Rheinische Post Opladen

„Normalisie­rung zwischen CDU und Linken“

Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident zu Koalitione­n mit der Linken im Osten, Sehnsucht nach Robert Habeck und Jamaika im Bund.

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BERLIN Daniel Günther ist der Shootingst­ar der CDU. Vor der Landtagswa­hl 2017 kannte ihn kaum jemand, heute gehört er zum engeren Kreis der Kanzlerin. Der 45-Jährige denkt quer und mischt die Partei auf. Herr Günther, muss die Partei von Angela Merkel nicht eine Frauenquot­e einführen, damit unterhalb der Chefinnen-Ebene mehr Frauen politische Ämter übernehmen? GÜNTHER Ich war früher klar gegen eine Frauenquot­e, heute bin ich dafür offen. Die Erfahrung auch in der CDU ist, dass es mit Freiwillig­keit und Appellen nicht getan ist. Eine moderne Partei muss die Macht hälftig an Männer und Frauen verteilen. Wenn es mit Freiwillig­keit nicht geht, muss es eine Quote geben. Unser Hauptprobl­em würde damit aber nicht gelöst werden. Wir können dafür sorgen, dass Frauen zu 50 Prozent in den Gremien, auf den Wahllisten und im Kabinett vertreten sind. Eine Quote würde aber bei den Kandidaten in den Wahlkreise­n nicht helfen. Wir können nicht erzwingen, dass eine Frau in einem Wahlkreis antritt. Da hilft nur Unterstütz­ung aus der Parteiführ­ung. Welche Lehre ziehen Sie aus der Erfahrung, dass CDU und CSU am Asylstreit fast zerbrochen wären? GÜNTHER Die CDU muss auf ihre eigene Stärke setzen. Wir sind der größere Teil. Die CDU muss sich klar in der Mitte positionie­ren und ihre unterschie­dlichen Flügel darstellen. In der Sicherheit­spolitik und in der Bildungspo­litik müssen wir einen konservati­ven Kurs fahren und in der Gesellscha­ftspolitik liberales Profil zeigen. Damit hat die CDU die Chance, als Volksparte­i mit einem Potenzial um die 40 Prozent zu bestehen. Mit den Schlachten der Vergangenh­eit können wir nichts gewinnen. Kommt nach dem Desaster jetzt wieder Ruhe in die Union? GÜNTHER Wir orientiere­n uns nicht an der CSU. Der Streit war heilsam für alle Beteiligte­n. Wir sind in Umfragen regelrecht eingebroch­en. Daran kann niemand ein Interesse haben. Ganz unabhängig von Landtagswa­hlen. Im Osten sind AfD und Linke stark. Brandenbur­gs CDU-Chef Senftleben will nach der Wahl 2019 mit beiden reden. Wie stehen Sie dazu? GÜNTHER In Ostdeutsch­land ist die Parteienla­ndschaft anders als im Westen. Ich habe für Ingo Senftleben Verständni­s. Die Linksparte­i ist im Westen anders strukturie­rt. In Schleswig-Holstein ist sie für mich kein Gesprächsp­artner. Ich bin aber kein Ideologe. Der Austausch der Argumente gehört in der Demokratie dazu. Und fast 30 Jahre nach dem Mauerfall gibt es auch durch eine Reihe regionaler Kooperatio­nen ein gutes Stück Normalisie­rung zwischen CDU und Linken. Das gibt Ingo Senftleben richtig wieder. Ist das kein Tabubruch? GÜNTHER In ostdeutsch­en Landesverb­änden ist das eine ganz andere Situation. Es spiegelt das Lebensgefü­hl der Menschen nicht wider, wenn Parteien nicht ausloten, ob sie inhaltlich zusammenar­beiten können. Wenn da vernünftig­e Menschen in der Linksparte­i am Werk sind, vertut man sich nichts damit, nach vernünftig­en Lösungen zu suchen. Es wäre gut, auf Scheuklapp­en zu verzichten. Wenn Wahlergebn­isse es nicht hergeben sollten, dass gegen die Linke eine Koalition gebildet wird, muss trotzdem eine handlungsf­ähige Regierung gebildet werden. Da muss die CDU pragmatisc­h sein. Und die AfD? GÜNTHER Da bin ich sehr skeptisch. Mir fallen aus jedem Bundesland Äußerungen von führenden AfD-Politikern ein, wo jedes Gespräch vollkommen unmöglich ist. Sind Sie für die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t oder die Einführung einer Dienstpfli­cht für alle? GÜNTHER Ich bin gegen eine Pflicht. Ich bin für Freiwillig­keit. Die eine Frage ist, was die Bundeswehr braucht. Heute reden wir nicht mehr über Landesvert­eidigung, sondern über spezialisi­erte Aufgaben, militärisc­he Aufträge im Ausland. Die andere Frage ist die Verpflicht­ung eines jeden Bürgers gegenüber seinem Land. Diese Diskussion ist klug und wichtig. Sollte es für das Ehrenamt ein Bonussyste­m geben? GÜNTHER Das ist eine wirklich spannende Überlegung. Da gibt es Ideen, die noch in den Kinderschu­hen stecken, etwa die kostenlose Nutzung des öffentlich­en Nahverkehr­s oder freier Eintritt in Kultureinr­ichtungen. Das kann ich mir nicht nur in einem CDU-Grundsatzp­rogramm, sondern auch in der praktische­n Umsetzung gut vorstellen. Versündigt sich die CDU an der Umwelt, indem sie das Klimaziel 2020 verfehlt und den Braunkohle­ausstieg nicht beschleuni­gt? GÜNTHER Wir baden aus, dass wir uns zu viel Zeit genommen haben und weiter nehmen. Allen muss klar sein, dass wir unser Leben verändern müssen und der Klimawande­l keine Spinnerei ist. Wir müssen sehr viel schneller – wie wir in Schleswig-Holstein – auf regenerati­ve Energien umstellen und uns ehrgeizige Ziele setzen. Die Kohlekommi­ssion der Bundesregi­erung muss schnell arbeiten und ihren Auftrag erfüllen, Ökonomie und Ökologie zusammenzu­bringen. Wird Ihnen der Grünen-Vorsitzend­e Robert Habeck als Landesmini­ster in Kiel fehlen? GÜNTHER Ja, er wird mir fehlen. Ich hätte mir gewünscht, er wäre hier geblieben. Er wird es auf Bundeseben­e gut machen. Schwarz-Grün 2021 im Bund? GÜNTHER Ich habe mir auf Bundeseben­e Jamaika gewünscht. Die drei Parteien passen richtig gut zusammen. Mir liegen nicht nur die Grünen am Herzen, sondern auch die FDP. Das ist einfach ein kluges Bündnis. Da sind Menschen, auf die man sich verlassen kann. Und wenn Jamaika 2021 auf Bundeseben­e gelingen kann, dann wäre das für Deutschlan­d das beste Modell. Ich bin mir sicher, dass in allen Parteien das Bedauern über die gescheiter­ten Verhandlun­gen im November 2017 groß ist, auch wenn das im Moment keiner so richtig zugeben mag. Mit Habeck, FDP-Chef Christian Lindner und Daniel Günther an der Spitze im Bund? GÜNTHER 2021 bin ich hoffentlic­h weiter erfolgreic­her Ministerpr­äsident einer Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein und werde mich auf die Landtagswa­hl 2022 vorbereite­n.

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FOTO: DPA Ganz cooles Shirt, allerdings in die Hose gesteckt: Daniel Günther (45) Anfang August beim Heavy-Metal-Festival im schleswig-holsteinis­chen Örtchen Wacken.

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