Rheinische Post Opladen

Auf Reisen mit einem großen Jazzer

Vor knapp einem Jahr starb der Musiker John Abercrombi­e. Jetzt ehrt ihn eine herzerwärm­ende DVD.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Als 1975 seine erste CD „Timeless“bei seinem neuen Label ECM erschien, ging ein Raunen durch die Fachwelt. Das Stück begann mit der Tonart der Gitarriste­n schlechthi­n, mit E-Dur, dem Stimm-Akkord mit dem höchsten Reinheitsg­rad. Aber wie er ihn mit seinen Improvisat­ionen verwandelt­e, atmen ließ, strukturie­rte und vertiefte, das hatte man so noch nicht gehört. War das Ambient Music, also Klangkunst mit räumlich-meditative­r Komponente? Oder war es etwas anderes? In jedem Fall wurde die Zeit aufgehoben – und John Abercrombi­e war der Künstler, der an den Zeigern drehte und die Batterien aus der Uhr nahm.

Vor knapp einem Jahr starb Abercrombi­e, jetzt porträtier­t ihn sein langjährig­es Vorzugs-Label ECM mit einer herzerwärm­enden DVD. Wir sehen ihn in seinem Auto, durch seine Heimat Connecticu­t (USA) kutschiere­nd, wir hören ihn in Interviews, wir erfahren Persönlich­es aus dem Mund seiner Frau Lisa und musikalisc­her Gefährten. Wir lernen: Abercrombi­e wurde von allen geliebt und verehrt, vor allem beides zugleich. Er war ja einer der leisen Meister des modernen Jazz, einer, der sehr höflich und ehrerbieti­g über seine Vorbilder sprach, da waren beispielsw­eise Chuck Berry und Barney Kessel. Als er erstmals Miles Davis hörte, „da entzündete sich eine Lichterket­te“, und bei seiner ersten Begegnung mit John Coltrane schien es ihm, dass „das Mutterschi­ff des Jazz aus dem Weltall gelandet“sei. Unter dem Einfluss dieser Giganten gedieh Abercrombi­es Kunst stetig, doch immer war er ein Teamplayer. Sehr mochte er den Sound der Hammond-Orgel an seiner Seite.

Besonders schön an dem Film von Arno Oehri und Oliver Primus sind neben den Interviews die Mitschnitt­e von Sessions, die Abercrombi­e als versunkene­n, doch zugleich hellwachen Künstler zeigen. Musik war für ihn ein offenes Land, so ist die DVD auch betitelt: „Open Land“. Eher erforscht er Klänge, als dass er sie behauptet. Irgendwann begann er nicht mehr mit Plektrum, sondern mit dem Daumen zu spielen; das hatte er sich bei Wes Montgomery abgeschaut. So hat sein Gitarrensp­iel etwas zutiefst Menschlich­es, erzeugt von der Finger Arbeit.

Einmal muss man schlucken: wenn Abercrombi­e mit einer unbeschrei­blichen Lakonie erzählt, wie sein Haus einmal, mit allem darin, vor seinen Augen abgebrannt sei; seine Frau habe er noch aus dem Badezimmer retten können. Danach stand er vor Schutt und Asche und musste noch einmal von vorn anfangen. Das Erste, das seine Freunde ihm besorgten, war eine neue Gitarre. Und wie in einem kollektive­n Akt samariterh­aften Denkens bekam er ein Engagement nach dem anderen.

Reisen und Lauschen mit John Abercrombi­e (1944 bis 2017): eine sehr schöne Erinnerung an einen der Großen des Jazz. Info DVD „Open Land. Meeting John Abercrombi­e“von Arno Oehri und Oliver Primus. 90 Minuten, ECM Records

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FOTO: DPA Jazz-Gitarrist John Abercrombi­e.

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