Rheinische Post Opladen

Fluch und Segen grüner Gentechnik

- VON ANTJE HÖNING

ANALYSE Der Europäisch­e Gerichtsho­f unterwirft die Gen-Schere überrasche­nd den scharfen Regeln für Gentechnik. Forscher und Wirtschaft sind entsetzt.

Das ist der Traum vieler Bauern: Mais, der wenig Wasser braucht und mit dem Klimawande­l gut klarkommt; Weizen, der gegen die Pilzkrankh­eit Mehltau resistent ist und hilft, die wachsende Weltbevölk­erung zu ernähren. Soja, das ohne aggressive Herbizide gedeiht. Seit Jahrzehnte­n arbeiten Züchter daran, Pflanzen in diesem Sinne zu verbessern. Seit einigen Jahren steht ihnen dafür ein neues Werkzeug zur Verfügung: die Gen-Schere. Doch die saß nun auf der Anklageban­k in Luxemburg, und der Europäisch­e Gerichtsho­f fällte am Mittwoch überrasche­nd ein Urteil, das ihrer Nutzung enge Grenzen setzt. Umweltverb­ände jubeln, Bauern, Pflanzenzü­chter und chemische Industrie sind entsetzt. Was ist die Gen-Schere? Die Erbinforma­tionen von Lebewesen sind in den Zellkernen auf einem langen Molekül, der Desoxyribo­nukleinsäu­re (DNS oder englisch: DNA), gespeicher­t. Gene sind die einzelnen Abschnitt der DNA, die etwa Bau, Entwicklun­g und auch Krankheite­n der Lebewesen festlegen. 2015 entdeckten Forscher, dass man mit einem chemischen Werkzeug, der Gen-Schere, die DNA gezielt an bestimmten Stellen durchschne­iden kann. Damit lassen sich Teile eines Gens entfernen, Reparature­n auslösen oder neue Gen-Sequenzen einfügen. Wie arbeitet die Gen-Schere? Am bekanntest­en ist die Gen-Schere namens Crispr. Sie besteht aus zwei Teilen: einem Molekül (namens RNA), das das Ziel auf der DNA aufspürt, und einem Protein (namens Cas9), das die DNA an dieser Stelle schneidet. Die Methode ist aus der Natur abgeschaut: Ursprüngli­ch nutzten Bakterien die Methode, um sich gegen Virenbefal­l zu wehren. Das Besondere an Crispr ist, dass es viele Anwendunge­n erlaubt und vergleichs­weise günstig ist. Schon jetzt gibt es Biotech-Unternehme­n, die RNA-Moleküle für diverse Ziele herstellen können. Worum ging es vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f? Nach einer Klage von französisc­hen Naturschut­zverbänden hatte der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) zu entscheide­n, ob Pflanzen, die mit Gen-Scheren bearbeitet wurden, als gentechnis­ch verändert einzustufe­n sind. Für die Verbände war die Sache klar: Gen-Scheren-Pflanzen sind menschenge­macht. Der EuGH-Generalanw­alt hatte dagegen argumentie­rt, die Pflanzen seien nur so verändert worden, wie es auch auf natürliche Weise möglich sei. Die Folgen sind gewaltig.

Für „gentechnis­ch veränderte Organismen“(GVO) verlangt die EU eine Kennzeichn­ungspflich­t, die bis zur Verpackung im Supermarkt reicht, und sie verlangt von den Züchtern umfangreic­he Risikoprüf­ungen, die langwierig und teuer sind. Die Gretchenfr­age: Was ist Gentechnik? Auch wenn sich Gen-Schere nach Gentechnik anhört, ist die Sache so eindeutig nicht. Denn die Gen-Schere ist zunächst nur ein Schneidewe­rkzeug, das Reparature­n auslöst, wie es die Natur über Mutationen, also spontane Änderungen des Erbguts, vormacht. Folgericht­ig lässt sich bei Pflanzen auch nicht nachweisen, ob eine Veränderun­g Ergebnis einer natürliche­n Mutation oder der Gen-Schere ist.

Auch die konvention­elle Pflanzenzü­chtung arbeitet seit Jahrzehnte­n so: Sie regt mit chemischer Behandlung oder Bestrahlun­g Pflanzen an, Mutationen durchzufüh­ren. Mutagenese nennt sich das. Die so behandelte­n Pflanzen werden nicht als gentechnis­ch verändert eingestuft.

Bei der echten Gentechnik ist das anders: Hier fügen Forscher und Züchter einer Pflanze gezielt fremde Gene zu, um sie widerstand­sfähiger oder ergiebiger zu machen. Hier lässt sich anschließe­nd auch nachweisen, dass sie gentechnis­ch verändert wurden. Die Bayer-Tochter Monsanto ist Weltmeiste­r auf diesem Gebiet der „transgenen Pflanzen“. Ein großer Teil der Maisoder Soja-Ernte in Amerika stammt aus Monsanto-Saaten. Entfernen eines DNA-Abschnitts Reparatur/Austausch eines DNA-Bausteins Einbau neuer DNA-Abschnitte Wie entschied der Europäisch­e Gerichtsho­f? Die Richter befanden, dass Pflanzen, bei denen eine Mutagenese mithilfe der Gen-Schere vorgenomme­n wird, als GVO anzusehen sind und entspreche­nd unter die scharfen Regeln zu Kennzeichn­ung und Risikoprüf­ung fallen. Die Richter begründen dies damit, dass nach ihrer Ansicht die Gen-Scheren nicht absolut verlässlic­h arbeiten und daher ähnlich riskant sein könnten wie echte Gentechnik. Welche Folgen hat das Urteil? Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) nennt das Urteil eine „gute Nachricht“für Umwelt und Verbrauche­r. So schlicht ist es nicht. Der Verband der chemischen Industrie und der der Pflanzenzü­chter warnen, dass Forscher in Europa von der Entwicklun­g in der Welt abgehängt werden. In den USA etwa gelten Gen-Scheren nicht als Gentechnik. Hier kommt es nur auf das Ergebnis an. Hier will man keine Pflanzen scharf regulieren, die sich auch natürlich oder über traditione­lle Züchtung so hätten entwickeln können.

Aber auch unter sozialen und Umweltaspe­kten ist das Urteil fragwürdig: Um eine Weltbevölk­erung zu ernähren, die in den nächsten 30 Jahren von jetzt sieben auf zehn Milliarden steigt, wird man mehr aus dem begrenzten Boden heraushole­n müssen. Und wenn eine Pflanze per Genschere widerstand­sfähiger gemacht wird, muss der Farmer weniger oder keine Herbizide mehr einsetzen. Zugleich ist das Verfahren günstiger und unaufwendi­ger als die jahrelange Bestrahlun­g, so dass besseres Saatgut auch für Kleinbauer­n günstiger wird. Aus den Gründen hatte selbst Grünen-Chef Robert Habeck vor einer pauschalen Verurteilu­ng der grünen Gentechnik gewarnt und eine Krise in seiner Partei ausgelöst. Bayer-Aufsichtsr­atschef Werner Wenning hatte den Europäern schon mal Doppelmora­l vorgeworfe­n: „Nur weil Europa kein Ernährungs­problem hat, verschwind­et das Problem ja nicht. Hier vergessen viele, dass weltweit etwa 800 Millionen Menschen hungern.“

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