Scheitern muss erlaubt sein
Die Digitalisierung ist für Continental und Trivago Alltag. Doch wie sieht die Arbeit der Zukunft aus?
HANNOVER Die Szenerie passt perfekt für Gespräch über die Digitalisierung: Anstatt sich in einem Konferenzraum gegenüber zu sitzen, sind Ariane Reinhart und Anna Drüing per Live-Stream verbunden. Beide sind für den Bereich Personal zuständig, die eine beim 150 Jahre alten Auto-Zulieferer Continental, die andere bei der 2005 gegründeten Hotel-Suchmaschine Trivago. Wir sprechen gleich darüber, welche Unterschiede es noch gibt, wenn sich etablierte Unternehmen wie Start-ups ausrichten und Startups wiederum zu Konzernen werden. Aber vorab eine Frage: Wäre es denkbar, dass ein Continental-Vorstand in Elternzeit geht? Reinhart Wieso sollte das nicht möglich sein? Weil Continental ein weltweit tätiger Konzern mit mehr als 243.000 Mitarbeitern ist. Da läge es ja nahe zu sagen: Sorry, für Kinderbetreuung bleibt als Vorstand keine Zeit. Reinhart Das würde ich nicht sagen, viele Männer bei uns im Vorstand haben ja auch selbst Kinder. Letztlich gibt es solche Beschränkungen nur im Kopf. Bevor ich meinen Job angetreten habe, hat unser Finanzvorstand mein Ressort interimsweise mitbetreut. Wenn das funktioniert, geht auch Elternzeit als Vorstandsmitglied. Ich könnte mir sogar Möglichkeiten wie Job-Sharing bei Vorständen vorstellen. Wir führen dieses Gespräch ja auch deshalb per Video-Konferenz, weil Sie, Frau Drüing, junge Mutter sind und daher momentan Reisen vermeiden. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen der Rolle als Mutter und als Führungskraft? Drüing Das ist in der Tat eine Herausforderung. Man lernt, zu delegieren. Und man arbeitet wahrscheinlich schon effizienter, weil man immer einen guten Grund hat, abends früh nach Hause zu gehen. Bei Trivago bestimmen die Mitarbeiter selbst, wie lange sie arbeiten oder wie viele Urlaubstage sie nehmen wollen. Das wäre bei Conti nicht nicht möglich, oder? Immerhin sprechen bei Ihnen auch noch Gewerkschaften mit. Reinhart Trotzdem gucken wir uns natürlich immer wieder mal was von Start-ups ab. Wir passen es dann allerdings auf unsere Bedürfnisse an. Im Gegensatz zu Start-ups arbeiten bei uns schließlich 60 Prozent der Mitarbeiter in Fabriken. Trotzdem haben wir zum Beispiel gesagt: Wir wollen das erste Großunternehmen sein, dass allen Mitarbeitern flexible Arbeitszeiten ermöglicht. Bei uns hat jeder Mitarbeiter Anspruch auf ein Sabbatical, Teilzeit, Job-Sharing, aber auch auf Homeoffice und mobiles Arbeiten. Wie soll denn der Fabrikarbeiter von zuhause aus arbeiten? Reinhart Das geht natürlich nicht, der Mitarbeiter kann die Reifen oder Fahrerassistenzsysteme ja schlecht zuhause fertigen. Aber wir können in der Produktion andere Arten von Flexibilität ermöglichen. Welche denn? Reinhart Es gibt verschiedene Modelle. Eins haben wir von unserem Standort in Frankreich übernommen. Dort können Mitarbeiter über Monate auf ein Arbeitszeitkonto einzahlen, um dann eine Art Mini-Sabbatical zu nehmen. So können sie zum Beispiel im Sommer ihre Kinder betreuen. Das ist auch Flexibilität; genauso, wie wenn wir es ermöglichen, dass ein Mitarbeiter bei der Schicht erst um 7.30 Uhr da sein muss, so dass er sein Kind noch in die Kita bringen kann. Wir sind stolz darauf, diese Modelle mit unseren Sozialpartnern umgesetzt zu haben. Wie lösen Sie das? Drüing Unser Team kann – wie erwähnt – selbst bestimmen, wo und wann es am effizientesten ist. Wir versuchen, eine Atmosphäre zu schaffen, die sie dazu inspiriert, ins Büro zu kommen und uns als Personalabteilung als Vertretung der Mitarbeiter zu sehen. Wenn jemand sich an irgendetwas stört und eine bessere Lösung hat, dann geben wir ihm einfach die Möglichkeit, es umzusetzen. Millennials ticken einfach anders. Der Altersschnitt liegt bei Trivago bei knapp 30 Jahren… Drüing (lacht) Ja, da liege ich inzwischen leicht drüber… Wir haben zwar auch Mitarbeiter, die schon 60 Jahre alt sind, aber das ist eher die Ausnahme. Die meisten sind Uni-Absolventen, die ihren ersten Job machen und dann für etwa zwei bis drei Jahre bei uns bleiben, andere für mehr als ein Jahrzehnt – aber wir existieren ja auch erst seit 2005. Reinhart Wirklich? Das ist bei uns ganz anders. Wenn Sie zum Beispiel am autonomen Fahren arbeiten, dann ist diese Aufgabe so hochspezialisiert, dass sie Mitarbeiter brauchen, die sich über Jahre um das Thema kümmern. Weltweit sind unsere Mitarbeiter im Schnitt neun Jahre bei uns, in Deutschland sogar 14. Bei einer Jubilar-Feier haben wir zuletzt einen Mitarbeiter ausgezeichnet, der 42 Jahre bei Continental ist. Drüing Uns ist es natürlich auch wichtig, dass die Leute lange bleiben, solange sie motiviert sind. Das ist der Idealfall. Aber wenn jemand nicht mehr für das Thema brennt, würden wir zuerst gucken, ob intern eine andere Rolle passt. Wenn jemand aber das Gefühl hat, seine Lernkurve bei Trivago hat ein Ende erreicht, ist es aus unserer Sicht ehrlich und unterstützenswert, den Mitarbeiter auf dem Weg in ein anderes Unternehmen zu begleiten. Und natürlich gibt es auch Fälle, in denen Mitarbeiter einfach wieder in ihr Heimatland zurück wollen. Bei uns arbeiten immerhin Mitarbeiter aus mehr als 60 Nationen. Das kann ich auch total nachvollziehen. Wie sieht denn der Frauenanteil aus? Momentan sind Informatiker ja in der Regel männlich. Drüing Das stimmt, bei unseren Software-Leuten liegt der Frauenanteil nur bei 20 bis 30 Prozent. Damit sind wir allerdings besser als die meisten Tech-Firmen im Silicon Valley, bei denen liegt der generelle Frauenanteil bei einem Drittel, während er bei uns fast bei der Hälfte liegt. Reinhart Alle Achtung. In der Software-Entwicklung liegt der Frauenanteil in Deutschland bei uns bei zehn Prozent, in Rumänien, China oder Indien bei knapp 30 Prozent. Ich habe gehört, dass sich Mitarbeiter bei Trivago gegenseitig einen Bonus zahlen können. Ist das so? Drüing Ja. Das beruht auf der Erkenntnis, dass es glücklicher macht, anderen etwas zu schenken, als selbst etwas zu bekommen. Deswegen können sich unsere Mitarbeiter gegenseitig belohnen. Dazu dankt man dem Kollegen öffentlich in unserem Intranet – und dieser bekommt 50 Euro gutgeschrieben. Zusätzlich haben wir noch Ad-hoc-Boni, die Führungskräfte vergeben können, wenn ein Projekt abgeschlossen wurde. Die variieren zwischen ein paar hundert und ein paar Tausend Euro. Ziel ist, damit spontane Anerkennung für eine außerordentliche Leistung zu zeigen. Das macht aus unserer Sicht mehr Sinn als Boni zu versprechen, die nach einer bestimmten Arbeit gezahlt werden. Wie läuft das denn bei Ihnen? Reinhart Wir schütten neben variablen Vergütungen für Führungskräfte am Ende eines Jahres weltweit an alle Mitarbeiter einen Bonus aus, weil wir sagen, dass Erfolg immer eine Team-Leistung ist. Mit einem System, in dem sich Mitarbeiter gegenseitig Prämien geben und wir am Ende sehen können, wer aus Kollegensicht überflüssig ist, weil er leer ausgeht, hätte ich meine Probleme. Was braucht es generell, um Innovationen zu fördern? Drüing Wir setzen darauf, dass unsere Mitarbeiter wie Unternehmer denken. Scheitern ist erlaubt – aber am Besten schnell und günstig. Bei unseren „Fuck-upFridays“sprechen wir dann darüber, was wir besser machen können. Reinhart Das machen wir auch, wir nutzen aber lieber ein anderes F-Wort und sagen „Failure Night“(lacht).