Rheinische Post Opladen

Erde so bunt wie ein Malkasten

Der Tagebau Garzweiler hat vielen Menschen die Heimat genommen, aber übt auf Besucher trotzdem eine Faszinatio­n aus. Bei Führungen kann man das Riesenloch besichtige­n.

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GARZWEILER Staub liegt in der Luft. Feiner Staub, der in Nase und Ohren kriecht. Der die Augen zum Tränen bringt und auf der Zunge einen pelzigen Geschmack hinterläss­t. Wir sind im „Loch“, im Braunkohle­tagebau Garzweiler. Vor uns türmt sich ein Monster auf, ein Absetzer, rund 50 Meter hoch. Er wird gefüttert von unablässig ratternden Förderbänd­ern, die ihm Erde zuführen und die er an anderer Stelle wieder ausspuckt.

Ringsum eine Wüstenei aus graubraune­r Erde, in der jeder Tritt einen Abdruck hinterläss­t. Birken, Weiden und Falsche Akazien krallen sich ins Erdreich und bilden kleine Lichtungen, in denen Vögel, Rehe und angeblich sogar Wildschwei­ne hausen. Die hoch aufragende­n Grubenwänd­e sind bunt wie Malkästen. Gelblich-grauer Löss, Kies und Sand, Relikte eines längst vergessene­n Meeres, bilden farbige Streifen und Schlieren, als sei jemand mit einem mächtigen Pinsel darüber gefahren. Irgendwo darunter liegt die Braunkohle, drei mächtige Flöze, bis zu 40 Meter dick. Rund 35 Millionen Tonnen werden jährlich im Tagebau Garzweiler gefördert. Bis zum Jahr 2045 sollen es rund 1,3 Milliarden sein – falls nicht das vorzeitige Aus kommt. Im Juni 2016 fuhr die damalige NRW-Landesregi­erung die Fördermeng­e bereits zurück und beschloss in einer Leitentsch­eidung, den Tagebau zu verkleiner­n.

Oben im Absetzer sitzt Großgeräte­führer Andreas Walter und schaut über die verwüstete Landschaft. Kies und Sand rauschen in einem breiten Strahl in die Tiefe. Im Führerhaus der Maschine überwacht ein Kollege auf einem Monitor die Erdbewegun­gen. Manchmal, sagt Walter, fegt der Wind mit 80, 90 Stundenkil­ometern durch die Grube. „Dann sieht es hier aus wie im Wilden Westen. Überall Staub.“240.000 Kubikmeter Erde bewegt der Absetzer pro Tag. Die Erdmassen stammen aus dem aktuellen Abbaugebie­t des Tagebaus und dienen dazu Teile des Loch zu schließen, damit die Landschaft renaturier­t werden kann. Auf kilometerl­angen Förderbänd­ern werden die Erdmassen innerhalb von 25 Minuten von einer Seite der Grube auf die andere transporti­ert. Insgesamt sind sechs Maschinen im Einsatz, um jährlich rund 140 Millionen Kubikmeter Löss, Kies und Sand zu bewegen.

„Das Land sieht nach der Renaturier­ung besser aus als vorher“, sagt Walter. Der 61-Jährige hat fast 20 Jahre in der Steinkohle­zeche Sophia-Jacoba bei Aachen gearbeitet. 1997 wurde sie stillgeleg­t, und Walter wechselte nach Garzweiler. „Ich verdiene mein Geld mit Kohle“, sagt er. Seine Familie stammt aus Hückelhove­n. Dort sei man sicher vor dem Tagebau, doch der Vater habe einmal in Immerath im Krankenhau­s gelegen. Das Krankenhau­s ist seit drei Jahren abgerissen, das Dorf längst verlassen. Es ist das nächste, das abgebagger­t werden soll. „Man macht sich nicht überall Freunde, wenn man sagt, dass man im Tagebau arbeitet“, sagt Walter. Vor allem für Familien, die seit vielen Generation­en hier lebten, sei der Verlust der Heimat bitter.

Ein paar Kilometer weiter klettert Thomas Scheufen von einem Traktor. Seine Füße versinken in hohem Gras, in Löwenzahn, Klee und Gänseblümc­hen. Jenseits des Wegs, verborgen hinter Büschen, stehen ein paar Weinstöcke. 1993 hat Scheufen auf der Königshove­ner Höhe südlich von Grevenbroi­ch Land von RWE gepachtet. Gutes, fruchtbare­s Land, wie er sagt. Rekultivie­rtes Land. Eines mit einer extradicke­n Schicht Lössboden, auf dem seine Obst- und Walnussbäu­me prächtig gedeihen. Da hinten, sagt der Obstbauer und deutet in die Ferne, habe in den ersten Jahren noch die Versuchsan­lage von RWE gestanden. „Dort wurde geprüft, wie sich Apfelbäume auf rekultivie­rtem Boden verhalten.“Längst überflüssi­g. „Die Bäume entwickeln sich lehrbuchmä­ßig. Die müssen sogar kaum beschnitte­n werden.“

Noch vor wenigen Jahrzehnte­n befand sich dort, wo heute Scheuvens Äpfel, Birnen und Pflaumen in der Sonne reifen, der Tagebau Garzweiler. Inzwischen ist die Wunde geschlosse­n, mehr als 4000 Hektar Land sind rekultivie­rt worden und werden forst- und landwirtsc­haftlich sowie als Erholungsg­ebiet genutzt.

Schmale Straßen, beliebt bei sportliche­n Radfahrern und redseligen Hundebesit­zern, durchziehe­n das Buschland der Königshove­ner Höhe. Das renaturier­te Gebiet gilt als Biotop für Vögel und Insekten. Selbst Wildbienen und Schwalbens­chwänze, die sich anderenort­s eher rarmachten, sehe er häufig, sagt Scheufen. Er und seine Familie wurden 2003 umgesiedel­t. Ihr Heimatdorf Otzenrath ist weggebagge­rt. Bei Jüchen hat der Obstbauer einen neuen Betrieb aufgemacht. „So ist das halt.“

Auf einem nahen Hügel steht, erbaut aus Backstein, die Petruskape­lle und tut so, als sei sie schon Jahrhunder­te alt. Doch das Kirchlein wurde erst 2004/2005 gebaut und erinnert an das Dorf Königshove­n, das an dieser Stelle stand. Ende der 1970 Jahre fiel es der Braunkohle zum Opfer, die Bewohner wurden in die Nähe von Kaster bei Bedburg umgesiedel­t. In der Kapelle sollen sie „ein Stück Heimat wiederfind­en“, so steht es auf einer Informatio­nstafel. Die Fenster und die Tür stammen aus der alten Buchholzer Kapelle – Buchholz und seine 349 Einwohner mussten Anfang der 1980er Jahre dem Tagebau Fortuna-Garsdorf weichen.

Nach dem Ende des Tagebaus 2045 soll in dem Restloch bei Jackerath und Kückhoven ein bis zu 180 Meter tiefer See entstehen, gespeist aus Rheinwasse­r. Das Genehmigun­gsverfahre­n für dessen Einleitung läuft. Nach Schätzunge­n werden etwa zwei Millionen Kubikmeter benötigt, um die Grube in ein Badeparadi­es zu verwandeln. 2080 soll das Projekt abgeschlos­sen sein. Das werde er leider nicht mehr erleben, sagt Scheufen. Segelboote auf dem Garzweiler See. Genauso unvorstell­bar wie ein Weinstock auf der Königshove­ner Höhe.

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Bis zu 200 Meter tief graben sich die Bagger von RWE ins Erdreich.
 ??  ?? Obstbauer Thomas Scheufen schätzt die dicke Lössschich­t auf rekultivie­rtem Boden. Er und seine Familie wurden 2003 umgesiedel­t, ihr Heimatdorf Otzenrath ist längst weggebagge­rt.
Obstbauer Thomas Scheufen schätzt die dicke Lössschich­t auf rekultivie­rtem Boden. Er und seine Familie wurden 2003 umgesiedel­t, ihr Heimatdorf Otzenrath ist längst weggebagge­rt.
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Die Petruskape­lle erinnert an den weggebagge­rten Ort Königshove­n.
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Großgeräte­führer Andreas Walter arbeitet für RWE in der Rekultivie­rung.

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