Rheinische Post Opladen

Abschiebun­g mit Folgen

- VON KIRSTEN BIALDIGA

ANALYSE Warum NRW-Flüchtling­sminister Joachim Stamp (FDP) den tunesische­n Gefährder Sami A. so schnell wie möglich loswerden wollte – und welche Fragen in der Sondersitz­ung des Landtages offen blieben.

Der Minister bleibt ruhig. Gerade hat SPD-Fraktionsv­ize Sven Wolf damit gedroht, ihn anzuzeigen. Er hat Joachim Stamp (FDP) Rechtsbruc­h vorgeworfe­n, das Auslösen einer Verfassung­skrise, Missachtun­g der Gewaltente­ilung und ganz am Ende auch noch Selbstjust­iz. Doch der nordrhein-westfälisc­he Flüchtling­sminister bleibt gelassen: „Sie haben ja schon den Bundesinne­nminister angezeigt, dann können Sie mich auch noch anzeigen“, erwidert er.

Stamp kennt die Situation nur zu gut. Er weiß, welche Fragen eine Opposition stellt, um eine Sache aufzukläre­n. Und er weiß, welche Fragen eine Opposition stellt, um vor allem politische­s Kapital aus einer Sache zu schlagen. Der Fall des abgeschobe­nen tunesische­n Gefährders Sami A. bietet in beiderlei Hinsicht genug Angriffsfl­ächen.

SPD und Grüne fordern an diesem Freitag im Landtag Aufklärung vom Minister. Sie wollen wissen, wie es passieren konnte, dass Sami A. nach Tunesien abgeschobe­n werden konnte. Obwohl das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen kurz zuvor in einem Eilbeschlu­ss entschiede­n hatte, dass er wegen Foltergefa­hr in Deutschlan­d bleiben müsse. Dieser Beschluss wurde jedoch erst am Freitagmor­gen übermittel­t, als das Flugzeug mit A. bereits unterwegs war.

Dem hält der Minister das entgegen, was jeder Politiker nur einmal aufs Spiel setzen kann: seine persönlich­e Glaubwürdi­gkeit. Er habe alles darangeset­zt, dass die Übergabe von Sami A. an die tunesische­n Behörden völlig rechtskonf­orm stattfinde­n konnte. „Dafür übernehme ich die volle Verantwort­ung“, sagt Stamp.

Stamp, zugleich auch stellvertr­etender Ministerpr­äsident, fährt in der Sitzung des Rechts- und des Integratio­nsausschus­ses eine mehrgleisi­ge Strategie. Sehr ausführlic­h legt er dar, wie gefährlich Sami A. sei. In den Jahren 1999 und 2000 soll er eine militärisc­he Ausbildung erhalten und der Leibgarde von Osama bin Laden angehört haben. Das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster habe es 2015 als erwiesen angesehen, dass von ihm eine akute Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit ausgehe. Die Opfer des IS-Attentats auf dem Berliner Weihnachts­markt habe Sami A. als „verdiente Strafe“bezeichnet, so Stamp. Gegenüber einer Zeugin habe der Islamist gesagt, Deutschlan­d werde Blut weinen, wenn er ausgewiese­n werde. Als Sami A. zuletzt in der Abschiebeh­aftanstalt Büren auf seine Rückführun­g nach Tunesien wartete, gab es laut Stamp viele Besuchsanf­ragen aus extremisti­schen Kreisen. Detaillier­t schildert der Minister diese Zusammenhä­nge, und sein Subtext dabei lautet: Im Ergebnis ist es doch richtig, dass Sami A. außer Landes ist.

Doch um diese Frage geht es im Landtag gar nicht. Sondern darum, ob die Abschiebun­g rechtens war oder ob im Eifer, den Gefährder so schnell wie möglich abzuschieb­en – oder, wie Stamp es nennt, „zügig und diskret“– gegen einen Gerichtsbe­schluss und damit gegen rechtsstaa­tliche Prinzipien verstoßen wurde. Dabei steht eine Frage im Mittelpunk­t. Im Landtag stellt sie der Rechtsexpe­rte der Grünen, Stefan Engstfeld: „Die große Frage ist: Warum wusste das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen nichts von der bevorstehe­nden Abschiebun­g?“Dazu müsse die Kommunikat­ion zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) und dem NRW-Ministeriu­m für Kinder, Familie, Flüchtling­e und Integratio­n (MKFFI) näher beleuchtet werden: „Hat das MKFFI dem Bamf nicht gesagt, dass ein Charterflu­g zur Abschiebun­g bestellt war? Oder hat das MKFFI es dem Bamf gesagt, und das Bamf hat das gegenüber dem Gericht weggelasse­n?“

Stamp antwortet darauf so: „Wir haben die Bundespoli­zei eingebunde­n, zur Einbindung des Bamf waren

„Dafür übernehme ich die volle Verantwort­ung“

Joachim Stamp (FDP) NRW-Flüchtling­sminister

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