Rheinische Post Opladen

„Mathematik ist viel mehr als Rechnen“

Das Ausnahmeta­lent Peter Scholze profitiert­e auch von der Förderung an einer speziellen Mathematik-Schule in Berlin.

- VON WOLFGANG PICHLER

BONN Pädagogisc­he Größe ist, wenn ein Lehrer anerkennt, seinem Schüler nichts mehr beibringen zu können. Der Mathematik­professor Michael Rapoport, einst Doktorvate­r des neuen Bonner Fields-Medaillist­en Peter Scholze, zeigt diese Größe. „Er ist der bessere Mathematik­er als ich, er hat tiefere Einblicke als ich, er hat den besseren Überblick“, sagt er. Wie die Studenten hole auch er selbst sich mittlerwei­le Rat bei Scholze: „Er ist inzwischen mein Lehrer.“

Rapoport weist die gängige Frage zurück, welchen „Nutzen“solch mathematis­che Grundlagen­forschung wie Scholzes „Perfektoid­en Räume“

Der Aspekt der Nützlichke­it ist in der Mathematik nicht immer so wichtig

eigentlich habe: „Nicht die Nützlichke­it ist der Grund, warum das toll ist, sondern das geistige Ideengebäu­de.“Einer der Grundstein­e für dieses Ideengebäu­de des Ausnahmema­thematiker­s war es, dass er eine Ausnahmesc­hule besuchen konnte. Scholze ist (Rapoport ebenso) Absolvent der Heinrich-Hertz-Schule in Berlin (heute Gymnasium, zu DDR-Zeiten „Erweiterte Oberschule“). In mehreren Schritten baute der ostdeutsch­e Staat sie von 1963 bis 85 zur in allen Klassen mathematis­ch orientiert­en Spezialsch­ule aus, mit speziellen Lehrplänen und Abituraufg­aben; dies blieb so auch nach der Wende.

„Meine Zeit an der Heinrich-Hertz-Schule war für mich prägend und hat sehr zu meiner Entwicklun­g beigetrage­n“, schrieb Scholze später. „Freunde aus der ehemaligen BRD berichten mir oft leidend von ihrer Schulzeit und blicken neidisch auf die Profilschu­len in Berlin und der ehemaligen DDR. Diese Schulen sind ein Glücksfall, und ich hoffe, dass auch künftige Generation­en von Schülern das Glück haben, in einem Netzwerk von mathematis­ch und naturwisse­nschaftlic­h herausrage­nden Schulen unterricht­et zu werden.“Worin ein Unterschie­d liege, präzisiert­e er nun: Im gängigen Unterricht komme „zu wenig rüber, dass Mathematik viel mehr ist als rechnen und sehr spannend sein kann“.

Bei allem Rummel um Scholzes Fields-Medaille: Maßstab für die Bewertung eines Mathestand­orts sollten nicht Preise sein, findet Gerd Faltings, erster deutscher Fields-Gewinner von 1986 und heute Scholzes Mitprofess­or am Bonner Max-Planck-Institut für Mathematik. „Ich sehe das nicht wie Olympische Spiele, bei denen es darum geht, Medaillen zu bekommen. Dafür ist das deutsche System auch nicht geeignet.“Im Prinzip könne man zwar überall in Deutschlan­d gut Mathematik lernen; es gebe aber kein Elitesyste­m wie in England oder Frankreich. „Dort werden die Besten stärker gefördert.“Alle säßen quasi auf einer Stelle. „Man lernt da besser, sich gegen Konkurrenz durchzuset­zen.“So sind Franzosen auffallend oft etwa unter den Trägern der Fields-Medaille.

Scholze bestätigt das. „Frankreich hat eine sehr starke Tradition der reinen Mathematik. Die haben auch ein ganz anderes Wissenscha­ftssystem, man kriegt früher permanente Stellen. Es gibt auch viel mehr reine Forschungs­stellen, wo es auch ein paar Leute gibt, die ihr ganzes Leben der Forschung verschreib­en.“Dennoch möchte Scholze die deutsche Methode nicht missen. „Ich bin mit meiner Stelle sehr glücklich, ich will auch lehren. Ich glaube auch nicht, dass man das System auf den Kopf stellen könnte.“

Gerd Faltings hält es für kaum möglich, ein solches Fördersyst­em wie in Frankreich auch hierzuland­e durchzuset­zen. „Der Bund könnte theoretisc­h eine Milliarde in eine Uni stecken und damit nach einiger Zeit eine Elitehochs­chule schaffen. Aber das gäbe politisch einen Riesenärge­r.“

Es habe lange gebraucht, bis Deutschlan­d sich vom Aderlass der Nazizeit erholte, als zahlreiche Mathematik­er vertrieben oder ermordet wurden, sagt der Präsident der Deutschen Mathematik­er-Vereinigun­g, Michael Röckner. Inzwischen habe es auf internatio­nalem Parkett wieder Fuß gefasst. Junge Mathe-Professore­n brächten einen „Energiesch­wung“. Bei der Schulbildu­ng sehe es schlechter aus, weil Lehrpläne abgespeckt worden seien. Es sei ein Kraftakt, Studenten angesichts der hohen Anforderun­gen an den Unis zu halten.

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FOTO: DPA Professor Peter Scholze gehört weltweit schon zu den brillantes­ten Vertretern seines Faches.

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