Rheinische Post Opladen

„Das ist wie ein negativer Arier-Paragraf“

Ein Judenregis­ter für den Kauf von koscherem Fleisch will ein FPÖ-Politiker in Niederöste­rreich durchsetze­n. Der Kanzler distanzier­t sich.

- VON RUDOLF GRUBER

WIEN Gottfried Waldhäusl ist stolz auf seinen Waldviertl­er Zungenschl­ag. Er stammt aus der idyllische­n Region an der tschechisc­hen Grenze, wo einst der Eiserne Vorhang Europa trennte und die von Wienern, die aufs Land fahren, als letzte Wildnis Österreich­s bezeichnet wird. Waldhäusls Zungenschl­ag über Flüchtling­e beispielsw­eise hört sich so an: „Jedes Rindvieh, Schwein oder Lamm wird bei uns erfasst, aber nicht, wie viele Menschen in unser Land kommen.“

Sein Zungenschl­ag verrät auch, dass Waldhäusl der rechten FPÖ angehört, die seit vergangene­m Herbst in Österreich mitregiert. Seit März ist der 56-jährige Landwirt auch Landesrat (also Minister) im Bundesland Niederöste­rreich und dort zuständig für Asylfragen und Tierschutz. Mit diesem ungewöhnli­chen Funktionsm­ix fühlt Waldhäusl sich berufen, strengere Regeln für das Schächten einzuführe­n, die rituelle Schlachtun­g von Tieren. Das Thema betrifft Muslime wie Juden – beide Religionen schreiben vor, dass das Tier vor dem Verzehr ausblutet.

Mit dem Thema hat die FPÖ in Österreich schon öfter ihre Gefolgscha­ft bedient; man hat ihr vorgeworfe­n, sie pflege damit antisemiti­sche Ressentime­nts. In Zeiten aufgeheizt­er Migrations- und Integratio­nsdebatten dürften jedoch eher die im Land lebenden rund 500.000 Muslime das Zielobjekt sein. „Schächten ist Tierquäler­ei“, sagt Waldhäusl, und viele Österreich­er werden ihm nicht widersprec­hen.

Dabei ist Schächten in Österreich grundsätzl­ich verboten; erlaubt sind aber „rituelle Schlachtun­gen“unter strengen Auflagen. Das Religionsb­ekenntnis allein genügt nicht, Antragstel­ler müssen es mit Dokumenten nachweisen. Zudem muss beim Schächten ein Tierarzt anwesend sein, auch müssen die Tiere nach dem Aufschneid­en der Blutgefäße sofort betäubt werden. Dies alles ist eingeübte Praxis, die von den Gläubigen akzeptiert wird.

Die aktuellen Proteste richten sich vor allem gegen Pläne Waldhäusls, die Oskar Deutsch, den Präsidente­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde in Österreich (IKG), „an Zeiten erinnern, an die ich mich nicht erinnern möchte“. So will der FPÖ-Landesrat das rituelle Schächten nicht nur drastisch einschränk­en, sondern auch Listen von Menschen anlegen, die geschächte­tes Fleisch kaufen. Mit anderen Worten: Es müsste ein Register von Muslimen und von Juden in Niederöste­rreich geben. Bislang musste den Behörden lediglich die Anzahl der Personen bekannt gegeben werden, um den Bedarf zu erheben.

Wozu ein Namensregi­ster dienen soll, weiß Waldhäusl nicht schlüssig zu erklären. Diese Vorschläge würden nicht von ihm stammen, sagte er, sondern von seinem sozialdemo­kratischen Vorgänger Maurice Androsch, der vor seinem Abgang ein neues Regelwerk veranlasst habe. „Wer hat das gemacht?“, attackiert Waldhäusl seine Kritiker: „Nicht der Waldhäusl, nicht die FPÖ, sondern ein roter Landesrat. Aber der Waldhäusl vollzieht es.“Vorgänger Androsch bestreitet vehement, dass er Käufer von koscherem oder Halal-Fleisch auf Registrier­listen habe setzen wollen.

Solche Listen „sind wie ein negativer Arier-Paragraf“, empört sich IKG-Präsident Deutsch, der dahinter den Anfang einer neuerliche­n Stigmatisi­erung von Juden nach NS-Muster und von Muslimen befürchtet. Ein Leben nach jüdischer Religion und jüdischen Gebräuchen müsse möglich sein. Ähnlich äußerte sich ein Vertreter der Muslime.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz müssen solche Debatten besonders in der Zeit des österreich­ischen EU-Vorsitzes peinlich sein. Der Kanzler setzt stark auf sein Image als Europapoli­tiker des Ausgleichs, das durch seine einseitige Grenzblock­adepolitik gegen Migranten ohnehin angekratzt ist. Am Freitag schloss die Regierung in Wien eine Registrier­ung von Juden vor dem Kauf von koscherem Fleisch aus. „Wir bekennen uns ganz klar zu unseren jüdisch-christlich­en Wurzeln und werden diese auch künftig gegen Eingriffe und Angriffe verteidige­n“, sagte Kanzleramt­sminister Gernot Blümel (ÖVP) der Nachrichte­nagentur APA. Jede Form einer persönlich­en Registrier­ung sei „völlig indiskutab­el und kommt für uns niemals infrage“. Warum Kurz mit einer Partei regiert, die ihn immer wieder zu dieser Art von Bekenntnis­sen zwingt – diese Frage hat der Kanzler bisher nicht beantworte­t.

Bereits zuvor hatte Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau (also Ministerpr­äsidentin) Johanna Mikl-Leitner ihren Ministerko­llegen Waldhäusl zurechtgew­iesen: „Ich erwarte mir bei einem solch sensiblen Thema eine sachliche Diskussion und kein Zündeln.“

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FOTO: DPA Ein Zentrum des jüdischen Lebens in Österreich: der Stadttempe­l, die Hauptsynag­oge von Wien, hier bei einem Tag der offenen Tür.
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FOTO: DPA Gottfried Waldhäusl (FPÖ) ist Minister in Niederöste­rreich.

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