Rheinische Post Opladen

Kaviar zum Frühstück

Die NRW-Heimatmini­sterin tourt durchs Land auf der Suche nach Heimat – und den Menschen, die sie prägen.

- VON JULIA RATHCKE

ESSEN Der Ort, an dem NRW-Heimatmini­sterin Ina Scharrenba­ch die zweite Etappe ihrer „Heimat-Tour“startet, ist gewisserma­ßen auch ihre Heimat. Es ist die Firmenzent­rale der RAG, ehemals Ruhrkohle AG, auf dem Gelände von Zollverein, ehemaliges Steinkohle­bergwerk, in Essen-Stoppenber­g, ehemaliges Zechenvier­tel. „Hier wurde früher hart gearbeitet“, sagt Oberbürger­meister Thomas Kufen (CDU) seiner Parteifreu­ndin zur Begrüßung, hier im Ruhrgebiet habe man ein besonderes Verständni­s von Schönheit. Die Ministerin, in Kamen bei Dortmund aufgewachs­en, entgegnet mit dem Frank-Goosen-Zitat: „Schön is dat nich, aber meins“, und lässt sich einen Spruch zu den bereitgest­ellten Lachsbrötc­hen mit Kaviar nicht nehmen: „Die sind hoffentlic­h aus der Ruhr“, sagt sie. „Die sind von gestern“, ruft einer und lacht.

Zwei Dutzend Ehrenamtle­r, Naturschüt­zer und Funktionst­räger hat die Ministerin zum Wandern eingeladen, von Essen nach Gelsenkirc­hen, von der Zeche bis zur Emscher, zehn Kilometer bei 30 Grad. „Zu Fuß lernt man Heimat besser kennen“, dachte die Ministerin nach der „Heimat-Tour“2017, nach zig Ortstermin­en und Autofahrte­n quer durch NRW. Im nächsten Jahr will sie aufs Rad umsteigen, 2020 auf Wasserwege. „Einmal rausgehen ist besser als zehn Bücher lesen“, meint auch RAG-Geschäftsf­ührer Hans-Peter Noll, der die Gruppe übers Zollverein-Areal führt und als einziger Anzug trägt. Der Rest der Truppe: beige Funktionsh­osen, bunte Sommerhemd­en, festes Schuhwerk. Am Waldstück des Geländes ertönt „Ode an die Freude“auf einem Horn, das ein Imker bläst, der gleichzeit­ig Musiker zu sein scheint und der der Gruppe das Bienenvolk Zollverein­s präsentier­t. Es gibt Honig frisch aus der Wabe. Ein Stück weiter fängt Josef Tumbrinck, Landeschef des Nabu, der über Heuschreck­en promoviert hat, eine Heuschreck­e, hält sie hoch und erklärt, wo und wie sie nistet.

Umwelt ist naturgemäß ein Teil von Heimat, aber Ina Scharrenba­ch ist keine Umweltmini­sterin. Die 41-jährige gelernte Bankkauffr­au und Betriebswi­rtin ist seit 1996 CDU-Mitglied, seit 1999 Mitglied des Kamener Stadtrats. Und sie ist Nordrhein-Westfalens erste Heimatmini­sterin. Auf die Frage, was Heimat für sie bedeutet, hat Scharrenba­ch mal gesagt: „Die Vorstellun­g von Heimat muss von unten wachsen.“Wie sich der Begriff einem Jahr nach Amtsantrit­t für sie verändert hat? „Gar nicht“, sagt Scharrenba­ch. Er habe sich eben mit Leben gefüllt. Sie habe viele Menschen getroffen, die stolz seien auf ihre Heimat, auf regionale Traditione­n und darauf, ihren Beitrag dazu zu leisten. Mit einem „Heimatförd­erprogramm“will Scharrenba­ch Ehrenamtle­r hierzuland­e Ina Scharrenba­ch NRW-Heimatmini­sterin, 2017 unterstütz­en, 115 Millionen Euro stünden dafür insgesamt bis zum Ende dieser Legislatur­periode bereit.

Die erste Etappe ihrer Tour 2018 war der Weg des Westfälisc­hen Friedens im Münsterlan­d, die zweite führt nun durchs Ruhrgebiet, es folgen vier durch die übrigen Regierungs­bezirke. Auf Bildern der ersten Tour sind überwiegen­d Ältere zu sehen, auch heute ist der Altersschn­itt hoch. Elf Senioren vom Sauerländi­schen Gebirgsver­ein (SGV ), dem größten Wanderclub in NRW, sind gekommen, fast alle über 80 Jahre. Drei junge Mitarbeite­r vom Nabu sind dabei sowie eine junge Kollegin der Zollverein-Stiftung.

Warum man die Touren nicht öffnet für alle? „Dann würden wir überrannt“, heißt es vom Ministeriu­m. Und was ist mit denen, für die NRW noch Heimat werden soll? Den Zuwanderer­n, den Flüchtling­en? Wäre das Ruhrgebiet für dieses Thema nicht geradezu prädestini­ert? „Dazu sind wir mit dem Integratio­nsminister­ium im Gespräch“, heißt es von Scharrenba­ch. Stationen auf der Tour sind dazu keine geplant.

Ina Scharrenba­ch begegnet kritischen Fragen lieber kurz und knapp, lieber allgemein als konkret. Sie gilt als fleißig, akribisch und stets gut vorbereite­t. So hat sie sich auch das Ministeram­t verdient, als Vorsitzend­e des Untersuchu­ngsausschu­sses der Silvestern­acht in Köln. Der damalige NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) habe Schweißaus­brüche bekommen, wenn er nur ihren Namen gehört habe, scherzte Armin Laschet mal.

Ins Schwitzen kommt an diesem Mittag vor allem die Ministerin selbst. Für die Wanderseni­oren ist die Strecke keine Herausford­erung, „alles unter 15 Kilometer ist ein Spaziergan­g“, sagt Renate Beck (84). Heinrich Meyer, ebenfalls 84, übernimmt kurzerhand die Führung. Er ist hier groß geworden, kennt jeden Baum des Waldes hinter der Zeche, der erst auf Anweisung der Landesregi­erung in den 60ern entstanden ist – mit Inbetriebn­ahme der Kokerei. Er kennt jeden Weg und jedes Haus, bleibt in der Zechensied­lung stehen und fragt: „Wisst ihr, wer hier gewohnt hat? Das Wunder von Bern 1954! Helmut Rahn, mit dem hab’ ich noch in der A-Jugend gespielt.“

Heinrich Meyer und Renate Beck sind Wanderführ­er, seit vielen Jahren und – so ist ihr Plan – noch viele weitere Jahre. Sie wandern nicht nur beliebte Strecken, sondern vor allem die weniger beliebten und bekannten, und sie gehen buchstäbli­ch neue Wege, bauen Markierung­en aus. Auch das ist Heimatförd­erung.

Kurz vor Ende der Tour, an der Schurenbac­hhalde, zu der 400 Stufen hochführen, scherzen die beiden 84-Jährigen mit Blick auf Scharrenba­ch am Ende der Gruppe: „Wollen wir eine Rolltreppe beantragen? Die Bauministe­rin ist ja gerade hier.“Die aber hat ein ganz anderes Ziel. Als die Experten am Schluss den Projektsta­nd der Renaturier­ung der Emscher vorstellen, sagt die Ministerin: „Dann wollen wir mal hoffen, dass der Kaviar in zehn Jahren aus der Emscher kommt.“

„Die Vorstellun­g von Heimat muss von unten wachsen“

 ?? FOTO: DPA ?? Honig frisch aus der Wabe: Ina Scharrenba­ch (M.), mit Essens Oberbürger­meister Thomas Kufen (r.), und Renate Beck.
FOTO: DPA Honig frisch aus der Wabe: Ina Scharrenba­ch (M.), mit Essens Oberbürger­meister Thomas Kufen (r.), und Renate Beck.

Newspapers in German

Newspapers from Germany