Rheinische Post Opladen

Kampf mit Paragrafen

- VON HENNING RASCHE

Die deutsche Nationalhy­mne beginnt mit einem beliebten Kinderspie­l: Welches Wort passt nicht in die Reihe? „Einigkeit und Recht und Freiheit“– diese drei Begriffe führen die dritte Strophe des Lieds der Deutschen an, wie nicht nur die Fußballpat­rioten wissen. Drei Begriffe als Säulen der Republik. Bloß das Recht will gar nicht so gut in diese Reihe passen. Denn, was ist der Sinn des Rechts? Das Schaffen einer Ordnung; Regeln, die das Zusammenle­ben in einer Gesellscha­ft möglich machen, die Interessen ausgleiche­n. Nach modernem Verständni­s gehören die Garantien von Einigkeit und Freiheit zu solchen Regeln; Einigkeit und Freiheit sind Bestandtei­l und Voraussetz­ung der Rechtsordn­ung eines Rechtsstaa­tes wie der Bundesrepu­blik.

Von der gesellscha­ftlichen Einigkeit hat sich das Deutschlan­d des Jahres 2018 um einige Meilen entfernt. Einig ist sich jeder höchstens mit seinen Resonanzkö­rpern, den Stammtisch­en des Internets. Und ausgerechn­et das Recht ist in diesem Sommer die Waffe der Wahl. Das Land spaltet sich in zwei Lager, die man mit rechts und links erfassen könnte, besser aber noch mit der Frage: Wie hältst du’s mit Merkel? Zwischen den Seiten – mittendrin liegt ein großer grüner Streifen Wiese, auf dem sich das erschöpfte Land mit zwei Kugeln Basilikume­is im biologisch abbaubaren Becher oder einer Flasche Bier ausruht – fliegen aus der Kanone die Paragrafen. Wir haben recht!, schreien die einen. Nee, wir!, die anderen.

Das ging 2015 los, mit der vermeintli­chen Grenzöffnu­ng der Bundeskanz­lerin. Auch daran ließe sich übrigens ganz prima die Lagerbildu­ng beschreibe­n: wer von Grenzöffnu­ng spricht, ist eher im Antimerkel-Lager, wer sagt, die Grenzen wurden lediglich nicht geschlosse­n, im anderen. 2016 jedenfalls bekam das Kind einen Namen, der damalige – wie lang ist das bitte her? – bayerische Ministerpr­äsident Horst Seehofer taufte es auf „Herrschaft des Unrechts“. Aus der Paragrafen­fletsche fliegen nun die Begriffe: „Rechtsbruc­h“und „illegale Massenmigr­ation“. Was immer auch geschehen ist, es soll mit dem Vorwurf der Rechtswidr­igkeit delegitimi­ert werden.

Die andere Seite kann das aber auch sehr gut, ist ja klar. Als Seehofer, inzwischen Innenminis­ter, in diesen überhitzte­n Zeiten ankündigte, er wolle Flüchtling­e direkt an der Grenze zurückweis­en, wälzten seine Gegner sich durch die Untiefen des Asylrechts. Sie beschriebe­n, warum dies gegen europäisch­es Recht verstöße, argumentie­rten, dass die „Fiktion einer Nichteinre­ise“– sprachlich der Tiefpunkt – nur an EU-Außengrenz­en funktionie­re, in Kiefersfel­den aber definitiv nicht zulässig wäre. Paragraf um Paragraf flog zurück zu den Seehofers. Rechtswidr­ig! Rechtsbruc­h!

Was man bei all dem schmerzlic­h vermisst, sind die politisch klugen Antworten. Die Argumente, die ohne juristisch­es Gutachten auskommen, die auf die Kraft des eigenen Gedanken vertrauen, auf die Stärke der Idee. Der Diskurs hat sich verrechtli­cht und damit auf eine seltsame Weise entpolitis­iert. Einer, der schon immer sehr politisch war, ist Andreas Voßkuhle. Der Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, hat sich nun, womöglich in einem Anflug väterliche­r Schutzgefü­hle, in diesen Kampf der Paragrafen eingemisch­t. Er fordert die Politik in der „Süddeutsch­en Zeitung“auf, die Waffe zu wechseln. Und anders als es die plakativen Überschrif­ten suggeriere­n, meint Voßkuhle durchaus beide Seiten. „Gerade wenn die Kenntnis der Fakten gering ist, werden die Akteure des Rechtsstaa­ts mitunter vorschnell desavouier­t, oder es wird ein angebliche­s Versagen des Rechtsstaa­ts behauptet“, sagt Voßkuhle. Was er meint: Wer keine Ahnung hat, sollte besser mal den Mund halten – oder eben anders argumentie­ren. „Unreflekti­erte Schnellsch­üsse“, nennt er das. Ohne den meisten Akteuren dieses Streits zu nahe treten zu wollen, aber ein fundiertes Verständni­s des Zusammensp­iels zwischen nationalem und supranatio­nalem Recht sowie Völkerrech­t, speziell im Bereich des Asylrechts, dürfte eher selten vorzufinde­n sein.

Es ist eben nur etwas komplizier­ter, als es Voßkuhle darstellt. Immerhin kämpfen auch die Ex-Verfassung­srichter Hans-Jürgen Papier oder Udo Di Fabio mit Paragrafen, denen man Kenntnis der Fakten unterstell­en darf. Sie versuchen trotzdem die Wirklichke­it normativ zu schaffen. Sie behaupten, wie viele andere, eine Rechtslage, die es möglicherw­eise gar nicht gibt, um damit Politik zu machen.

Auf Voßkuhle wirkt der Diskurs „ziemlich schrill“, was man ihm nicht verübeln möchte. Er empfiehlt daher, ganz passend zu den nun in ganz Deutschlan­d herrschend­en Sommerferi­en, mal ein paar Gänge herunterzu­schalten. Seehofers „Herrschaft des Unrechts“, sagt Voßkuhle durchaus nachvollzi­ehbar, wecke „Assoziatio­nen zum NS-Unrechtsst­aat, die völlig abwegig sind“. Seehofer wiederum hält es nicht für angebracht, dass der Präsident des Verfassung­sgerichts als Sprachpoli­zist durchs Land reist. Was nahelegt, dass er Voßkuhles Interview weder gelesen noch verstanden haben kann.

In diesem erhitzten Sommer von Bier und Basilikume­is bietet Andreas Voßkuhle dem Recht ein bisschen Schatten. „Das ist eine Frage der Politik!“, ruft er den Reisenden hinterher – und nicht des Rechts. Die Republik sehnt sich nach Einigkeit, und das Recht nach einem Waffenstil­lstand.

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