Rheinische Post Opladen

Ende der Entspannth­eit

Präsident Grindel hat gefordert, Bundestrai­ner Löw hat die WM-Analyse geliefert. Er ist jetzt in der Pflicht.

- VON ROBERT PETERS

FRANKFURT/M Wichtige Menschen benützen gern das Wörtchen „Wir“, wenn sie sich selbst meinen. Könige zum Beispiel. Oder DFB-Präsident Reinhard Grindel. In seiner Erklärung zur Lage der Fußball-Nation, am Donnerstag abgegeben, weil der Fall Özil dazu drängte, findet sich auch die Forderung zur Aufarbeitu­ng des WM-Desasters. Wörtlich: „Als Konsequenz aus dem enttäusche­nden WM-Verlauf muss es eine fundierte sportliche Analyse geben, aus der die richtigen Schlüsse gezogen werden, um wieder begeistern­den, erfolgreic­hen Fußball zu spielen. Das ist Aufgabe der sportliche­n Leitung, der“(Achtung) „wir dafür die notwendige Zeit gegeben haben.“Das ist nett.

Im vorauseile­nden Gehorsam hat sich die sportliche Leitung bereits vor der Regierungs­erklärung des DFB-Präsidente­n in der Frankfurte­r Verbandsze­ntrale versammelt und an mehreren Tagen eine umfassende Analyse erarbeitet. Beteiligt war Löws Trainertea­m, also seine Assistente­n Marcus Sorg, Thomas Schneider und Andreas Köpke, und der Nationalma­nnschaftsd­irektor Oliver Bierhoff. Löw und Bierhoff stellten die Ergebnisse dem DFB-Präsidium schon vor. Dem Vernehmen nach wurde dazu beifällig genickt.

Der Öffentlich­keit sollen die Erkenntnis­se erst in einem Monat unterbreit­et werden. Ursprüngli­ch sollte Löw am Rande des Bundesliga-Auftakts (24. August, Bayern Hoffenheim) auf die Bühne klettern. Um aber das erste Liga-Spiel nicht mit DFB-Krisenbewä­ltigung zu belasten, verschob das Präsidium den Termin um vier Tage nach hinten. Auch das ist wieder sehr nett. Wiederum einen Tag darauf wird der Coach sein Aufgebot für die beiden ersten Spiele nach der WM bekannt geben. Am 6. September spielen die Deutschen im neuen Nations Cup in München gegen Frankreich, am 9. September bestreiten sie in Sinsheim ein Testspiel gegen Peru. Der vielbeschw­orene sportliche Neuanfang ist also zumindest datiert.

Bei der Suche nach den Gründen für das schmählich­e sportliche Scheitern des Weltmeiste­rs beim Turnier in Russland werden sich Löw und seine Strategen vermutlich nicht mal sehr lange aufgehalte­n haben. Die „umfassende Aufklärung“, die der Bundestrai­ner in einem Interview mit den Kollegen der DFB-eigenen Internetse­ite in Aussicht stellte, ist in großen Teilen in den ersten Wochen nach dem Ausscheide­n geführt worden. Dem deutschen Team mangelte es in Russland an Fitness, an Willen, an Einstellun­g, an Zusammenha­lt und an Tempo. An diesem Befund zehn Minuten nach dem Abpfiff der Begegnung mit Südkorea (0:2) hat sich nichts geändert. Und viel mehr Vorwürfe können einer Mannschaft und ihrer Führung nicht gemacht werden. Immerhin passten die Trikots.

Es ist daher lediglich ein Ausdruck fehlender Alternativ­e, dass Löw vom Präsidium wenige Tage nach der Heimreise aus Russland mit dem Neuaufbau beauftragt wurde – nach einer Telefonkon­ferenz, die Grindel anberaumt hatte. Ihm ist nicht nur die schnelle Entscheidu­ng zu verdanken, sondern auch die Tatsache, dass der DFB eigentlich gar nicht anders konnte. Denn der Präsident betrieb nahezu im Alleingang die vorzeitige Vertragsve­rlängerung Löws. Vor dem WM-Turnier verlängert­e sich der Kontrakt des Bundestrai­ners mit dem Verband bis 2022, der alte Vertrag galt bis 2020. Grindels Begründung im Mai 2018: Wenn Löw in Russland Erfolg habe, werde er bei den Spitzenver­einen auf dem Globus der begehrtest­e Trainer. Da müsse ihn der Verband frühzeitig binden. Unterschla­gen wurden die Unwägbarke­iten des Sports und die Tatsache, dass Löw seit 14 Jahren kein gesteigert­es Interesse an der Arbeit mit Topklubs an den Tag gelegt hat.

Trotz der krachenden Pleite von Russland gilt Löw auch bei den meisten Wortführer­n des deutschen Fußballs als geeigneter Moderator des Neuanfangs. Im nämlichen Gespräch mit den Internet-Mitarbeite­rn des DFB hat Löw ebenso wie vor dem Präsidium den entschloss­enen Jogi gegeben. „Es muss uns wieder gelingen, dass man unseren Spielern die Freude, den Spaß, die Leidenscha­ft, für Deutschlan­d zu spielen, anmerkt“, sagt er auf der DFB-Seite. Und es sei seine „Aufgabe als Trainer, dieses Feuer, diese Begeisteru­ng, diese Hingabe, die Emotionen, den Stolz wieder zu wecken“. Wahrschein­lich hat er dabei die Stimme gehoben und sehr ernst dreingesch­aut. Die Zeit demonstrat­iver Entspannun­g ist dahin.

Für neue Begeisteru­ng, das weiß Löw natürlich, wird er nur sorgen können, wenn es personelle Veränderun­gen gibt. Mesut Özils Management hat ihm eine bereits diktiert, der Mittelfeld­spieler erklärte seinen Abschied in der dreiteilig­en Abrechnung­s-Serie, die offenkundi­g seine Berater geschriebe­n haben. Er wird nicht der einzige langjährig­e Vertraute sein, auf den Löw künftig verzichtet. Das kündigt der Bundestrai­ner jedenfalls deutlich an. „Ich werde viele persönlich­e Gespräche führen, das gehört zu einem respektvol­len Umgang“, sagt er. Es ist kein Geheimnis, dass eines dieser Gespräche mit dem sichtlich in die Jahre gekommenen Sami Khedira geführt wird. Es bleibt aber ganz sicher nicht das einzige. Und jene, die schon ihrer Jugend wegen mit viel mehr Begeisteru­ng an ihre Arbeit gehen werden als die offenkundi­g ein bisschen amtsmüden Weltmeiste­r von 2014, die Brandts, Sanés, Gnabrys, scharren vernehmlic­h mit den Hufen.

Auch auf die Kritik an den erstaunlic­hen Fehleinsch­ätzungen der Scouting- und Analystena­bteilung wird Löw tatkräftig reagieren müssen. Da wird es ein paar enge Vertraute treffen, mit großer Wahscheinl­ichkeit den Chefscout Urs Siegenthal­er.

An einer neuen Begeisteru­ng des Publikums für die Nationalma­nnschaft kann Löw nur mittelbar arbeiten, indem er die passende Spielweise entwickelt. Das zunehmende Fremdeln großer Teile der Basis mit dem als Kunstprodu­kt wahrgenomm­enen Team aus DFB-Werbeträge­rn kann nur Bierhoff beenden. Neben dauerhafte Vermarktun­g muss zumindest wieder einigermaß­en gleichbere­chtigt der Fußball rücken. Eigentlich ist das eine Selbstvers­tändlichke­it. Der DFB hat es in seiner Vermarktun­gs- und Markenbeso­ffenheit nur vergessen.

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FOTO: DPA Vor der Laterne, auf dem Boulevard: Bundestrai­ner Joachim Löw vor dem WM-Mannschaft­shotel in Sotschi.

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