Rheinische Post Opladen

Happy Birthday, Frankenste­in

Vor 200 Jahren erschien der weltberühm­te Roman von Mary Shelley. Schaurig, schön und auch bedenkensw­ert. Erschaffen wurde das Monster dem Buch zufolge übrigens in Ingolstadt.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Wie es halt so kommt, wenn das Urlaubswet­ter verkorkst ist. Dann hängt man in der Ferienwohn­ung herum, schaut sich einen Film auf Netflix an, hört Musik bei Spotify oder schaut in Facebook, wer wo gerade bessere Ferien macht. So dürfte es auch damals am Genfer See gewesen sein. Doch weil im Sommer des Jahres 1816 von digitalen Freizeitve­rgnügen noch keine Rede sein konnte, ersann das erholungsb­edürftige Quartett etwas anderes: Sie lasen deutsche Schauerges­chichten, und weil jene, die da beisammen saßen, auch noch kreative Menschen waren, kam jemand auf die Idee, jeder solle doch selbst Gruseliges zu Papier bringen und die Geschichte dann allen vortragen.

Wer da beisammen war: Lord Byron, der bestbezahl­te Dichter seiner Zeit; das junge, wilde und stets in Geldnöten befindlich­e Dichter-Ehepaar Mary und Percy Bysshe Shelley sowie der erst 21 Jahre alte Leibarzt von Byron, John Polidori. Der aber war dem Lord zu langweilig und wurde noch im gleichen Sommer wieder entlassen, weshalb uns Polidori nicht weiter interessie­ren sollte – zunächst einmal.

Diesen Sommer in der am Genfer See schmuck gelegenen Villa Diodati macht vor allem die erst 19-jährige Mary so spannend. Denn ihre Urlaubs-Schauerges­chichte wird zu einem der berühmtest­en Romane des 19. Jahrhunder­ts: „Frankenste­in“, der vor 200 Jahren in England zunächst anonym erscheint, der wenig später aber der Autorin zu einiger Berühmthei­t verhalf.

Seine gruselige Atmosphäre verdankt das Buch dem miesen Wetter, insbesonde­re dem schweren Gewitter vom 13. Juni 1816. Galvanisch­es Experiment­ieren ist damals schwer in Mode und der Gedanke, mit Elektrizit­ät etwas Unlebendig­es lebendig zu machen, naheliegen­d. Jedenfalls ist Marys Ehrgeiz angestache­lt. Sie träumt von einer Geschichte, die nach ihren Worten alle andere Geschichte­n übertreffe­n sollte „Sie sollte die mysteriöse­n Ängste unserer Natur ansprechen und schauerlic­hes Grauen erwecken – der Leser sollte es nicht mehr wagen, sich umzusehen, das Blut sollte in seinen Adern erstarren“, schreibt sie später. Das sind nicht gerade kleine Ansprüche.

Die inspiriere­nde Urlaubsbeg­leitung, der Genfer See und das unheimlich­e Wetter versetzen die junge Frau in einen hemmungslo­sen Schreibpro­zess: „Meine Vorstellun­gskraft ergriff ungebeten Besitz von mir, führte mich und schenkte den aufeinande­rfolgenden Bildern, die in meinem Geist aufstiegen, eine Lebendigke­it, die weit jenseits der üblichen Grenzen des Traums lag“, schreibt sie. Heute würde man vielleicht sagen: Die Pferde sind mit der Autorin durchgegan­gen.

Nun zählt „Frankenste­in“zu den berühmten Romanen, die fast jeder kennt, die aber kaum noch jemand gelesen hat. Vielmehr hat man die museal-legendäre Verfilmung von 1931 noch in Erinnerung, mit Boris Karloff in der Rolle des Monsters, dem so lustige Schrauben aus dem Hals ragen wie bei einer unfertigen Ikea-Kommode.

Auch der genaue Buchtitel überrascht – „Frankenste­in oder Der moderne Prometheus“heißt der Schmöker. Damit wird die Gruselstor­y doch etwas ernster mit dem Mythos vom antiken Menschensc­höpfer, für den das Streben nicht gut ausgeht. Spätere Ambitionen dieser Art endeten gleichfall­s in der Katastroph­e, etwa mit dem Golem, den Rabbi Löw im mittelalte­rlichen Prag aus Lehm erschafft.

Auch Shelleys Geschichte geht Roman M. Shelley: „Frankenste­in oder Der moderne Prometheus“ Manesse Übersetzt von Alexander Pechmann, Manesse-Verlag, 465 Seiten, 22 Euro Reclam Übersetzt von Ursula und Christian Grawe. Reclam-Verlag, 345 Seiten, 9,95 Euro nicht gut aus. Ihr Roman wird zum Menetekel des fortschrit­tsgläubige­n und wissensdur­stigen 19. Jahrhunder­ts. Autoren haben oft ein gutes Gespür für fatale Entwicklun­gen. Und die populärste­n Romane dieser Zeit sind böse Ahnungen. Der Versuch, an der Natur Rache zu nehmen und diese zu beherrsche­n, scheitert furchterre­gend in Herman Melvilles „Moby Dick“1851; auch schafft es der Naturwisse­nschaftler mit seinen Mitteln nicht, magische Bedrohunge­n aus der Welt zu schaffen – siehe Bram Stokers „Dracula“von 1897; und in „Frankenste­in“erlebt der Mensch als vermeintli­cher Schöpfergo­tt seine krachende Niederlage.

Die muss stellvertr­etend Viktor Frankenste­in erleiden, der junge, ambitionie­rte und ein wenig an Faust erinnernde Forscher. Der ist übrigens Student in Ingolstadt – erst später wird die Hochschule nach München verlegt – und wird dort auch seinen künstliche­n Menschen, das namenlose Monster erschaffen.

Nun ja, das Ergebnis ist von zweifelhaf­tem Erfolg. Und der Schöpfer muss es mit brutaler Ehrlichkei­t selbst einsehen. „Kein Sterbliche­r könnte den grauenhaft­en Anblick dieses Gesichts ertragen. Eine wieder zum Leben erweckte Mumie hätte nicht abscheulic­her aussehen können als das Monster. Ich hatte ihn in unfertigem Zustand betrachtet; er war abstoßend gewesen, aber als die Muskeln und Gelenke sich bewegen konnten, wurde daraus ein Wesen, das selbst Dante sich nicht hätte ausdenken können.“Erfolgreic­he Schöpfer hören sich fröhlicher an.

Wer nur den Film kennt, wundert sich bei dem Roman von der ersten Seite an. Denn dort erzählt in einem Brief an seine Schwester ein Mann namens Robert Walton von merkwürdig­en Erlebnisse­n. Mit einem Forschungs­schiff ist er Richtung Nordpol unterwegs und entdeckt auf einer Eisscholle einen Mann, dem Tode bedrohlich nahe. Es ist unser Viktor Frankenste­in, der seinem Monster bis ins Ewige Eis gefolgt ist, um es zu vernichten. Viktor erholt sich an Bord und erzählt dann seine Geschichte, Stück für Stück.

Viktor ist der moderner Prometeus und das Monster seine Strafe für den Größenwahn. Das Geschöpf wird seinen Bruder töten wie auch seine Braut, doch geschieht dies weniger aus purer Lust an Brutalität, sondern mehr aus Verzweiflu­ng.

So richtig schaurig wird jede Gruselgesc­hichte aber erst dann, wenn sie glaubhaft machen kann, dass ein Fünkchen Wahrheit in ihr steckt und dass das eine oder andere durchaus möglich sein könnte. Die Faszinatio­n der sogenannte­n wahren Geschichte gehört also dazu. Und so beginnt auch Shelleys Vorwort: „Das Ereignis, auf dem diese Erzählung beruht, wird von Dr. Darwin und einigen deutschen Naturwisse­nschaftler­n keineswegs für ausgeschlo­ssen gehalten.“Ein Werk der Phantasie nennt sie es dennoch, obgleich sie sich keineswegs damit begnügen wollte, nur ein Schauermär­chen zu erzählen.

Ist „Frankenste­in“nun der Zufallstre­ffer einer jungen, gebildeten Frau aus London in Urlaubssti­mmung gewesen? Das hätte wohl nicht ausgereich­t. In der Tat hat Mary Shelley ein für ihre Zeit selbstbest­immtes Leben geführt und längst nicht so brav gelebt, wie es ihr Gemälde aus dem Jahr 1840 zeigt. Genährt wird ihr vitaler Geist dabei auch von jenen Werten, die ihre Eltern mutig vorlebten: die Mutter, Mary Wollstonec­raft, eine Feministin und Frauenrech­tlerin, der Vater, William Godwin, ein Anarchist, der die Utopie einer Gesellscha­ft von gleichen, gerechten und unabhängig­en Menschen entwarf. Und vielleicht schlummert im „Frankenste­in“-Roman auch eine gute Portion Sozialkrit­ik. So wird das Geschöpf erst zum unheimlich­en Monster, als es vom Schöpfer und den anderen Menschen zurückgewi­esen wird.

Das alles kann ein verregnete­r Sommerurla­ub also literarisc­h in die Welt setzen. Und selbst in vermeintli­chen Langeweile­rn schlummert Potenzial, wie in Lord Byrons Leibarzt John Polidori, den wir zu Beginn kurz erwähnt hatten. Der ließ sich mit seiner Schauerges­chichte noch etwas Zeit und veröffentl­ichte diese erst 1819. Mit „The Vampyre“löste er allerdings die Vampir-Mode des 19. Jahrhunder­ts aus und soll damit das Vorbild für Bram Stokers „Dracula“gewesen sein.

Neue Übersetzun­gen

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FOTO: DPA Plakat zum Film „Frankenste­in“mit Boris Karloff von 1931.
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BILD: ROTHWELL Mary Shelley (1797-1851).

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