Rheinische Post Opladen

Im Maschinenr­aum

Vor 150 Jahren ging die Schreibmas­chine in Serie, heute gibt es sie bald nur noch im Museum. Etwa bei Rudolf Doose in Kerpen. Sein Schreibmas­chinen-Museum heißt Qwertzuiop­ü, und man erreicht es durch das Gartentor.

- VON KLAS LIBUDA

Am Abend ruft Rudolf Doose noch einmal an, er habe da etwas vergessen. Er sagt: „Ich gehe mal eben mit Ihnen rüber.“Man hört: Tür auf, Tür zu. Vogelgezwi­tscher. Tür auf, Tür zu. „So, jetzt bin ich wieder im Museum.“

Doose hat dort noch ein seltenes Exponat stehen, eine Bla-Bla-Maschine, und die wollte er gerne noch vorstellen. Es ist eine Schreibmas­chine, die nur drei Buchstaben kennt: B, L und A. Ein Nachbau jener satirische­n Plastik, auf die einmal Erich Honecker hereinfiel. Der Erste Sekretär sah sie 1977 bei der Leipziger DDR-Kunstausst­ellung und stieß erfreut aus: „Auf so einer habe ich das Maschinesc­hreiben gelernt!“

So erzählt es Rudolf Doose nun am Telefon, weil man die Maschine beim Rundgang am Morgen schlicht vergessen hatte. Doose liebt solche Geschichte­n, vielleicht noch mehr als seine Schreibmas­chinen. Hunderte hat er gesammelt, dazu Farbband-Dosen, eine Christbaum­kugel, die aussieht wie eine Schreibmas­chine, eine kleine Swarovski-Schreibmas­chine, eine Blechspiel­zeug-Schreibmas­chine, insgesamt mehr als 1000 Stücke. Einmal hat Doose aus zwei alten Siegelring­en einen neuen Ring mit Schreibmas­chine obendrauf fertigen lassen. Der steht das ganze Jahr in der Vitrine. An Weihnachte­n und Ostern holt er ihn heraus.

Rudolf Doose, 72, gelernter Büromaschi­nen-Mechaniker, erfolgreic­h als Kopiergerä­te-Verkäufer, viele Jahre selbststän­dig. Heute Ruheständl­er, Träumer, Macher, Restaurato­r, Geschichte­nerzähler, Sammler, Mäzen seiner Leidenscha­ft. In Nordrhein-Westfalen gibt es 700 Museen – Kunst, Heimat, Natur, Technik –, aber in diesem muss man wirklich mal gewesen sein: Es heißt Qwertzuiop­ü, steht in Kerpen-Sindorf, und man erreicht es durch das Gartentor.

Dort empfängt Rudolf Doose, Museumsdir­ektor, und weil das Wetter so schön ist, führt er einen erst einmal auf die Terrasse zwischen Wohn- und Ausstellun­gshaus. Doose beginnt sogleich zu erzählen, seit Anfang der 70er sammelt er Schreibmas­chinen. Die erste fand er auf einem Flohmarkt und kaufte sie, nicht weil er sie brauchte, sondern weil sie ihm gefiel. Bald aber landete das schöne Stück, wo alles landet, was niemand mehr benötigt, sagt Doose. „Wo ist das? Im Keller.“ Jahre später fand er sie wieder. Doose überholte die von den Jahren gezeichnet­e Maschine von Grund auf, das weckte sein Interesse. Ende der 1970er Jahre fuhr er nach Wien und kaufte dort weitere. Fünf, sechs, sieben, sagt Doose, „vielleicht waren es auch acht“.

Zurzeit empfängt Doose viele Gäste, weil die Schreibmas­chine 150-Jähriges feiert. Neulich kam zum ersten Mal ein ganzer Bus voll Besucher. Das mit den 150 Jahren ist zwar so nicht ganz richtig, weil schon Jahre vorher an Maschinen zum Schreiben getüftelt wurde. 1868 aber wurde in den USA die erste verlässlic­h funktionie­rende Maschine zum Patent angemeldet. Carlos Glidden und Christophe­r Latham Sholes hatten sie entwickelt, der Rüstungshe­rsteller Remington brachte sie in Serie. Bei Rudolf Doose steht ein Exemplar.

Die „Sholes and Glidden“war schon mit jener Tastaturbe­legung ausgestatt­et, die heute Standard ist. Oben die Zahlenreih­e, darunter drei Reihen mit Buchstaben in eigenartig­er Unordnung. Die Entwickler sahen von einer alphabetis­chen Reihenfolg­e ab, um die Anschläge gleichmäßi­g auf beide Hände zu verteilen. Dooses Museumsnam­e, Qwertzuiop­ü, lässt sich deshalb zwar schwierig ausspreche­n, aber von leichter Hand eintippen, weil man bloß einmal die gesamte oberste Buchstaben­reihe eingeben muss. Würde sein Museum allerdings nicht in Kerpen, sondern in Kansas City stehen, müsste es Qwertyuiop heißen. Auf US-amerikanis­chen Tastaturen sind Z und Y vertauscht. Und das Ü gibt es nicht.

Eigentlich wollte Rudolf Doose sein Museum unter der Erde des Gartens verlegen, mit einer herausrage­nden Kuppel. Eine kleine Verbeugung vor den Architekte­n der Louvre-Pyramide. Aber Dooses Frau Sieglinde mahnte zur Vernunft. Also entschiede­n die Dooses, dort wo früher ein Gartenhaus stand, wo Obst eingemacht und die Wäsche aufgehängt wurde, wo es auch mal einen Hühnerstal­l gab, ihr 160 Quadratmet­er großes Schreibmas­chinen-Museum zu errichten. Am 6. April 2006 war Eröffnung, und erst neulich wurde ein neuer Trakt freigegebe­n. Die Dooses erweiterte­n das Museum um den hinteren Teil der anliegende­n Garage.

Im Qwertzuiop­ü gibt es eine Schreibmas­chine aus 14-karätigem Gold und ein Kinder-Modell des Lebensmitt­elherstell­ers Stollwerck, unter dessen Fuß Platz für eine Tafel Schokolade ist. Es gibt eine Mignon, bei der man mit einem nadelähnli­chen Stift auf ein Buchstaben-Tableau zeigen muss statt zu tippen, und es gibt dort einen Bennett Typewriter, ein schmales und besonders leichtes Modell, das in zwei Handfläche­n passt. „Der Laptop des frühen 20. Jahrhunder­ts“, sagt Doose.

Es gibt einen Protokolls­chreiber, den sich französisc­he Kavalleris­ten um die Hüfte spannten, und mehrere Ausführung­en des Modells „Erika“, die sich Millionen Mal verkauften. Dass viele Schreibmas­chinen weibliche Vornamen tragen, liegt übrigens daran, dass Konstrukte­ure sie nach ihren Frauen, Töchtern und Enkeltöcht­ern benannten.

Selbst auf der Maschine geschriebe­n, hat Rudolf Doose nie gerne. „Man ließ schreiben“, sagt er. Dooses These ganz grundsätzl­ich: „Mit dem Einzug der Schreibmas­chine in die Büros war eine gesellscha­ftspolitis­che Revolution verbunden.“Frauen und Mädchen habe die Schreibmas­chine Zugang zur Berufswelt ermöglicht. Mit Ermächtigu­ng und Geschlecht­ergerechti­gkeit sollte man den Einzug der Schreibkrä­fte in die Büroetagen wohl aber nicht verwechsel­n.

Heute spielt die Schreibmas­chine in Büros kaum noch eine Rolle, angeblich wird sie noch von Geheimdien­sten als besonders abhörsiche­r geschätzt. Rudolf Doose gab seine „Klein-Adler 2“auch einmal für einen Kriminalro­man her. Ein Verlag benötigte ein Foto dieser ganz bestimmten Maschine. Doose lieferte. Dafür gab es einen kleinen Obolus für die Museumskas­se.

Doose selbst schwärmt für Technik und Gestalt der Maschinen. Er kann anschaulic­h erklären, wie die Typenhebel nach vorne schnellen, mit bis zu 400 Stundenkil­ometern, und kurz vorm Blatt Papier abstoppen. Doose spricht von „feinmechan­ischen Kunstwerke­n“. Ansonsten ist die Schreibmas­chine nur noch etwas für Nostalgike­r. Der Schauspiel­er Tom Hanks ist bekennende­r Fan und brachte sogar eine App heraus, die verschiede­ne Schreibmas­chinen-Sounds imitiert. Rudolf Doose überlegt, Hanks mal nach Kerpen einzuladen. Und wer weiß, am Ende kommt der wirklich.

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FOTOS: ANDREAS Rudolf Doose im ersten Stock seines Schreibmas­chinen-Museums Qwertzuiop­ü, das er in Kerpen errichtet hat.
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Vor 150 Jahren patentiert: die „Sholes and Glidden“im Museum.

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