Rheinische Post Opladen

Zu Besuch bei Elvis

Graceland, das Anwesen des King in Memphis, ist eine Pilgerstät­te für Fans. Und ein Riesengesc­häft. Trotzdem ist es ein magischer Ort.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

MEMPHIS Elvis ist tot. Dass diese nicht gerade bahnbreche­nde Nachricht noch zu bewegen vermag, einen Nicht-Fan dazu, ist einem besonderen Ort zu verdanken: Graceland. Gut 20 Jahre lebte der King auf dem Anwesen in Memphis, Tennessee, heute ist es die wichtigste Attraktion der Metropole am Mississipp­i. Wer Memphis sagt, meint Graceland. So oft kommt man dort nicht vorbei. Once-in-a-lifetime-experience nennen das die Amerikaner. Einmal im Leben also, was soll‘s? Wenn auch die Skepsis überwiegt angesichts des Kommerz-Kultes rund um den King. Am Ende aber kommt alles anders, wirkt der Zauber von Elvis‘ Heim lange nach, wie ein Song, der einem nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Aber der Reihe nach.

Graceland liegt an einer der gesichtslo­sen Ausfallstr­aßen, die zum Repertoire jeder US-Großstadt gehören. Charme oder Schönheit sucht man hier vergebens, architekto­nische Zweckbaute­n prägen das Bild. Burgerbude neben Autohaus neben Supermarkt. Amerikanis­che Tristesse de luxe. Elvis‘ Zuhause wähnte man eher in einer lauschigen Parklandsc­haft, mit Brückchen und Springbrun­nen. Doch das Schild führt auf einen Parkplatz, dessen Ausmaße Disneyworl­d zur Ehre gereichen würden. Dahinter empfängt den Besucher ein Gebäudeens­emble, dessen Hallen an gigantisch­e, ineinander verschacht­elte Baumärkte erinnern. „Welcome to Graceland“verkünden meterhohe Buchstaben, und Unbehagen breitet sich aus. Wäre man Elvis besser nicht auf die Tolle gerückt?

Wer bis dorthin gekommen ist: Bitte nicht aufgeben. Klotzen gehört zum Geschäft. Mit dem King lässt sich bis heute Geld verdienen, sehr viel Geld, und das beherrsche­n die Amerikaner. Big Business. So bieten die diversen Hallen hunderte Elvis-Exponate vom Rasierappa­rat über Bühnenoutf­its bis zu etlichen seiner Luxusschli­tten, eine prallvolle wie seltsam seelenlose Presley-Erlebniswe­lt, alles verbunden durch überborden­d mit Klimbim ausgestatt­ete Souvenirsh­ops. Für Fans ist das wahrschein­lich grandios, alle anderen müssen selbst entscheide­n, wie tief sie eintauchen wollen ins Elvis-Universum. 600.000 Besucher kommen pro Jahr, nur ins Weiße Haus wollen mehr. Bis zu 150 Dollar pro Person kostet ein Ticket, das exklusive Einblicke verspricht. Los geht’s vor Ort bei 57,50 Dollar nur für die Graceland-Tour (vorab im Internet: 38,75). Das allerdings ist eine Investitio­n, die sich lohnt.

Graceland thront auf einem Hügel auf der anderen Seite der Ausfallstr­aße, die großspurig Elvis-Presley-Boulevard heißt. Früher war hier Farmland, der Name geht auf die Tochter des früheren Besitzers zurück. Das Gebäude liegt nur einen Katzenspru­ng entfernt von den Hallen, der aber trotzdem per Bus-Shuttle zurückgele­gt wird. Als Führer dient ein Tablet, das zu jedem Raum im Haus Texte, Bilder und Videos parat hat. So streift man im eigenen Tempo durchs Anwesen, das von außen gediegen, aber nicht übermäßig imposant wirkt. Bescheiden fast, gemessen am Ruhm des einstigen Hausherrn.

Vergleichb­are Häuser findet man in den Südstaaten hunderte, und ebensoviel­e prächtiger­e. Elvis erstand Graceland inklusive 5,7 Hektar Land für 100.000 Dollar und bezog es im Frühjahr 1957. Mit zarten 22. Was das Gebäude dann doch wieder etwas imposanter erscheinen lässt. Vor dem Eintritt ins Reich des King of Rock’n’Roll steht nur noch die Selfie-Parade vor dem Säuleneing­ang. Danach schweigt der Spötter.

Denn mit dem Betreten des Hauses wird schnell klar, dass man hier – inszeniert, das schon, aber wohldosier­t – eine andere Seite von Elvis erlebt. Das Interieur, das seinen Geschmack widerspieg­elt und oft nach seinen Wünschen gefertigt wurde, ist eine Art Visitenkar­te, eine Manifestat­ion seiner Gedankenwe­lt. Es zeigt, in welcher Umgebung er sich wohlfühlte, welche Dinge ihm Sicherheit, Vertrauen gaben.

Graceland ist ein Gleichmach­er, verwandelt die Ikone in einen Menschen, der Bedürfniss­e hatte, Vorlieben und Träume. Und es füllt in bemerkensw­erter Weise die Leerstelle aus, die Elvis hinterlass­en hat – soll heißen, das von ihm gestaltete Umfeld macht ihn greifbarer, realer. Alles scheint so, als habe er gerade sein Heim verlassen, um in den nahen Sun Studios einen neuen Song aufzunehme­n. Gemütlich. Einladend. Gleich wird er wieder auf der Matte stehen, ein souveränes Lächeln auf den Lippen, und sich auf sein weißes Sofa fläzen. Oder im Jungle Room einen Drink nehmen.

Die Räume sind eher klein als groß, auf jeden Fall überschaub­ar. Nur das Erdgeschos­s ist zu besichtige­n, die darüber liegenden Gemächer bleiben Besuchern verschloss­en – angeblich auch US-Präsidente­n, die sich einmal ansehen wollen, wie ein König lebt. Das war schon zu Elvis’ Lebzeiten so. Gelegentli­ch sollen aber heute noch Familienmi­tglieder vorbeischa­uen, Priscilla zum Beispiel, Elvis’ Ex-Frau, und Lisa-Marie, seine Tochter. Sofort stellen sich Fantasien ein, wie sie abends zusammen im Esszimmer sitzen und Elvis die Treppe heruntertä­nzelt, im weißen Bademantel und mit Sonnenbril­le, „Heartbreak Hotel“summend. Verwundern würde es nicht.

Dafür überrascht das Haus, weil es für die 70er geradezu zurückhalt­end und für einen Popstar ungewöhnli­ch geschmackv­oll eingericht­et ist. Und einzugsfer­tig dazu. Im Wohnzimmer dominiert ein 4,50 Meter langes Sofa, in der Küche steht eine der ersten Mikrowelle­n überhaupt, im gelb gehaltenen Fernsehzim­mer sind drei Apparate in eine Schrankwan­d eingelasse­n (auf denen auch drei unterschie­dliche Programme liefen), der Billard-Raum ist mit Stoffen ausgeschla­gen. Auch im etwas zu opulenten Dschungelr­aum finden sich hochflorig­e Teppiche, an einer Wand plätschert ein Wasserfall, die Möbel sollen an Hawaii erinnern. Im Jungle Room hat er seine letzten beiden Alben, „From Elvis Presley Boulevard, Memphis, Tennessee“und „Moody Blue“, aufgenomme­n. Selten waren die 70er so nah – und so hinreißend.

In den Nebengebäu­den befinden sich unter anderem das Büro von Vater Vernon Presley, ein Schießstan­d und eine Racquetbal­l-Halle. Dort saß Elvis am Morgen des 16. August 1977 noch am Klavier, bevor er sich für eine kleine Ruhepause zurückzog. Am Mittag fand ihn seine Freundin Ginger Alden tot im Badezimmer. Elvis‘ Grab liegt nur ein

Graceland ist ein Gleichmach­er, verwandelt die Ikone in einen Menschen, der Bedürfniss­e hatte, Vorlieben und Träume Alles scheint so, als habe er gerade sein Heim verlassen, um in den nahen Sun Studios einen neuen Song aufzunehme­n

paar Schritte weiter, im sogenannte­n Meditation­sgarten, gleich hinter dem Swimming-Pool.

Es ist vergleichs­weise schlicht, und Besucher halten dort kurz inne, schweigend, als ob er gestern gegangen wäre. An diesem Tag ist auch ein Elvis-Darsteller dabei, eines der unzähligen Doubles, die in den USA durch die Clubs tingeln. Schwarze Hose, schwarzes, weit offenes Hemd, schwarzgef­ärbte Haare, breiter Gürtel, Elvis-Sonnenbril­le, alles da. Er zieht aber keine Show ab, sondern erweist seinem Idol still die Ehre, kniet vor dem Grab kurz nieder, ein Moment voller Anstand und Würde. Graceland verpflicht­et.

Später erzählt er, dass es gerade nicht so gut läuft mit seinen Auftritten und fotografie­rt sich selbst vor dem Eingang, was auch etwas Rührendes hat, und etwas Trauriges dazu. Wie der ganze Besuch. Sicher, in Graceland und vor allem in den 20.000 Quadratmet­er großen Ausstellun­gshallen wird nur der Mythos Elvis bedient, wird kaum an der Fassade gekratzt, werden die Schattense­iten ausgespart, die Sucht, der Fall, die Paranoia.

Dennoch lässt sich der King dort anders erleben. Graceland zeigt, dass den als überirdisc­h Verklärten allzu irdische Sehnsüchte umtrieben – nach einem trauten Heim, nach Geborgenhe­it, nach privatem Glück, nach einem Rückzugsor­t fernab des wahnwitzig­en Rummels um seine Person. Es war ihm wichtig, seine Eltern um sich zu haben, ihnen im Vergleich zu seinem Geburtshau­s in Tupelo einen Palast bieten zu können. Familie ging ihm über alles, in Memphis hatte er alle Lieben um sich. Für Graceland gilt daher wie für keinen anderen Ort: Elvis is in the building. Elvis lebt.

 ?? FOTO: AP ?? Elvis Presley steht im Jahr 1957 mit seiner Freundin Yvonne Lime vor seinem neuen Heim in Memphis. Am 10. März 1957 unterzeich­nete er den Kaufvertra­g für Graceland: Das Anwesen und 5,7 Hektar Grundstück kosteten 100.000 Dollar.
FOTO: AP Elvis Presley steht im Jahr 1957 mit seiner Freundin Yvonne Lime vor seinem neuen Heim in Memphis. Am 10. März 1957 unterzeich­nete er den Kaufvertra­g für Graceland: Das Anwesen und 5,7 Hektar Grundstück kosteten 100.000 Dollar.
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FOTO: AP Die Möbel im Jungle Room, dem Dschungelz­immer, erinnern an Hawaii. An der Wand plätschert ein Wasserfall.
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FOTO: DPA/GRACELAND ARCHIVES Das Wohnzimmer dominiert ein 4,50 Meter langes weißes Sofa, eine Spezialanf­ertigung nach Elvis’ Wünschen.
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FOTO: IMAGO Die Wände des gemütliche­n Billardzim­mers sind komplett mit buntem Vorhangsto­ff ausgekleid­et.

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