein Zeichen dafür, dass die Politik sich des Themas WM wieder bemächtigt. Sie holt sich die Veranstalt­ung auf der Zielgerade­n wieder zurück. Vier Wochen hat der Sport tatsächlic­h im Vordergrun­d gestanden, die fröhliche Atmosphäre in den Städten und bei den Fanfesten, die zumindest vorübergeh­ende Beseitigun­g von Vorurteile­n bei den Besuchern über die Russen und bei den Russen über die Besucher. Man ist sich näher gekommen. Aber auch das wird Putin für sich reklamiere­n.

Ebenso sicher, wie Russlands Regierung sich die vielen positiven Effekte der WM gutschreib­en lassen wird, werden die kritischen Stimmen aus dem Ausland in den letzten Tagen der Veranstalt­ung wieder lauter. Es scheint so, als kehre neben der sportliche­n auch die politische Welt aus einem vier Wochen langen Ausnahmezu­stand in die Wirklichke­it zurück.

Menschenre­chte werden, zum Glück, wieder ein Thema. Es wird ziemlich sicher sehr genau hingeschau­t, ob das öffentlich­e Leben zum Beispiel in Moskau auch nur ähnlich frei wirkt, wenn die Fußballfan­s aus Mexiko, Frankreich, Kroatien und England wieder nach Hause geflogen sind. Und ganz bestimmt werden die vielen negativen Begleitums­tände der Vor-WM-Zeit wieder ein Thema. Auch das ist ein Glück.

Bis heute sind nämlich die Umstände nicht ausreichen­d erforscht, unter denen die Fifa sich für die Vergabe der WM nach Russland entschied. Bis heute ist der Verdacht nicht ausgeräumt, dass beim Bau der Arena in St. Petersburg nordkorean­ische Arbeiter wie Sklaven behandelt wurden. Es ist immer noch nicht ausgeschlo­ssen, sondern sogar sehr wahrschein­lich, dass beim 900 Millionen Euro teuren Bau in St. Petersburg Geld in dunklen Kanälen verschwand. Und die Frage, wie viel Korruption eine Rolle spielte, als zehn Milliarden Euro in Stadionbau und Infrastruk­tur flossen, ist natürlich auch nicht beantworte­t. Es ist zu befürchten, dass die Antwort ausbleibt.

Putins Russland hat kein Interesse daran. Er hat sein Ziel erreicht, sich der Welt mit einem fröhlichen Sportfest vorzustell­en. Peinliche Nachfragen stören da nur.

Peinliche Fragen wird die Fifa auf keinen Fall stellen. Sie benötigt die Einnahmen aus der WM – rund zwei Milliarden Euro werden es sein. Deshalb darf man wohl davon ausgehen, dass Infantino am Wochenende erneut in Lobgesänge für den Ausrichter ausbrechen wird. Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), hat das vor vier Jahren nach den Winterspie­len von Sotschi vorgemacht. Bach hat sich fürs Finale übrigens ebenfalls angesagt.

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FOTO: DPA Kolinda Grabar-Kitarovic, Gianni Infantino und Dmitri Medwedew.
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FOTO: DPA Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron jubelt – neben Infantino (l.).
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FOTO: REUTERS Abklatsche­n mit einem Kumpel: Gianni Infantino und Russlands Präsident Wladimir Putin.
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FOTO: AP Das belgische Königspaar Mathilde und Philippe mit Fifa-Präsident Gianni Infantino.
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FOTO: IMAGO Mohammed Bin Salman Al Saud und Gianni Infantino

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