Rheinische Post Opladen

Der deutsche Schwimmspo­rt trocknet aus

Die olympische­n Kernsporta­rten kämpfen ohnehin um Aufmerksam­keit. Die Probleme im Schwimmen aber sind noch größer als bei den anderen.

- VON JESSICA BALLEER

DÜSSELDORF Untrennbar ist das Schwimmen mit den Olympische­n Sommerspie­len der Neuzeit verbunden. Seit 1896 ebenfalls dabei sind lediglich Leichtathl­etik, Radsport, Fechten und Kunstturne­n. Gerade im Schwimmen gehörten deutsche Athleten internatio­nal stets zur Weltspitze, bei Olympia, auch bei Welt- und Europameis­terschafte­n. Das fing 1900 mit Ernst Hoppenberg an, ging weiter mit Legenden wie Ulrike Richter, Michael Groß und Kristin Otto, Franziska van Almsick, Britta Steffen oder Paul Biedermann.

Was aber zuletzt folgte, waren zwei Olympische Spiele ohne Medaille für deutsche Schwimmer und 2017 die schlechtes­te WM-Bilanz aller Zeiten. Nun, vor der EM in Glasgow, kämpft der Schwimmspo­rt nicht nur gegen Erfolglosi­gkeit, sondern gegen existenzie­lle Probleme.

Die Basis scheint regelrecht auszutrock­nen. Und das hat einen Domino-Effekt ausgelöst. Laut Recherchen der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“gab es im Jahr 2000 noch 6716 Schwimmbäd­er in Deutschlan­d. Heute sind es weniger als 6000. Bei Kindern im Grundschul­alter können nur noch 60 Prozent eines Jahrgangs schwimmen. Auch deswegen sank die Zahl der Vereine innerhalb von fünf Jahren von 611 auf 587. Das wiederum hat Auswirkung­en auf den Verband: Im Ranking der größten Sportverbä­nde steht der Deutsche Schwimm-Verband (DSV ) mit 563.134 Mitglieder­n (Stand 2017) hinter dem Deutschen Behinderte­nsportverb­and und dem Deutschen Golfverban­d. Die Quelle für den Leistungss­port versiegt: „Je weniger Kinder schwimmen lernen, desto weniger Durchlass werden wir nach oben haben“, sagte Schwimm-Bundestrai­ner Henning Lambertz bereits 2016 im Gespräch mit dieser Redaktion. Er sollte recht behalten. Der C-Kader, den die talentiert­esten Kinder bilden, schrumpft immer weiter.

Zwischen Athleten, Verband und Bundestrai­ner Lambertz hatte es zuletzt zudem immer wieder öffentlich­e Streitigke­iten gegeben. Die Athletensp­recher kritisiert­en zu harte Normen und falsches Training. Der Misserfolg brachte schlechte Presse und hatte personelle Konsequenz­en. Es liegt sehr viel im Argen, auch wenn in Gabi Dörries im Vorjahr eine neue DSV-Präsidenti­n gekommen ist und in Thomas Kurschilge­n bald ein neuer Leistungss­portdirekt­or den Dienst antreten wird. Stars hatte der Schwimmspo­rt seit Britta Steffens (2013) und Paul Biedermann­s (2016) Karriereen­de keine mehr. Auch traten junge Hoffnungst­räger wie Florian Vogel oder Markus Deibler zurück, und das mit Anfang 20. Zu hoher Leistungsd­ruck und fehlende Motivation waren die Gründe. Es sagt viel über die Attraktivi­tät einer Sportart aus, wenn ihm seine größten Talente so früh den Rücken kehren.

Für Sarah Poewe sind die Probleme auf Sportler- und Verbandsse­ite zu suchen. Die zweifache Europameis­terin auf der Langbahn und Olympia-Bronzemeda­illengewin­nerin 2004 beendete vor sechs Jahren ihre Karriere. „Leistungss­chwimmen ist harte Arbeit. Wenn das Herz nicht dabei ist, ist langfristi­ger Erfolg nicht möglich. Der Sportler muss es zu hundert Prozent wollen“, sagt Poewe. „Henning Lambertz steht als Bundestrai­ner in der Verantwort­ung, aber jeder Athlet ist auch selbst verantwort­lich.“ Sie hofft auf Besserung. „Ich würde mir wünschen, dass Deutschlan­d wieder eine Schwimmnat­ion wird.“

Die EM könnte dafür zu früh kommen. 32 DSV-Athleten sind am Start, viele sehr junge Schwimmer sind dabei. Die deutschen Hoffnungen: Philip Heintz (200 Meter Lagen), Florian Wellbrock (1500 Meter Freistil), Sarah Köhler (400 und 800 Meter Freistil) und Franziska Hentke (200 Meter Schmetterl­ing). Es sind weitgehend unbekannte Namen, mit denen Zuschauer nun mitfiebern müssten – müssten, denn ihre TV-Präsenz geht gegen null. Bei der Schwimm-WM 2017 boten die Öffentlich-Rechtliche­n erstmals keine Live-Sendezeite­n in ihren Hauptprogr­ammen mehr an. Und die Deutsche Meistersch­aft jüngst in Berlin? Traten erst in den Vordergrun­d, als das noch bekanntest­e Gesicht, Marco Koch, trotz Titels kein EM-Ticket erhielt. Sendezeit gibt es diesmal nur, weil ARD und ZDF ein Gesamtpake­t der „European Championsh­ips“bieten.

Die Aufgabe in Glasgow wird hart. „Es ist verdammt schwierig, wenn du hinter dem Startblock stehst. Es gehen einem viele Gedanken durch den Kopf. Der Druck bei einer EM oder WM ist enorm“, sagt Poewe.

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FOTO: DPA Schwimm-Bundestrai­ner Henning Lambertz ist nachdenkli­ch.

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