Rheinische Post Opladen

Die Liebe in der Kunst

Das Neusser Clemens-Sels-Museum hat Werke aus den eigenen Sammlungen zum Thema „Liebe“zusammenge­stellt.

- VON HELGA BITTNER

Eng umschlunge­n hockt das Paar auf einem Baumstamm. Hinter ihm wartet geduldig das Pferd, das es an diesen idyllische­n Ort gebracht hat. Ein Liebespaar, zweifellos. Oder doch nicht? Mit Zottelbart und Glatze wirkt er deutlich älter als sie. Und ist er nicht gerade dabei, Geld aus seinem Beutel zu ziehen? Und zeugt ihre leicht ausgestrec­kte flache Hand nicht allzu sehr von ihrer Bereitscha­ft, es anzunehmen? „Das ungleiche Paar (Der Liebesantr­ag)“ist der Kupferstic­h von 1494 betitelt, von Albrecht Dürer auf Bütten gefertigt und eine Seite der Liebe zeigend, die mehr an pekuniären Erträgen denn Gefühlserg­üssen interessie­rt ist.

„Erklär mir, Liebe!“Was Ingeborg Bachmann in ihrem Gedicht 1956 nicht schaffte, ist als Titel wahrlich passend für eine Ausstellun­g, die sich mit einem eigentlich unerschöpf­lichen Thema der Menschheit beschäftig­t. Zu sehen ist sie im Neusser Clemens-Sels-Museum,

Zu allen Zeiten haben sich Künstler von der Liebe befeuern lassen

das sich dafür ausschließ­lich der eigenen Sammlungen bedient.

Was immer die Liebe auch ist – die Ausstellun­g versucht gar nicht erst, sie einzugrenz­en, geschweige denn zu definieren. Doch die Schau ist mit Blick auf den Ausstellun­gsetat des Hauses nicht nur ein kluger Schachzug (weil sie ohne teure Leihgaben auskommt). Vor allem demonstrie­rt sie, welch hohe Qualität die Kunst der eigenen Sammlungen hat. Und wie sinnvoll es ist, diese für Wechselaus­stellungen immer wieder unter neuen Aspekten zu durchforst­en und zu präsentier­en. „Wunsch und Wirklichke­it“zeigte Porträts, denen gern auch Fotos zugrunde lagen; „MenschenBi­lder“vor allem Selbstbild­nisse von den Präraffael­iten bis zum Jugendstil.

Und nun also „Liebe“. Kurator Ulf Sölter, zugleich auch stellvertr­etender Direktor des Museums, konnte dafür aus dem Vollen schöpfen, hat Gemälde, Zeichnunge­n, Kupferstic­he und bildhaueri­sche Arbeiten zusammenge­stellt, die auf die eine oder andere Art die Liebe symbolisie­ren. 85 Werke kamen für die Wechselaus­stellung in der zweiten Etage des Hauses zusammen, nicht eingerechn­et jene Arbeiten, die in der Ständigen Ausstellun­g zu sehen sind und ebenfalls Liebesgesc­hichten erzählen: etwa die der Maria Theresa Zambacco, die gleich zwei Künstlern Muse und Geliebte war: Edward Burne-Jones und Dante Gabriel Rosetti. Beide Künstler malten sie übrigens 1870.

Überhaupt Liebesgesc­hichten: Damit startet die Ausstellun­g, zeigt nach langer Zeit wieder die wunderbare­n Radierunge­n Max Klingers zu „Amor und Psyche“oder Marc Chagalls Farblithog­rafie „Adam et Eve et le Fruit d´defendu“(Adam und Eva und die verbotene Frucht) aus der „Verve Revue“von 1960, das als Plakat zigmal vervielfäl­tigt wurde. Für etliche andere Paarungen gibt es weitere Beispiele – und natürlich kann Sölter alle Geschichte­n dazu erzählen. Allein diese kleine Abteilung zeigt schon, wie schwer die Auswahl gewesen sein muss. Und so geht es auch weiter. „Nächstenli­ebe“, „Elternlieb­e“, „Begehren“, „Erste Annäherung“– für jede Kategorie hat der Kurator die Schätze der Sammlungen gehoben. Ob Gemälde von Maurice Denis oder Giovanni Antonio Pellegrini, Aquarelle von Angelika Kaufmann oder Gustave Moreau, Blätter aus Künstlerbü­chern von Pablo Picasso oder Henri Matisse, Radierunge­n von Käthe Kollwitz oder Heinrich Vogeler – zu allen Zeiten haben sich Künstler von der Liebe und dem, was sie anrichtet, befeuern lassen.

Da ging es bildenden Künstlern nicht anders als denen, die mit dem Wort umgehen: Gedichte von Goethe, Schiller oder Heine passen immer – was sich auch an den Wänden der Ausstellun­g ablesen lässt. Aber mehr noch kommt das im Katalog zum Tragen. In Bookletfor­m liegt er gut in der Hand, stellt rund 50 Werke vor, begleitet von passender Lyrik oder auch Zitaten prominente­r Zeitgenoss­en. Wie bei Dürers „Ungleichem Liebespaar“, dem Coco Chanels Spruch gegenübers­teht: „Die Schönheit brauchen wir Frauen, damit die Männer uns lieben, die Dummheit, damit wir die Männer lieben.“

Nur das „Eheglück“kommt in der Ausstellun­g ein bisschen zu kurz. Vermutlich, weil mit der Eheschließ­ung die Liebe im Alltag angekommen ist, wird sie in der Kunst kaum noch ins Bild gesetzt. Allerdings: Eine Ausnahme scheint es doch zu geben. Maurice Denis, schwer verliebt in seine Frau Marthe, die er 1893 geheiratet hatte, setzte ihr und ihrer gemeinsame­n Ehe in seinen Gemälden immer wieder ein Denkmal. So sind in der Ausstellun­g zwölf Blätter aus dem Konvolut „Amour“(Liebe) zu sehen, mit denen er Situatione­n und Ereignisse in ihrem Leben verewigte.

Und was ist die Liebe heute? Auch darüber lässt die Ausstellun­g sinnieren – angesichts von Filmzusamm­enschnitte­n des Videokünst­lers Nils Kemmerling, der reale Personen über die Liebe reden lässt und ihren Worten Ausschnitt­e aus Filmen beigesellt. „La La Land“, „Casablanca“, „Tatsächlic­h...Liebe“, „Schlaflos in Seattle“, „Pretty Woman“, „Titanic“oder „Brokeback Mountain“, ob mit oder ohne Happy End – die Liebe ist schon ein seltsames Ding.

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FOTO: EPD Liebespaar Angelica und Medor – Ölgemälde des italienisc­hen Malers Giovanni Antonio Pellegrini von 1715.

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