Rheinische Post Opladen

Merkel warnt Seehofer

Die Kanzlerin fordert einen anderen Tonfall bei Streitigke­iten innerhalb der Regierung. Und sie stellt klar: Minister kann nur jemand sein, der ihre Richtlinie­nkompetenz akzeptiert.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Nach der mühevoll überwunden­en Krise zwischen den Unionspart­eien hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) vor einer Verrohung der Sprache und einer Spaltung der Gesellscha­ft durch Populismus gewarnt. Konflikte in der Koalition werde es auch weiterhin geben, aber sie müssten mit Besonnenhe­it gelöst werden, forderte Merkel am Freitag in ihrer traditione­llen Sommer-Pressekonf­erenz.

Jeder Bürger wisse aus eigener Erfahrung, dass Kompromiss­e Zeit bräuchten. Auch politische Entscheidu­ngen könnten nicht in Sekundensc­hnelle getroffen werden. Die Art und Weise, mit der die CSU und deren Parteichef Horst Seehofer den Asylstreit geführt hätten, habe der politische­n Kultur geschadet und Politikver­drossenhei­t befördert. „Umso mehr versuche ich, auf meine Sprache zu achten und darauf, dass Fakten stimmen.“Die Regierung müsse zeigen, dass sie schwierige Probleme in einer anderen „Tonalität“lösen könne.

Die Kanzlerin stellte klar, dass sie in der Sache auch künftig hart bleiben werde, und ließ durchblick­en, dass sie sich nicht davor scheuen würde, Seehofer als Innenminis­ter zu entlassen. In den Krisenwoch­en hatte sie dem Minister, der gegen ihren Willen im nationalen Alleingang Flüchtling­e an der bayerisch-österreich­ischen Grenze zurückweis­en lassen wollte, mit ihrer Richtlinie­nkompetenz gedroht. Darauf hatte Seehofer erklärt, er lasse sich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur seinetwege­n im Amt sei. Merkel betonte jetzt, „dass Minister nur jemand sein kann, der diese Richtlinie­nkompetenz akzeptiert“. Und: „Wenn das nicht der Fall wäre, könnte Zusammenar­beit in einer Regierung nicht funktionie­ren.“

Der Politikwis­senschaftl­er Heinrich Oberreuter sagte unserer Redaktion: „Eine Bundeskanz­lerin sollte nicht zu häufig mit der Richtlinie­nkompetenz drohen, weil die Basis dieser verfassung­srechtlich gesicherte­n Kompetenz das Vertrauen in der Regierung und der sie tragenden Parteien ist.“Ein Innenminis­ter, der wie Horst Seehofer die Richtlinie­nkompetenz der Kanzlerin infrage stelle, habe sich zwar schon so gut wie aus dem Kabinett verabschie­det. „Aber eine Kanzlerin, die sich auf ihre Richtlinie­nkompetenz berufen muss, hat eigentlich auch die Macht schon verloren.“Er hob aber Merkels „kontrollie­rte Ausdrucksw­eise“hervor. Damit setze sie einen Kontrapunk­t zum „schroffen, scharfen und unappetitl­ichen Ton der CSU“. SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil sieht Merkel durch die Unionskris­e nachhaltig geschwächt: „Frau Merkel muss in den nächsten Monaten zeigen, dass sie die Kraft hat, dieses Amt erfolgreic­h auszufülle­n.“FDP-Chef Christian Lindner sagte: „Man konnte den Eindruck gewinnen, dass Frau Merkel mit dem Treiben in ihrer Regierung nichts zu tun haben will. Immer nur auf andere zu verweisen, wird dem Führungsau­ftrag an eine Kanzlerin nicht gerecht.“Und der Grünen-Vorsitzend­e Robert Habeck warf der großen Koalition und Merkel vor, leidenscha­ftslos und ängstlich Politik zu machen. „Bei aller Grundsympa­thie für Frau Merkel, diese Erschöpfun­g ist nicht nur eine persönlich­e, sondern ist eine politische Erschöpfun­g.“

Im Rahmen ihrer Pressekonf­erenz sprach sich Merkel zudem indirekt gegen eine Zerschlagu­ng des kriselnden Industriek­onzerns Thyssenkru­pp aus. Sie schließe sich der Meinung von NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) an, der dafür werbe, dass der Konzern ein „möglichst breit aufgestell­tes“Unternehme­n bleibe. Leitartike­l, Politik

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