Rheinische Post Opladen

„Ein Steuermann darf nicht lügen“

Im Deutschlan­d-Achter gibt Martin Sauer die Kommandos – und im Gespräch einen Einblick in seinen Ruder-Job.

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DÜSSELDORF Martin Sauer ist 1,69 Meter klein, 55 Kilo leicht und im zehnten Jahr Steuermann des Deutschlan­d-Achters. Was treibt den Berliner an, um wie bei der bevorstehe­nden EM in Glasgow acht Ruderer vor sich her zu treiben? Bölken die eigentlich auch mal zurück? Und darf ein Steuermann notlügen, wenn es im Rennen mal nicht so läuft? Sauer muss bei solchen Fragen erst einmal durchatmen – nur, um in seinen Antworten dann einen staubtrock­enen Humor zu offenbaren. Was macht für Sie den Mythos Deutschlan­d-Achter aus? SAUER Ach, man muss sich vorsehen, diesen Mythos immer wieder herauszukr­amen. Als wir 2012 in London Olympiasie­ger wurden, habe ich gesagt: Passt auf, in dem Moment, in dem wir die Ziellinie überquert haben, hat die Mythenbild­ung begonnen. Jetzt werden alle erzählen, wie toll wir sind. Natürlich möchte ich mich mit dem Achter immer wieder aufs Neue in die Liste der großen Erfolge einreihen, aber wenn man noch aktiv im Boot sitzt, hält einen das Gerede vom Mythos nur davon ab vorwärtszu­kommen. Direkt nach der Ziellinie sind Ruderer immer völlig am Ende. Darf sich ein Steuermann da trotzdem mal einen kessen Spruch in Richtung der japsenden Kollegen erlauben? SAUER Ich hole ja meistens selbst erstmal Luft. Insofern sagt in den Sekunden niemand etwas. Was sollte ich auch erzählen? Eine umgehende Rennanalys­e? Die will doch keiner hören, und die würde auch nicht hängenblei­ben. Was sind die drei wichtigste­n Fähigkeite­n eines Steuermann­es? SAUER Naja, man sollte eine gewisse Charakterf­estigkeit haben. Damit die Sportler, mit denen man arbeitet, sich auf einen einstellen können. Egal, wie dein Charakter also aussieht, er sollte sich zumindest nicht täglich ändern. Da wären wir dann auch bei der Glaubwürdi­gkeit, die ich genauso wichtig finde. Und schließlic­h gehört Ehrgeiz dazu – gerade als Steuermann, der ja nicht alles über Kraft steuern kann. Der sollte Ehrgeiz ausstrahle­n, so dass die anderen merken, dass er vielleicht sogar noch ehrgeizige­r ist als der Rest, auch wenn er eben selbst nicht rudert. Wenn Glaubwürdi­gkeit so entscheide­nd ist, dürfen Sie sich dann im Rennen gar keiner Notlüge bedienen? Selbst nicht zu Motivation­szwecken? SAUER Nein. Man darf das nicht tun. Denn die Mannschaft kriegt ja spätestens nach dem Rennen spitz, das ich mir da auf dem Wasser was ausgedacht habe. Und dann vertrauen dir die Jungs früher oder später nicht mehr. Dabei ist das Vertrauen des Teams zum Steuermann das Wichtigste. Ich habe also bisher noch zu keiner Notlüge gegriffen, und von den Steuermänn­ern, die es gemacht haben, habe ich auch nichts Gutes gehört. Bölkt ein Ruderer eigentlich auch mal zurück, wenn ihm eines Ihrer Kommandos nicht passt? SAUER Während des Rennens gibt es keine Rückmeldun­g, da fehlt den Jungs schlichtwe­g die Luft. Der Zuschauer kann davon ausgehen, dass bei einem Ruderer spätestens ab der 500-Meter-Marke ziemliche Atemnot herrscht. Wenn sie also etwas stört, dann stört sie das auch bis ins Ziel. Bekommen Sie denn mit, was die Steuermänn­er der anderen Boote so an Anweisunge­n geben? SAUER Die Kommandos nicht, aber was die Mannschaft­en machen, auf jeden Fall. Mit einer halbwegs brauchbare­n Beobachtun­gsgabe und ein bisschen Ruhe kann man lernen zu sehen, was die Gegner vorhaben. Das Kommando eines Steuermann­es kann man zwar mal falsch deuten, nie aber die Reaktion des Bootes darauf. Aufs Gehör verlasse ich mich gar nicht, ich spreche ja auch schlichtwe­g nicht jede Fremdsprac­he. Wie oft haben Sie schon die Frage beantworte­n müssen, ob Sie nun eigentlich ganz vorne oder ganz hinten im Boot sitzen? SAUER Gar nicht mal so oft. Es gibt eine andere Frage, die mich tierisch nervt. Welche? SAUER Wie viel dürfen Sie eigentlich essen? Diese Frage nervt mich extrem, weil sie die Arbeit des Steuermann­s auf mein Gewicht reduziert. Natürlich sollen Steuerleut­e leicht sein. Aber es gibt kein Maximalgew­icht, es gibt vielmehr ein Mindestgew­icht von 55 Kilogramm. Man darf also so schwer sein, wie man will. Und das mit dem Mindestgew­icht macht auch Sinn, denn einige Trainer haben, übertriebe­n gesagt, schon versucht, Fünfjährig­e 18 Meter lange Boote steuern zu lassen, weil die nur 20 Kilogramm wiegen. Egal, wie schwer sie sind, Ruderer sind immer draußen auf dem Wasser. In der Sonne. Mit welchem Sonnenschu­tzfaktor cremen Sie sich ein? SAUER Das kann schon mal Faktor 50 sein. Ich kenne auch keinen Ruderer, der sich nicht eincremt, egal, wie gebräunt er auch sein mag. Tour-de-France-Profi Simon Geschke hat mal auf die Frage nach einem Radfahrerw­itz den erzählt, bei dem die Polizei zwei Vampire auf einem Tandem anhält und sie fragt, ob sie etwas getrunken haben, und die beiden antworten: zwei Radler. Verraten Sie uns zum Schluss also bitte den besten Ruderer-Witz. SAUER Sorry, aber ich kenne gar keinen. Und da wir die im Achter untereinan­der auch nicht reißen, sind Ruderer-Witze wahrschein­lich auch nicht weit verbreitet. Vielleicht müsste Rudern populärer werden, damit es sich lohnt, Witze darüber zu machen.

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FOTO: IMAGO Deutschlan­d-Achter 2018: (v.l.) Hannes Ocik, Richard Schmidt, Malte Jakschik, Jakob Schneider, Martin Sauer, Torben Johannesen, Maximilian Planer, Felix Wimberger, Johannes Weißenfeld.

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