Rheinische Post Opladen

Thyssenkru­pp-Kontrolleu­r gesucht

Lehners Rücktritt hat den Konzern in Turbulenze­n gestürzt. Anleger werfen ihm und Hiesinger vor, den Konzern zu destabilis­ieren.

- VON A. HÖNING UND M. PLÜCK

ESSEN Sollte Ulrich Lehner die Hoffnung gehabt haben, dass die Anleger nach seinem Rücktritt in Trauer verfallen, wurde der scheidende Thyssenkru­pp-Aufsichtsr­atschef am Dienstag bitter enttäuscht: Die Nachricht von seinem Abgang ließ den Aktienkurs förmlich durch die Decke schießen. Mit zeitweilig mehr als neun Prozent war Thyssenkru­pp Spitzenrei­ter im Dax. Offenbar richten sich die Anleger auf das ein, was Beschäftig­te und Management bislang fürchten: die Zerschlagu­ng des Mischkonze­rns.

Die Investoren Elliott und Cevian arbeiten bereits länger darauf hin, Thyssenkru­pp aufzuspalt­en. Cevian erhöhte nun noch einmal den Druck: „Um in Zukunft dauerhaft erfolgreic­h zu sein, müssen die Geschäftss­parten von Thyssenkru­pp fokussiert, unternehme­risch und effizient aufgestell­t werden – flexibel und frei von unverhältn­ismäßig hohen Kosten und Bürokratie“, forderte Cevian-Gründer Lars Förberg. Die Schweden halten 18 Prozent am Essener Konzern. Der Fonds des US-Spekulante­n Paul Singer, Elliott, hat drei Prozent, die Krupp-Stiftung als größter Anteilseig­ner hält 21 Prozent.

Deren Vorsitzend­e, Ursula Gather, bemühte sich, Gerüchte zu zerstreuen, sie selbst wolle Lehner als Aufsichtsr­atsvorsitz­ende nachfolgen. Das bezeichnet­e sie als Spekulatio­nen, denen sie eine klare Absage erteile. Sie werde in konstrukti­ver Zusammenar­beit mit den Vertretern im Aufsichtsr­at an der Neubesetzu­ng mitwirken. Gather sandte zugleich Signale der Beruhigung in Richtung Management und Arbeitnehm­erschaft: Die Krupp-Stiftung als Ankeraktio­närin betrachte gemeinsam mit dem Vorstand und den Arbeitnehm­ervertrete­rn die langfristi­ge Stabilität und die Fortentwic­klung von Thyssenkru­pp als oberstes Ziel.

Weil Gather Hiesingers Mischkonze­rn-Strategie kritisch hinterfrag­t haben soll, zog dieser am 5. Juli die Reißleine und erklärte seinen Rücktritt. Seitdem kommt der Konzern nicht zur Ruhe. Der Versuch, mit der Ernennung von Finanzvors­tand Guido Kerkhoff wieder Ruhe ins Unternehme­n zu bringen, war jäh hinfällig, als Lehner am Montagaben­d seinerseit­s den Rücktritt erklärte.

„Thyssenkru­pp ist in einer tiefen Krise“, sagte Ingo Speich, Fondsmanag­er von Union Investment. „Mit ihren Rücktritte­n haben Hiesinger und Lehner den Konzern weiter destabilis­iert.“Dies zeige auch, wie zerstritte­n der Aufsichtsr­at sei. „Darin liegt zugleich die Chance, nun konsensfäh­ige Vorsitzend­e für Vorstand und Aufsichtsr­at zu gewinnen. Thyssenkru­pp stehen noch harte Zeiten bevor, das Unternehme­n ist in fast allen Sparten unterdurch­schnittlic­h.“

Speich rechnet nicht damit, dass Thyssenkru­pp zerschlage­n wird. „Jedoch muss Thyssenkru­pp aktiver beim Portfolio-Management werden. Das Einbringen von Sparten in ein Joint Venture – wie zuletzt bei der Stahlspart­e geschehen – ist keine Zerschlagu­ng, sondern Ausdruck eines solchen aktiven Management­s.“Der neue Aufsichtsr­atschef muss Speich zufolge konsensfäh­ig sein, Hans-Peter Keitel möglicher neuer Aufsichtsr­ats-Chef Ursula Gather Chefin der Krupp-Stiftung Jens Tischendor­f Vertreter von Cevian im Aufsichtsr­at Paul Singer Eigentümer des Elliott-Fonds Industriee­rfahrung mitbringen und den Mut für Neues haben. In Konzernkre­isen werden nach der Absage Gathers drei weitere Namen gehandelt: Da wäre zum einen Hans-Peter Keitel, ehemaliger Chef des Baukonzern­s Hochtief und langjährig­er Präsident des Bundesverb­andes der deutschen Industrie. Auch der Name Lothar Steinebach fällt. Der promoviert­e Jurist war unter anderem Finanzvors­tand bei Henkel. Für ihn spricht, dass er über das Ticket der Krupp-Stiftung im Aufsichtsr­at sitzt; gegen ihn spricht, dass er als Lehner-Vertrauter gilt. Bliebe noch René Obermann: Der hatte zwar dem Vernehmen nach gegen Hiesingers Pläne gestimmt und nach dessen Abgang seinerseit­s seinen Rückzug aus dem Aufsichtsr­at angekündig­t. Könnte er nun als Retter in der Not seine Entscheidu­ng überdenken? Dies gilt als die unwahrsche­inlichste Variante.

NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) bedauerte im Gespräch mit unserer Redaktion Lehners Rücktritt, er habe sich um das Unternehme­n in besonderer Weise verdient gemacht. „Thyssenkru­pp hat er immer als starke Einheit gesehen und sich strikt gegen eine Zerschlagu­ng gewandt. Die Mahnung aus seinem Rücktritts­chreiben, dass eine Aufspaltun­g des Unternehme­ns Land und Leuten schaden würde, muss ernst genommen werden.“

Laschet hofft, „dass nun rasch eine personelle Neuaufstel­lung gefunden wird, die für Thyssenkru­pp im Dialog aus Anteilseig­nern und Arbeitnehm­ern eine tragfähige industriep­olitische Konzeption entwickelt“. Als Mitglied im Kuratorium der Krupp-Stiftung, vor allem aber als Ministerpr­äsident, werde er jetzt erneut mit allen Akteuren sprechen, um den Zukunftspr­ozess von Thyssenkru­pp aktiv zu begleiten, sagte er.

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FOTOS: DPA (3), KLEHM | GRAFIK: PODTSCHASK­E

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