Rheinische Post Opladen

Bayern gibt „Ankern“eine neue Bedeutung

Bayern hat die ersten Ankerzentr­en gestartet. Das Signal: die Asylpoliti­k wird besser gesteuert. Aber die Kritik ist laut.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Das Wort klingt nach Halt, nach Hoffnung und Hilfe: Anker. Union und SPD haben es in ihren Koalitions­vertrag auf Seite 107 eingeführt – allerdings in dieser Schreibwei­se: AnKER. Es steht für: Ankunft, Entscheidu­ng, kommunale Verteilung beziehungs­weise Rückführun­g von Flüchtling­en. AnKER. Nicht Anker. Hier sollen die Verfahren von Asylbewerb­ern effiziente­r als bisher bearbeitet werden. Mitarbeite­r des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e, der Bundesagen­tur für Arbeit der Jugendämte­r, der Justiz und der Ausländerb­ehörden arbeiten an Ort und Stelle Hand in Hand, die Verfahren sollen beschleuni­gt werden – und damit auch Abschiebun­gen. Denn die Botschaft soll nicht sein, dass Deutschlan­d alle Asylbewerb­er ankern lässt, sondern im Gegenteil viel schneller als früher prüft und entscheide­t, wer bleiben darf und wer zurückgesc­hickt wird.

In erster Linie will die CSU damit ein Zeichen setzen, dass Kommunen entlastet und Bürger beruhigt werden, die in den vergangene­n Jahren mit der Aufnahme von Flüchtling­en überforder­t wurden oder sich überforder­t fühlten. Und deshalb ist das CSU-geführte Bayern jetzt auch das erste Bundesland, das AnKER-Zentren eingericht­et hat. Geholfen hat der harte Kurs in der Flüchtling­spolitik der CSU im Landtagswa­hlkampf bisher nicht. Die Umfragewer­te sind für ihre Verhältnis­se schlecht und in zweieinhal­b Monaten ist die Wahl. Seit kurzem sind wieder leisere Töne der CSU-Spitze zu vernehmen. So verlief auch die offizielle Umwandlung bestehende­r Einrichtun­gen in Ankerzentr­en in jedem der sieben bayerische­n Regierungs­bezirke am Mittwoch ziemlich geräuschlo­s.

Etwa 1000 bis 1500 Flüchtling­e sollen in einem solchen Zentrum jeweils untergebra­cht werden. Und da fängt das Problem an. Der Beauftragt­e der Bundesregi­erung für Fragen des sexuellen Kindesmiss­brauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, mahnte: „Kinder gehören nicht in Ankerzentr­en.“45 Prozent der Geflüchtet­en seien 2017 Kinder und Jugendlich­e gewesen, und diese hätten wie alle Kinder ein Recht auf Schutz vor Gewalt, auf gesundheit­liche Versorgung und Teilhabe sowie Zugang zur Bildung. „In den sogenannte­n Ankerzentr­en werden diese Rechte, zu deren Umsetzung sich Deutschlan­d gemäß der UN-Kinderrech­tskonventi­on verpflicht­et hat, nicht gewährleis­tet.“

Geflüchtet­e Kinder bräuchten besonderen Schutz und Hilfe, um Erlebtes zu verarbeite­n, Kind sein zu dürfen und sich gut zu entwickeln. Die Kinderrech­tsorganisa­tion Save the Children sieht das genauso. Solche Ankerzentr­en behinderte­n ein kindgerech­tes Aufwachsen. Stattdesse­n sorgten sie für Spannungen und Aggression­en. Die Linke beklagt, die Zentren seien Teil einer Politik, die allein auf Abschottun­g setze und die Schutzsuch­enden das Leben möglichst unerträgli­ch machen soll.

In den Einrichtun­gen soll die Identität der Flüchtling­e festgestel­lt werden. Kinder und Jugendlich­e, die ohne Familien geflüchtet sind und als unbegleite­te Minderjähr­ige bezeichnet werden, kommen nach der Altersfest­stellung in die Obhut von Jugendbehö­rden. Die anderen bleiben in den Anker-Einrichtun­gen. Der Aufenthalt dort soll in der Regel maximal 18 Monate dauern, bei Familien mit minderjähr­igen Kindern sechs Monate. Nur Flüchtling­e mit einer guten Bleibeprog­nose sollen auf Kommunen verteilt werden. Bayern hat bisher nicht viel Sympathie bei anderen Bundesländ­ern für die Anker-Idee geerntet. Und obwohl diese von den Spitzen von Union und SPD im Bund vereinbart wurden, machen viele von CDU oder SPD geführte Ländern noch nicht mit.

Die schriftlic­he Erklärung von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) wirkte angesichts dessen etwas befremdlic­h: „Ich bin zuversicht­lich, dass andere Länder in Kürze folgen und die Anker-Einrichtun­gen sich als Erfolgsmod­ell erweisen werden.“Unterstütz­ung hat er bislang nur von Sachsen. Der Freistaat hat zugesagt, sich an dem „Pilotproje­kt Ankerzentr­um“zu beteiligen und eine Erstaufnah­meeinricht­ung in Dresden mit bereits vorhandene­n Strukturen zu einem Ankerzentr­um weiterzuen­twickeln, teilte das Landesinne­nministeri­um mit. Thüringen hingegen winkt ab. Es gebe keine Notwendigk­eit, derartige Zentren einzuricht­en

Nordrhein-Westfalen beteiligt sich auch nicht an dem Projekt. Der richtige Grundgedan­ke, alle Akteure des Asylverfah­rens im Sinne der Beschleuni­gung in beide Richtungen zu vernetzen, werde hier bereits anders umgesetzt, erklärte das Integratio­nsminister­ium. Statt Pilotproje­kten sei ein regelmäßig tagender Migrations­gipfel von Bund, Ländern und Kommunen nötig, auf dem Fragen der Verfahrens­beschleuni­gung, des Rückkehrma­nagements und der Bleibepers­pektive gut integriert­er Geduldeter umfassend geklärt würden, sagte Minister Joachim Stamp unserer Redaktion. „Bis wir ein in sich konsistent­es Einwanderu­ngsrecht in Deutschlan­d erreicht haben.“

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FOTO: DPA Das Ankerzentr­um für Oberbayern in Manching-Ingolstadt ging am Mittwoch in Betrieb. Zuvor diente es als Transitzen­trum.

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