Abschiebung mit Folgen
ANALYSE Warum NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) den tunesischen Gefährder Sami A. so schnell wie möglich loswerden wollte – und welche Fragen in der Sondersitzung des Landtages offen blieben.
Der Minister bleibt ruhig. Gerade hat SPD-Fraktionsvize Sven Wolf damit gedroht, ihn anzuzeigen. Er hat Joachim Stamp (FDP) Rechtsbruch vorgeworfen, das Auslösen einer Verfassungskrise, Missachtung der Gewaltenteilung und ganz am Ende auch noch Selbstjustiz. Doch der nordrhein-westfälische Flüchtlingsminister bleibt gelassen: „Sie haben ja schon den Bundesinnenminister angezeigt, dann können Sie mich auch noch anzeigen“, erwidert er.
Stamp kennt die Situation nur zu gut. Er weiß, welche Fragen eine Opposition stellt, um eine Sache aufzuklären. Und er weiß, welche Fragen eine Opposition stellt, um vor allem politisches Kapital aus einer Sache zu schlagen. Der Fall des abgeschobenen tunesischen Gefährders Sami A. bietet in beiderlei Hinsicht genug Angriffsflächen.
SPD und Grüne fordern an diesem Freitag im Landtag Aufklärung vom Minister. Sie wollen wissen, wie es passieren konnte, dass Sami A. nach Tunesien abgeschoben werden konnte. Obwohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen kurz zuvor in einem Eilbeschluss entschieden hatte, dass er wegen Foltergefahr in Deutschland bleiben müsse. Dieser Beschluss wurde jedoch erst am Freitagmorgen übermittelt, als das Flugzeug mit A. bereits unterwegs war.
Dem hält der Minister das entgegen, was jeder Politiker nur einmal aufs Spiel setzen kann: seine persönliche Glaubwürdigkeit. Er habe alles darangesetzt, dass die Übergabe von Sami A. an die tunesischen Behörden völlig rechtskonform stattfinden konnte. „Dafür übernehme ich die volle Verantwortung“, sagt Stamp.
Stamp, zugleich auch stellvertretender Ministerpräsident, fährt in der Sitzung des Rechts- und des Integrationsausschusses eine mehrgleisige Strategie. Sehr ausführlich legt er dar, wie gefährlich Sami A. sei. In den Jahren 1999 und 2000 soll er eine militärische Ausbildung erhalten und der Leibgarde von Osama bin Laden angehört haben. Das Oberverwaltungsgericht Münster habe es 2015 als erwiesen angesehen, dass von ihm eine akute Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe. Die Opfer des IS-Attentats auf dem Berliner Weihnachtsmarkt habe Sami A. als „verdiente Strafe“bezeichnet, so Stamp. Gegenüber einer Zeugin habe der Islamist gesagt, Deutschland werde Blut weinen, wenn er ausgewiesen werde. Als Sami A. zuletzt in der Abschiebehaftanstalt Büren auf seine Rückführung nach Tunesien wartete, gab es laut Stamp viele Besuchsanfragen aus extremistischen Kreisen. Detailliert schildert der Minister diese Zusammenhänge, und sein Subtext dabei lautet: Im Ergebnis ist es doch richtig, dass Sami A. außer Landes ist.
Doch um diese Frage geht es im Landtag gar nicht. Sondern darum, ob die Abschiebung rechtens war oder ob im Eifer, den Gefährder so schnell wie möglich abzuschieben – oder, wie Stamp es nennt, „zügig und diskret“– gegen einen Gerichtsbeschluss und damit gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen wurde. Dabei steht eine Frage im Mittelpunkt. Im Landtag stellt sie der Rechtsexperte der Grünen, Stefan Engstfeld: „Die große Frage ist: Warum wusste das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nichts von der bevorstehenden Abschiebung?“Dazu müsse die Kommunikation zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und dem NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) näher beleuchtet werden: „Hat das MKFFI dem Bamf nicht gesagt, dass ein Charterflug zur Abschiebung bestellt war? Oder hat das MKFFI es dem Bamf gesagt, und das Bamf hat das gegenüber dem Gericht weggelassen?“
Stamp antwortet darauf so: „Wir haben die Bundespolizei eingebunden, zur Einbindung des Bamf waren
„Dafür übernehme ich die volle Verantwortung“
Joachim Stamp (FDP) NRW-Flüchtlingsminister