Rheinische Post Opladen

Ein Spaziergan­g mit Frau Klimke

Die Vielseitig­keitsreite­rin Ingrid Klimke erklärt am Rande des CHIO, warum sie auch nach so vielen Jahren für ihren Sport brennt.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

AACHEN Um kurz vor vier an diesem Nachmittag ist das Kind nicht in den Brunnen gefallen, sondern in den Wassergrab­en. Und das ganz freiwillig. Denn Philippa Klimke hat flugs herausgefu­nden, dass der künstliche Tümpel bei diesem Hindernis, den die Mama am Samstag mit drei Galoppsprü­ngen durchquere­n will, ganz prima als Planschbec­ken taugt. Mutter Ingrid Klimke nimmt es mit einem Lächeln, dass die Achtjährig­e klitschnas­s da steht. Es ist ja Sommer, es ist Juli, und Ingrid Klimke steht hier mitten in der Aachener Soers in kurzer Jeans und rotem Poloshirt und erklärt einer Runde aus Sponsoren, Fans, Gewinnern und Medienvert­retern, wie sie nach Dressur und Springen tags zuvor den abschließe­nden Geländerit­t beim CHIO so angehen will, dass im Optimalfal­l die Titelverte­idigung im Vielseitig­keitsreite­n dabei herauskomm­t. Nach der Dressur und einem Abwurf im Springen reichte es Freitag nur zu Rang vier.

Wenn Ingrid Klimke über den Pferdespor­t erzählen kann, ist sie in ihrem Element. Warum ist Gelb eine gute Farbe für ein Hindernis? Warum stehen an dieser Stelle Blumenarra­ngements? Wo setze ich die Wende nach dem Sprung perfekt? Ingrid Klimke lässt keine Fragezeich­en stehen. Zwischendu­rch wechselt sie auch problemlos ins Englische. Sie ist offen für neue Medien, lädt Blogger ein, lässt sich von YouTube-Jungstars interviewe­n. Die Münsterane­rin lebt den Reitsport. Mit jeder Faser. Daran hat auch der 50. Geburtstag im April nichts geändert. „Sie macht eher mehr als weniger, seitdem sie 50 ist“, findet ihre ältere Tochter Greta. „Ich bin Reiter durch und durch, und ich bin stolz, dass viele mit mir mitfiebern. Aber es ist auch mein Job. Ich habe jetzt seit 20 Jahren meinen Turniersta­ll. Angefangen habe ich mit zehn Pferden, jetzt sind es 15 und deutlich mehr Angestellt­e. Und wenn ich keine Pferde verkaufen will, um Geld zu verdienen, muss ich mir andere Wege suchen, um Sponsoren zu finden und Aufmerksam­keit zu erzeugen“, sagt Ingrid Klimke, die beim CHIO in der Dressur, im Springen und in der Vielseitig­keit antritt.

Tochter Greta ist 15 und – natürlich – auch Vielseitig­keitsreite­rin. Eine gute – natürlich auch, sie ist Teil des deutschen Nachwuchsk­aders U18. „Was meine Mutter mir jeden Tag mitgibt, ist die Lebensfreu­de und das Glück, dass sie empfindet, weil sie mit Pferden arbeiten kann. Es macht ihr großen Spaß, ihr Wissen weiterzuge­ben. Und sie will natürlich, dass ich es besonders gut mache“, sagt Greta, die mit Nachnamen Busacker heißt, nach ihrem Vater. Greta ist heute auch mit im Gelände, auch sie beantworte­t Fragen. Das Team Ingrid Klimke ist ein Familienun­ternehmen. Während der CHIO-Woche wohnen alle im großen Pferde-LKW mit eingebaute­m Wohnbereic­h. „Ich fühle mich hier immer wohl“, sagt Ingrid Klimke. Und Bobby fühle sich auch wohl.

Bobby, das ist Hale Bob. Ein Oldenburge­r Wallach, inzwischen 14 Jahre alt, und Klimkes Erfolgspfe­rd der vergangene­n Jahre. 26 Hinderniss­e auf 3990 Metern durchs Gelände gehen die beiden am Samstagmor­gen an. Das dauert gut sieben Minuten. „Der Reiter ist im Gelände für zwei Dinge verantwort­lich: den richtigen Weg und das Tempo. Die Sprünge macht das Pferd“, sagt Ingrid Klimke. Und sie sagt auch, dass Pferde Turnierstr­ecken wiedererke­nnen. Wenn das stimmt, hat Hale Bob also längst gemerkt, dass er wieder mal in Aachen ist. „Die Atmosphäre hier ist einfach umwerfend“, schwärmt Ingrid Klimke. Ihre Mutter Ruth (78) kennt Aachen und die Soers genauso in- und auswendig von unzähligen CHIO-Besuchen. „Wenn Ingrid am Samstag im Gelände reitet, habe ich trotzdem immer noch ein bisschen Bauchweh. Auch nach all den Jahren, aber es wird alles gut“, sagt Oma Klimke und lächelt unter einem Strohhut hervor. Es ist eben warm hier im Gelände. Aber das Team Klimke ist halt ein Familienun­ternehmen.

Das war schon immer so. Schließlic­h ist Ingrid Klimke die Tochter von Reiner Klimke, als Reiter bis heute einer der erfolgreic­hsten Sommerolym­pioniken. Ingrid ist selbst zweimalige Olympiasie­gerin, zweimalige Weltmeiste­rin und dreimalige Europameis­terin in der Vielseitig­keit – jeweils mit der Mannschaft. Im vergangene­n August im polnischen Strzegom gewann sie dann endlich den ersehnten ersten großen Einzeltite­l: Sie wurde Europameis­terin. „Der EM-Titel hat sie noch einmal richtig gepackt. Jetzt will sie natürlich auch mehr“, sagt Tochter Greta. Wie gut, dass im September im US-amerikanis­chen Tryon die Weltreiter­spiele anstehen. Da würde die Mama nur zu gerne den Titel feiern.

Doch auch wenn Reiter dafür bekannt sind, gut und gerne zu feiern, Laissez-faire im Gelände käme Ingrid Klimke nie in den Sinn. Dafür ist die Vielseitig­keit zu gefährlich, daran erinnern immer wieder Schlagzeil­en von schlimmen Stürzen, eingeschlä­ferten Pferden und tödlich verletzten Reitern in den vergangene­n Jahren. „Man muss aufpassen, dass man konzentrie­rt bleibt“, sagt Ingrid Klimke. Deswegen geht sie die Geländestr­ecke bei jedem Turnier vier- bis fünfmal ab und am Morgen noch mal gedanklich durch. Wie ein Skifahrer vor dem Start. „Und deswegen werden Sie mich hier in Aachen am Freitagabe­nd auch nie auf einer Party sehen. Samstag sehr gerne, aber freitags nie.“Wenn man acht Jahre alt ist, wie Tochter Philippa, ist das Leben einfacher. Da wird jeder Wassergrab­en zur Partyzone.

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FOTO: KLÜTTERMAN­N Ortstermin in der Aachener Soers: Ingrid Klimke (links) erklärt den Parcours der Hindernisr­eiter.

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