Wohin rollst du, Äpfelchen . . .
Ich sah dich, und da wusst’ ich auch schon, wie’s mit dir steht, und dass du keine zwei Sous in der Tasche hattest. Aber mir war’s gleich. Für einen russischen Offizier hab’ ich dich gehalten. Was mir damals an dir gefallen hat, das kann ich heut nicht sagen, vielleicht war’s die Uniform, vielleicht –, „,Comme tes yeux sont grands’, – erinnerst du dich? Wie du die Melodie vor dich hinsummtest, da wusst’ ich’s: Das ist der Anfang von irgend etwas. Aber das, mein Kleiner, hast du vergessen, dass ich es war, die das erste Wort sprach. Mir tut’s nicht leid, dass ich’s tat. Und dir? Und dir?“
Er antwortete nicht, er riss sie an sich, er hielt sie in den Armen. Sie schloss die Augen und sagte leise:
„Man sperrt die Tür ab, wenn man – , daran denkst du nie! Mein kleiner Junge, immer muss ich dir’s erst sagen.“
Um ein Uhr nachts, als die letzten Gäste gegangen waren und die Kellner geräuschvoll die Stühle und die Tische zusammen schoben, hatte Vittorin eine Unterredung mit dem Besitzer des Café Elisée. Sie fand in der Künstlergarderobe statt, in der Fred Musty, der Groteskkomiker, sich mit Hilfe von Vaseline die Schminke abrieb. Nach langen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf auch der Groteskkomiker mit Forderungen hervortrat, erhielt Vittorin fünfzehn Franken Vorschuss statt der zwanzig, die er verlangt hatte.
Mit dem Geld in der Tasche machte er sich auf den Weg. Er ging die Perastraße hinauf und bog dann in eine schmale unbeleuchtete Gasse ein, die zum Marinehospital führte. Vor einem einstöckigen Haus blieb er stehen und zog die Glocke.
Eine Verordnung der Ententekommission hatte für alle Etablissements der Stadtviertel Pera, Fondoukli, Top Hané und Galata die Einuhrsperre verfügt. Aber es gab immer noch da und dort versteckte Lokale, in denen man hinter verschlossenen Türen die Nacht verbringen konnte. Der Kneipwirt, der Vittorin einließ, lebte von den Gästen, die nach ein Uhr kamen.
Da saßen sie wieder, dieselben sonderbaren Gestalten, mit denen Vittorin die vergangene Nacht durchspielt hatte. Juwelenschmuggler vielleicht, Kokainschleichhändler, entlaufene Matrosen, – wer konnte es wissen?
Jener Kleine mit dem faltigen Gesicht und dem mächtigen Uhrgehänge hieß Coco. Der Breitschultrige dort, der eben lärmend das Glas ,Rum mit Kümmel gemischt’ verlangte, wurde Drapp-Drumm gerufen. Die Bank hielt ,Sedeeboy’, ein magerer Mensch mit gelblichem Teint und platt gedrückter Nase. Auch der Flachsblonde, den Vittorin vor dem Hotel getroffen hatte, war da, unter diesen Abenteurern schien er der Vertreter eines verfeinerten Lebensgenusses zu sein, – er trank griechischen Champagner und rauchte eine Cercle de Bosphore. In dem engen Raum roch es nach Alkohol, nach Veilchenpomade, nach Moschusparfüm und nach Marylandtabak. Man nahm nicht viel Notiz von Vittorins Ankunft. Das Spiel war im Gang.
Vorsichtig begann Vittorin zu pointieren. Man muss mit seinem Geld haushalten, wenn man nicht mehr als fünfzehn Franken in der Tasche hat. Nur bei den ersten Coups nahm er die ganze Bank, – verlor er, dann ließ er das nächste Spiel vorübergehen. Wenn der Bankhalter zweimal in einer Suite jene Karte bekam, die, weil sie alle anderen schlug, ,le brutal’ genannt wurde, dann hielt Vittorin mit seinen Einsätzen zurück, durchdrungen davon, dass gegen solches Glück nicht anzukämpfen sei.
(Fortsetzung folgt)
ERPELINO