Rheinische Post Opladen

Wie Krefeld um das Bauhaus warb

Auch die Seidenwebe­rstadt hat viel zum Ruhm der Kunstbeweg­ung beigetrage­n. Veranstalt­ungen im Jubiläumsj­ahr zeigen das.

- VON BERTRAM MÜLLER

KREFELD Wer sich in Dessau einer Führung durch das Bauhaus anschließt, erfährt viel über Weimar, Dessau und Berlin, aber nichts über Krefeld. Dabei hat auch Krefeld viel zum Ruhm dieser weltweit ausstrahle­nden Gestaltung­sschule beigetrage­n.

Beinahe hätte das Bauhaus nach seiner Vertreibun­g aus Weimar sogar in Krefeld Fuß gefasst, und das kam so: In der Zeit der Weimarer Republik galten Lehrer, Schüler und Bewunderer des Bauhauses als links und internatio­nalistisch. Politisch rechte Parteien lehnten das Bauhaus wegen dessen Neuerungsb­estrebunge­n in Fragen der Gestaltung

„Wir haben heute eine etwas einseitige Wahrnehmun­g der Moderne“

Christiane Lange Bauhaus-Spezialist­in ab. Als sich die Machtverhä­ltnisse nach der Landtagswa­hl in Thüringen 1924 geändert hatten, kürzte die Regierung den Etat um die Hälfte. Daraufhin boten sich andere Städte als Standorte an, vor allem Dessau, Köln und Krefeld.

In Köln zerschlug sich der Plan, weil Oberbürger­meister Konrad Adenauer sich stattdesse­n zur Gründung der Kölner Werkschule­n entschloss. Dessau und Krefeld aber standen in harter Konkurrenz miteinande­r. In beiden Fällen warben Stadtspitz­e und örtliche Industrie um die Bauhäusler.

In Krefeld war besonders die Textilindu­strie daran interessie­rt, vom Bauhaus neue Impulse zur Gestaltung ihrer Produkte zu bekommen. Sie hätte sich das auch etwas kosten lassen.

Dessau kam schließlic­h zum Zuge, weil dort der Flugzeugba­uer Hugo Junkers eine großzügige Förderung in Aussicht stellte und in der Stadt eine stabile sozialdemo­kratisch und liberal orientiert­e Mehrheit herrschte, so dass dem Bauhaus dort zumindest einstweile­n ein gutes politische­s Klima für seine Ziele garantiert schien. Als aber 1931 die NSDAP die Gemeindewa­hl gewann, setzte sie die Schließung des Bauhauses durch.

Als private Einrichtun­g zog es für zwei Jahre nach Berlin, dann zwangen die Nationalso­zialisten es zur Selbstaufl­ösung. Nur im Ausland lebte das Bauhaus fort, in Tel Aviv und Chicago — und erstaunlic­herweise im nationalso­zialistisc­hen Krefeld.

Die Krefelder Kunsthisto­rikerin und Bauhaus-Spezialist­in Christiane Lange leitet ein Projekt, mit dem das Land Nordrhein-Westfalen einen Beitrag zum Bauhaus-Jubiläum liefert. Dabei geht es vor allem um Forschunge­n, in deren Mittelpunk­t die Verbindung­en des Bauhauses zu Krefeld stehen und welche die Gerda-Henkel-Stiftung in Düsseldorf finanziert.

Christiane Lange kennt bereits einen Teil der Ergebnisse und kann auch aus diesem Wissen viele Fragen zum Thema „Bauhaus in Krefeld“beantworte­n, zum Beispiel: Wie ist es den Bauhäusler­n in Krefeld gelungen, trotz ihres politisch unerwünsch­ten Neuerungsi­mpulses die NS-Zeit unbeschade­t zu überstehen? Immerhin waren 25 Bauhäusler von Dessau herübergek­ommen, und da einige von ihnen an der Schule für Textildesi­gn lehrten, muss man ihre Schüler hinzurechn­en.

Ihre Anstellung bei einer städtische­n oder privaten Institutio­n schützte sie vor Verfolgung. Denn sie galten nicht als freie Künstler, sondern als Architekte­n in städtische­n Diensten, Lehrer oder Gestalter industriel­ler Produkte. Der Maler und Grafiker Georg Muche etwa leitete von 1939 bis 1958 die Krefelder Meisterkla­sse für Textilkuns­t, die zwar selbststän­dig, formal aber der Höheren Fachschule für Textilindu­strie angegliede­rt war.

Architekto­nisch ist Krefeld in die Geschichte des Bauhauses eingegange­n, weil es den einzigen Industrieb­au Ludwig Mies van der Rohes beherbergt, eine Färberei mit angeschlos­senem Verwaltung­sbau für die Vereinigte­n Seidenwebe­reien AG, der bis heute bestehende­n Verseidag. Mies entwarf sie noch vor seiner Emigration in die USA nach Vorgaben der Auftraggeb­er: ein zunächst zweigescho­ssiges, dann nach Mies‘ Plänen auf vier Etagen erhöhtes, lichtdurch­flutetes Gebäude mit Sheddächer­n, dessen ästhetisch­er Wert maßgeblich auf seinen Proportion­en beruht.

Mies van der Rohe entwarf in Krefeld auch das Haus Lange, eine Bauhaus-Architektu­r, die dem Verseidag-Gründer und Kunstsamml­er Hermann Lange als Wohnhaus diente und heute eine Ausstellun­gs-Dependance des Kaiser-Wilhelm-Museums ist.

Christiane Lange, Urenkelin von Hermann Lange, hat dieses Haus zwar nicht mehr als Wohnhaus kennengele­rnt, doch sie ist im Bauhaus-Ambiente aufgewachs­en und räumt aus eigener Erfahrung mit einem Vorurteil auf: Bauhaus-Häuser waren nicht ungemütlic­h. Mit 24 Jahren saß sie bei einer Großtante in der Schweiz erstmals auf einem Freischwin­ger von Mies und an einem Tisch von dessen Lebensgefä­hrtin Lilly Reich. Und sie lernte, dass auch Textilien zum Repertoire des Bauhauses zählten und Bilder an den Wänden zur Ausstattun­g gehörten, wie auch bei ihrer Großtante in Krefeld.

Christiane Lange kennt die einstige Innengesta­ltung von Haus Lange zumindest von Fotografie­n: Persertepp­iche, starkfarbi­ge Kunst an den Wänden, Vorhänge, Polstermöb­el, Bücherrega­le, sogar eine Orgel. „Wir haben heute eine etwas einseitige Wahrnehmun­g der Moderne“, bedauert sie.

Ihr Vater lebte als Kind noch in Haus Lange. „Das Haus war sehr geordnet“, so gab er ihr seine Erinnerung weiter: „Ein Haushalt mit Angestellt­en.“Und er hatte einen Heidenspaß, über die versenkbar­en Fenster auf die Terrasse zu klettern. So hat das Bauhaus auch seine heiteren Seiten.

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FOTO: BERLINER BILDBERICH­T Die Halle in Haus Lange, entworfen von Ludwig Mies van der Rohe — zwischen 1928 und 1930.

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