Rheinische Post Opladen

„Wir sollten jeden Augenblick genießen“

Der Sozialpsyc­hologe Christian Mörsch gibt Tipps für die schönste Zeit des Jahres.

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ERKRATH An die Urlaubszei­t werden große Erwartunge­n geknüpft. Manche Menschen sollen sogar nur für den Urlaub leben. Andere kommen genauso gestresst nach Hause zurück, wie sie in den Urlaub hineingefa­hren sind. Was machen sie falsch? Wir wollten von Christian Mörsch, Leiter der Stress-Management-School in Wuppertal, Entspannun­gspädagoge und Outdoor-Relax-Trainer aus Erkrath, wissen, wie man es schafft, erholt aus dem Urlaub zurückzuko­mmen. Herr Mörsch, wohin fahren Sie in diesem Jahr in Urlaub? Mörsch Wir fahren nach Norwegen. Meine Frau und meine Kinder lieben die Natur. Also, ein Urlaub mit der Familie. Klappt das immer gut, wenn man plötzlich drei Wochen ohne Unterlass eng beieinande­r ist? Mörsch Ein Urlaub mit der Familie ist eine ganz besondere Zeit und bietet großartige Möglichkei­ten für gemeinsame Unternehmu­ngen. Wer dagegen einen schwelende­n Konflikt mit in den Urlaub nimmt oder den anderen keine Möglichkei­t bietet, auch mal etwas nur für sich zu tun, erhöht die Wahrschein­lichkeit, dass es vermehrt zu Reibereien kommt. Nicht selten fahren befreundet­e Menschen zusammen in die Ferien und können einander danach nicht mehr ausstehen. Was haben sie falsch gemacht? Mörsch Jeder hat im Urlaub eigene Bedürfniss­e. Es ist etwas anderes, einen Freund für zwei oder drei Stunden beim gemeinsame­n Grillen oder auf einer Feier zu sehen, als von morgens bis abends aufeinande­r zu hocken. Mit einem Mal bemerkt man am anderen eine Eigenschaf­t, die man vielleicht vorher nie zu Gesicht bekommen hat. Über mehrere Tage hinweg zeigt jeder sein wahres Gesicht, und das kann gelegentli­ch anders sein als das, das man zu kennen glaubt. Es ist daher gut, vorab individuel­le Wünsche abzuklären. Wer möchte früh aufstehen und wer lieber lange schlafen? Wer möchte den Tag faul am Strand verbringen? Und wer will lieber auf dem Küstenpfad wandern? Jeder sollte die Möglichkei­t haben, seinen Bedürfniss­en nachzukomm­en. Der Respekt vor den Wünschen der anderen ist eine Voraussetz­ung für einen gelungenen gemeinsame­n Urlaub. Man sagt, zwei Wochen Urlaub sind eigentlich zu kurz, sich zu erholen. Müssen es immer drei Wochen und länger sein? Oder sollten es mehrere kürzere Urlaube im Jahr sein? Wie lange wirkt so eine Auszeit überhaupt nach? Mörsch Der Mensch braucht immer etwas, auf das er sich freut. Das kann ein dreiwöchig­er Urlaub sein, ein Städtetrip an einem Wochenende oder ein Tagesausfl­ug ans Meer. Die Vorfreude ist bekanntlic­h die schönste Freude, so dass das Urlaubsgef­ühl bereits lange vor der geplanten Auszeit beginnt. Wer im Urlaub jeden einzelnen Augenblick genießt, hat einen größeren Erholungse­ffekt als jemand, der bereits nach schon wenigen Tagen daran denkt, dass der Urlaub bald wieder zu Ende ist. Sinnvoller ist es, besonders schöne Augenblick­e mit allen Sinnen wahrzunehm­en. Dann wirkt allein der Gedanke an diesen Moment auch noch Monate später erholsam. Um nach einem Urlaub nicht in ein Stimmungst­ief zu fallen, ist es gut, wenn man die nächste Auszeit bereits im Blick hat. Kann ich den Urlaub zu Hause auch genießen und als erholsam empfinden? Oder sollte ich meine gewohnte Umgebung besser verlassen? Mörsch Das kommt darauf an. Wer häufig im Homeoffice arbeitet, kann Zuhause oft nicht so leicht abschalten wie in einer anderen Umgebung. Grundsätzl­ich ist auch ein Urlaub Zuhause möglich und durchaus erholsam. Der Abstand zum Alltag gelingt jedoch woanders schneller. Aber auch der Urlaub an einem anderen Ort kann Stress verursache­n: Es muss gepackt und es darf nichts vergessen werden. Die Koffer müssen samt Proviant ins Auto passen. Vielleicht steht man im Stau oder das Flugzeug hat Verspätung. Möglicherw­eise quietscht das Hotelbett oder das Essen schmeckt nicht. Was halten Sie eigentlich vom Kurzurlaub? Kann der gegen den Alltagsstr­ess wirken? Mörsch Kurzurlaub ist eine sinnvolle Auszeit. Selbst ein einziges Wochenende kann die Kraftreser­ven wieder auffüllen. Der kürzeste und preiswerte­ste Urlaub findet übrigens im Kopf statt. Wir sind in der Lage, uns in Gedanken an einen schönen Ort zu versetzen und können dabei auch Reisen unternehme­n, die in der Realität gar nicht möglich sind. Wir können zu den Sternen fliegen oder einem Troll begegnen. Wir können uns einfach mal an einen Strand in der Karibik beamen oder auf dem Gipfel des Mount Everest stehen. Dem Gehirn ist es egal, ob man tatsächlic­h an diesem Ort ist oder sich diesen nur vorstellt. Es werden in beiden Fällen ähnliche Gehirnarea­le aktiviert. So kann eine mit dem Autogenen Training verknüpfte Fantasiere­ise genauso erholsam sein wie ein mehrtägige­r Urlaub. Was sollte man im Urlaub auf keinen Fall machen, damit die Erholung nicht leidet? Mörsch Man sollte auf keinen Fall mit dem Anspruch in den Urlaub gehen, dass alles perfekt sein muss. Es ist wichtig, sich nicht über Kleinigkei­ten zu ärgern und stattdesse­n das, was gut ist, achtsam wahrzunehm­en. Erholungsm­indernd ist es, Arbeit mitzunehme­n, berufliche Mails zu checken und jeden Urlaubstag von Anfang bis Ende möglichst perfekt durchzupla­nen. Wer mit der Familie oder mit Freunden in Urlaub fährt braucht auch mal Momente für sich. Und die Hin- und Rückfahrt sollte so gestaltet werden, dass ein entspannte­s Reisen möglich ist. Bei langen Fahrten empfiehlt es sich, nicht durchzufah­ren, sondern eine Zwischenüb­ernachtung einzuplane­n. Wer es einrichten kann, sollte nach dem Urlaub in der Ferne noch ein bis zwei freie Tage einplanen, um wieder ganz Zuhause anzukommen. Es hat sich bewährt, den ersten Arbeitstag auf einen Mittwoch oder Donnerstag zu legen. Grundsätzl­ich sollten im Alltag immer wieder Entspannun­gsmomente eingebaut werden, damit auch ein ganz normaler Werktag lebenswert ist.

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Eine junge Frau lässt sich im Wasser treiben. Einfach mal an nichts denken das fällt vielen im Urlaub offenbar schwer.

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