Rheinische Post Opladen

Weniger wäre mehr

- VON KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL

ANALYSE Debatten über Länderfusi­onen verlaufen regelmäßig im Sande, weil die Neuglieder­ung rechtlich schwer durchsetzb­ar wäre. Dabei wären weniger Bundesländ­er ökonomisch und auch politisch vorteilhaf­t.

Sechzehn Bundesländ­er sind sechs bis zwölf zu viel – diese Idee treibt Politiker und Ökonomen schon seit der Gründung der Bundesrepu­blik vor 70 Jahren um. Viel wurde darüber gestritten, immer verlief die Diskussion im Sande. Doch wenn ein ehemaliger Ministerpr­äsident vorschlägt, sein eigenes Heimatland mit dem Nachbarlan­d zu fusioniere­n, horcht die geneigte Öffentlich­keit doch wieder auf. So geschehen in dieser Woche. Der frühere rheinland-pfälzische Regierungs­chef Kurt Beck (SPD) wagte zu sagen, sein Bundesland könne mit dem Saarland zusammenge­hen. „Im Saarland gibt es einen saarpfälzi­schen Teil, der mit der Pfalz eine gefühlte und traditione­lle Einheit bildet. Und es gibt den moselfränk­ischen Bereich, der sich bis Trier zieht. Deshalb könnten Sie aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz eine neue Einheit formen, ohne dass die Menschen das innerlich ablehnen würden“, sagte der heutige Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung. „Ähnliche Verbindung­en finden sich bei Berlin und Brandenbur­g oder im Norden Deutschlan­ds.“

16 Bundesländ­er unterhalte­n 16 Regierunge­n, Parlamente und Verwaltung­en, Bildungssy­steme und unterschie­dliche Regulierun­gen etwa im Baurecht. Dass das zu Reibungsve­rlusten und Mehrausgab­en führt, ist augenschei­nlich. Die Frage nach der Existenzbe­rechtigung eines Landes stellt sich vor allem, wenn es dauerhaft nicht in der Lage ist, genug eigene Einnahmen zur Erfüllung seiner Aufgaben zu erwirtscha­ften. Das ist beim Saarland und Bremen so. Aber bis auf Bayern, Baden-Württember­g, Hamburg und mit Abstrichen auch noch Sachsen und Nordrhein-Westfalen sind alle übrigen mehr oder weniger dauerhaft abhängig von Finanzhilf­en des Bundes und der Ländergeme­inschaft. Auch deshalb gab es in der Vergangenh­eit immer wieder radikale Vorschläge: Bis auf die südlichen Länder und NRW sollten alle übrigen irgendwie miteinande­r verschmolz­en werden.

Die Länderchef­s reagieren meist abwehrend. Sie wollen sich nicht den eigenen Ast absägen. „Kooperatio­nen sind notwendig, und wir haben eine sehr gute Zusammenar­beit mit Hamburg“, sagt Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU). „Ich möchte mir über Fusionen von Ländern aber keine vertieften Gedanken machen.“Es ergäben sich „bei uns gar keine großen zusätzlich­en Spareffekt­e bei einer Zusammenle­gung. Eine Fusion hätte eher den negativen Effekt, dass Identitäte­n Die aktuelle Variante mit 16 Bundesländ­ern Beim Neun-Länder-Modell des FDPPolitik­ers Walter Döring gibt es mehrere Länderfusi­onen. aufgegeben würden.“Auch Kurt Becks Nachfolger­in im Amt, Malu Dreyer (SPD), wehrt ab: „Eine Länderfusi­on ist aus meiner Sicht auf absehbare Zeit kein Thema.“

Den Länderchef­s kommt die Verfassung­slage entgegen. Damit eine Länderfusi­on zustande käme, müssten nämlich nach dem Grundgeset­z die Bevölkerun­gen der beteiligte­n Länder per Volksentsc­heid zustimmen. Berlin und Brandenbur­g unternahme­n 1996 den Versuch zu fusioniere­n, doch in Brandenbur­g kam die erforderli­che Mehrheit nicht zustande. Die bislang einzig gelungene Neuglieder­ung war 1952 die Fusion der Länder Baden, Württember­g-Baden und Württember­g-Hohenzolle­rn zum Land Baden-Württember­g.

Für mehr Länderfusi­onen werden vor allem ökonomisch­e Gründe angeführt. „Eine Länderneug­liederung wäre sinnvoll und geboten, um knappe öffentlich­e Mittel für andere Aufgaben, wie bessere Bildungsfi­nanzierung, Infrastruk­tur oder Verteidigu­ng, verwenden zu können“, sagt der FDP-Wirtschaft­spolitiker Michael Theurer. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung war 1995 zum Ergebnis gekommen, dass durch eine Fusion allein die Verwaltung­sausgaben der Länder Berlin und Brandenbur­g um jährlich eine Milliarde Euro sinken könnten. Es gebe wegen der Ländergren­zen aber auch „staatliche Dysfunktio­nalitäten“, sagt Theurer. Er nennt als Beispiel „die unendliche Geschichte um den Berliner Großflugha­fen“, der seit 20 Jahren auch deshalb nicht eröffnet werden konnte, weil sich zwei Landesregi­erungen nicht immer einig sind.

Die Neuglieder­ung liege auch im Interesse der Länder selbst. Denn Herausford­erungen wie Terrorismu­s-Bekämpfung, Digitalisi­erung, Migration oder die Bildungsfi­nanzierung könnten viele Länder kaum allein bewältigen, der Ruf nach einer stärkeren Zentralisi­erung von Aufgaben beim Bund werde lauter. „Um diesen Zentralisi­erungstend­enzen den Wind aus den Segeln zu nehmen, sind mutige Reformen notwendig“, sagt Theurer. Eine Neuglieder­ung könne zudem verhindern, so der Darmstädte­r Politikwis­senschaftl­er Arthur Benz, „dass das politische Gewicht kleiner Länder weiter sinkt“.

Michael Hüther, der Chef des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, macht sich dagegen keine Illusionen. Ökonomisch würde eine Neuglieder­ung zwar Sinn ergeben, doch politisch und gesellscha­ftlich stehe zu viel dagegen. „Der Verlust an kulturelle­r Tradition und Identität ist höher zu gewichten. Verwaltung­seffizienz als Argument tritt dann in den Hintergrun­d.“

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