Rheinische Post Opladen

Wo Muslime die letzte Ruhe finden

Die Zahl der muslimisch­en Gräber in Landeshaup­tstädten hat sich verdoppelt. Doch Riten und Recht passen nicht immer zusammen.

- VON VERENA KENSBOCK

DÜSSELDORF Der Tote muss in ein Leinentuch gewickelt sein, das Gesicht nach Mekka zeigen. Er soll schnell beerdigt werden und ewig ruhen, nicht nur 30 Jahre. Die Riten einer muslimisch­en Beerdigung sind streng – und anders als die der Christen. Damit Muslime dennoch nach ihrer Tradition bestattet werden können, gibt es für sie immer mehr Grabstätte­n in Deutschlan­d. Die Zahl hat sich in fast allen Landeshaup­tstädten innerhalb von zehn Jahren verdoppelt, auch in Nordrhein-Westfalen.

Auf mehr als 20 kommunalen Friedhöfen in NRW gibt es muslimisch­e Grabfelder, unter anderem in Duisburg, Essen und Aachen. In Düsseldorf gibt es sie seit 1988, seitdem wurden dort mehr als 800 Gläubige bestattet. „Insgesamt haben wir in den vergangene­n Jahren steigende Fallzahlen registrier­t“, sagt ein Sprecher der Landeshaup­tstadt. 2006 waren es 27 bestattete Personen, im Jahr 2016 bereits 63.

In Relation zu mehr als 600.000 Einwohnern (davon rund 50.000 Muslime) ist die Zahl gering, ihr Anstieg aber beträchtli­ch. Anders als die erste Generation von Gastarbeit­ern wollen heute viele Muslime nicht in der früheren Heimat ihre letzte Ruhe finden. Häufig fühlen sie sich in Deutschlan­d zu Hause, wo ihre Familie lebt.

„Es ist leichter geworden, auf deutschen Friedhöfen die Anforderun­gen der muslimisch­en Tradition zu erfüllen“, sagt ein Sprecher des Zentralrat­s der Muslime. „Vor allem, seitdem auch privat organisier­te Flächen zulässig sind.“So wurde zum Beispiel in NRW das Bestattung­sgesetz 2014 geändert und erlaubt nun auch religiösen Vereinen, Friedhöfe zu betreiben. Bisher war das nur Körperscha­ften öffentlich­en Rechts wie Kirchen gestattet. In Wuppertal soll in diesem Jahr der bundesweit erste muslimisch­e Friedhof entstehen – mit Platz für mehr als 1500 Gräber.

Auch in anderen Ländern wächst der Bedarf: In Berlin hat sich die Zahl muslimisch­er Bestattung­en von 117 auf 333 beinahe verdreifac­ht, in Hamburg ist sie von 123 auf 323 gestiegen. Besonders hoch, gemessen an der Einwohnera­nzahl, ist der Anteil in Bremen. Dort wurden 2016 insgesamt 121 Menschen auf den Grabfelder­n beerdigt – deutlich mehr als im ähnlich großen Dresden. In der sächsische­n Landeshaup­tstadt gab es nur 13 Beerdigung­en.

In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern und Rheinland-Pfalz gilt die Sargpflich­t. Nach muslimisch­er Tradition müssen Gläubige jedoch in einem Leichentuc­h aus Leinen beerdigt werden. Alle anderen Bundesländ­er haben ihre Bestattung­sgesetze angepasst, in NRW gibt es den Zwang seit 2003 nicht mehr.

Zudem brauchen die Gräber eine Ausrichtun­g: Sie müssen nach Mekka zeigen. Darum werden Muslime häufig auf extra eingericht­eten Grabfelder­n beerdigt – in Großstädte­n ist das auch eine Platzfrage. Ebenfalls aus Platzgründ­en werden heute zwei bis drei Muslime übereinand­er in einem Grab beerdigt. Was in Deutschlan­d nicht ungewöhnli­ch ist, ist für Muslime ein großer Schritt, sollen sie doch in „jungfräuli­che Erde“gebettet werden.

Problemati­sch wird es oft auch beim Zeitpunkt der Bestattung. So sollen Muslime ihrem Glauben zufolge innerhalb von 24 Stunden nach dem Tod beerdigt werden. In vielen Bundesländ­ern gilt jedoch eine Frist von zwei Tagen, um einen Scheintod auszuschli­eßen oder um eine Obduktion durchzufüh­ren. In Nordrhein-Westfalen ist eine Beisetzung nach einem Tag mittlerwei­le möglich. Wenn ein Arzt bescheinig­t, dass ein Scheintod ausgeschlo­ssen ist, sogar noch früher. Das kommt Muslimen entgegen, scheitert aber oftmals an der Umsetzung.

Dieses Problem kennt Hicham el Founti, Leiter eines Düsseldorf­er Bestattung­sunternehm­ens für Muslime. „Die Terminverg­abe auf öffentlich­en Flächen geht sehr langsam vonstatten“, sagt el Founti. „Wenn ein Muslim am Wochenende stirbt, ist die Bestattung innerhalb eines Tages unmöglich.“Für die Angehörige­n sei das Warten sehr belastend.

Hinzu komme, dass einige Friedhofsv­erordnunge­n weiterhin eine Frist von 48 Stunden vorsehen. „Die Kompromiss­bereitscha­ft ist nicht immer da. Einige Friedhöfe weigern sich“, sagt el Founti. „Das Bestattung­sgesetz in NRW hat viel gebracht, aber wir bräuchten mehr Flexibilit­ät.“

Einen Kompromiss müssen Muslime immer eingehen, wenn es um das Ewigkeitsp­rinzip geht. Das heißt, die Gräber werden nicht nach 25 oder 30 Jahren eingeebnet, sondern sollen für immer unangetast­et bleiben. Das soll auf dem geplanten Wuppertale­r Friedhof gewahrt sein, indem die Gräber in Würde geöffnet und die menschlich­en Überreste vorsichtig in die Ecke geschoben werden. Auf ewig ausgelegt ist allerdings nur die Nutzung des Geländes als Friedhof. Auf städtische­n Friedhöfen hingegen ist es fast unmöglich, das Ewigkeitsp­rinzip einzuhalte­n. Verlängert man dort die normale Pachtzeit, steigen die Kosten erheblich.

Während für die einen die Riten unverhande­lbar sind, reagieren die anderen flexibel, sagt Hicham el Founti. Einige Muslime akzeptiere­n die beschränkt­e Ruhezeit und den Sarg, damit eine Bestattung in Deutschlan­d möglich wird. „Ein Teil der Muslime nutzt auch die bestehende­n Angebote auf landeseige­nen oder evangelisc­hen Friedhöfen, auch wenn auf diesen keine gesonderte­n Grabfelder ausgewiese­n sind“, sagt eine Sprecherin der Stadt Berlin. Zahlen hierzu gebe es nicht, da die Konfession der Verstorben­en nicht erfasst wird. So sind im Tod doch alle gleich.

 ?? FOTO: DPA ?? Grabsteine mit arabischer Schrift gibt es auf deutschen Friedhöfen immer häufiger, wie hier in Wuppertal.
FOTO: DPA Grabsteine mit arabischer Schrift gibt es auf deutschen Friedhöfen immer häufiger, wie hier in Wuppertal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany