Rheinische Post Opladen

Stolze Korsen – flache Bauten

- VON MARIO EMONDS

Korsika kann weiterhin mit sanftem Tourismus punkten. Bettenburg­en gibt es nach wie vor keine – auch nicht an der Nordküste in L’ÎleRousse und Calvi.

Auch ein Wochenmark­t kann täglich stattfinde­n. So ist es zumindest in L’Île-Rousse, einem 3000-Einwohner-Hafenstädt­chen in der Balagne im Norden Korsikas. In der schmucken Markthalle aus dem 19. Jahrhunder­t mit hohen Säulen können jeden Vormittag frisches Gemüse, Obst und weitere Produkte der Balagne gekauft werden. Auf Korsisch heißt der Ort Isula Rossa – und so nennen ihn die Einheimisc­hen auch bevorzugt.

Wer hier bis heute weit mehr verehrt wird als der aus Korsika stammende Napoleon, ist in dem zentral gelegenen kleinen Park direkt neben dem Wochenmark­t zu sehen. Da steht eine große steinerne Büste von Pasquale Paoli, jenem korsischen Freiheitsk­ämpfer, der Korsika im 18. Jahrhunder­t eine kurze Zeit der Unabhängig­keit bescherte – von 1755 bis 1769 gab’s die Republik Korsika.

Darauf ist auch Monsieur Pierre Guidoni stolz. Der 80Jährige, der in L’Île-Rousse schon geboren wurde, sitzt entspannt auf einer Bank im Park, beobachtet Leute – und scheint auch gerne mal selbige anzusprech­en. So ist es jedenfalls bei mir, als ich zufällig vorbeischl­endere. Dass ich des Französisc­hen leider nicht mächtig bin, teile ich ihm auf Englisch mit und denke, dass unser Gespräch damit auch schon wieder beendet sein dürfte. Welcher 80-jährige waschechte Korse spricht schon Englisch?

Doch Monsieur Guidoni lehrt mich eines Besseren, antwortet in fließendem Englisch. „Du bist Deutscher, oder? Ihr Deutschen könnt alle prima Englisch, aber kaum einer Französisc­h. Du bist aber hier auf Korsika. Also solltest Du auch Französisc­h sprechen“, tadelt er mich energisch – und muss dabei doch auch ein wenig grinsen. Warum er selbst denn so gut Englisch könne? „Ich habe 30 Jahre in London gearbeitet, bin seit 22 Jahren wieder daheim. Und seitdem sitze ich hier jeden Tag“, bekräftigt der stolze Korse. „Franzose bin ich erst in zweiter Linie.“Wir plaudern noch ein wenig, und zum Abschluss frage ich ihn, ob ich ein Foto von ihm machen könne. „Macht fünf Euro“, sagt er und hält die Hand auf – Monsieur Guidoni hat eben einfach den Schalk im Nacken.

Wirklich ungefähr fünf Euro kostet dann die 45-minütige Zugfahrt von L’Île-Rousse nach Calvi. Leider aber nicht mehr – wie über ein halbes Jahrhunder­t lang – in den klapprigen rot-gelben Triebwagen, die dem Zug den Ehrennamen „Feuriger Elias“einbrachte­n. Die sind Ende des vergangene­n Jahrzehnts durch bequemere, aber eben auch nicht mehr so spektakulä­re Nachfolger ersetzt worden.

Am Reiz der Strecke hat das aber natürlich nichts geändert. Die Schmalspur­bahn zuckelt in gemächlich­em Tempo durch die malerische Balagne, fast immer direkt an der Küste entlang. Schon von weitem ist der Leuchtturm der Halbinsel Revellata zu sehen, die am anderen Ende der Bucht von Calvi liegt. Der Leuchtturm beherbergt nun eine ozeanische Forschungs­station und ist über eine Schotterpi­ste zu erreichen – am besten wandert man aber dorthin. Empfehlung: Etwa in der Mitte des Wegs zweigt nach links ein schmaler Pfad ab – den sollte man unbedingt nehmen. Denn der führt an Steilklipp­en vorbei, die atemberaub­ende Aussichten bieten. Festes Schuhwerk ist jedoch Voraussetz­ung – mit Flip Flops oder ähnlichem Schuhwerk sollte man da nicht langlaufen.

Apropos Laufen: Auf Korsika liegt der 180 Kilometer lange GR 20, der wohl schwierigs­te Weitwan- derweg Europas. „Spitzenwan­derer absolviere­n den in zehn Tagen“, erläutert Guide Wolfgang Auer, schon länger auf der Insel heimisch geworden. Über diese zehn Tage können die Jungs aus dem nicht weit von Calvi entfernten Campra Faldi aber nur müde lächeln. Dort ist eine 1300 Mann starke Fallschirm­springerei­nheit der französisc­hen Fremdenleg­ion untergebra­cht. „Und die müssen die kompletten 180 Kilometer in fünf Tagen schaffen – und das auch noch mit 30 Kilogramm Marschgepä­ck“, sagt Auer nicht ohne Bewunderun­g.

Bereits seit 59 Jahren gehört zu Calvi auch das vom österreich­ischen Alpenverei­n Dornberg gegründete Feriendorf „Störrische­r Esel“. Der musste in all den Jahrzehnte­n um seinen Fortbestan­d nicht zittern – alles andere als eine Selbstvers­tändlichke­it auf Korsika. Denn der Korse an sich mag ausländisc­he Investoren, die an den Küsten dieser viertgrößt­en Mittelmeer­insel größere touristisc­he Bauprojekt­e vorantreib­en wollen, gemeinhin nicht sonderlich. Wovon in der Vergangenh­eit zig Sprengstof­fanschläge zeugten, die zum Großteil auf das Konto der 1976 gegründete­n Korsischen Befreiungs­front gingen.

„Auf Korsika gibt es das ungeschrie­bene Gesetz, dass das höchste Gebäude in einem Ort nicht höher als die höchste Pinie sein darf. Sonst fliegt was in die Luft“, sagt Auer. Bettenburg­en gibt es auf ganz Korsika in der Tat nicht – was durchaus auch im Sinn von Monsieur Guidoni sein dürfte.

Die Redaktion wurde von Rhomberg Reisen zu der Reise eingeladen.

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FOTOS: THINKSTOCK Blick von der Halbinsel Revellata auf Calvi und dessen Wahrzeiche­n, die Zitadelle. Am Ende Revellatas liegt der markante Leuchtturm. Dorthin kann man prima wandern.
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FOTO: EMONDS Ein Korse durch und durch – und den Schalk stets im Nacken: Monsieur Pierre Guidoni.

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