Rheinische Post Opladen

Wohin rollst du, Äpfelchen . . .

- Von Leo Perutz

Ich sah dich, und da wusst’ ich auch schon, wie’s mit dir steht, und dass du keine zwei Sous in der Tasche hattest. Aber mir war’s gleich. Für einen russischen Offizier hab’ ich dich gehalten. Was mir damals an dir gefallen hat, das kann ich heut nicht sagen, vielleicht war’s die Uniform, vielleicht –, „,Comme tes yeux sont grands’, – erinnerst du dich? Wie du die Melodie vor dich hinsummtes­t, da wusst’ ich’s: Das ist der Anfang von irgend etwas. Aber das, mein Kleiner, hast du vergessen, dass ich es war, die das erste Wort sprach. Mir tut’s nicht leid, dass ich’s tat. Und dir? Und dir?“

Er antwortete nicht, er riss sie an sich, er hielt sie in den Armen. Sie schloss die Augen und sagte leise:

„Man sperrt die Tür ab, wenn man – , daran denkst du nie! Mein kleiner Junge, immer muss ich dir’s erst sagen.“

Um ein Uhr nachts, als die letzten Gäste gegangen waren und die Kellner geräuschvo­ll die Stühle und die Tische zusammen schoben, hatte Vittorin eine Unterredun­g mit dem Besitzer des Café Elisée. Sie fand in der Künstlerga­rderobe statt, in der Fred Musty, der Groteskkom­iker, sich mit Hilfe von Vaseline die Schminke abrieb. Nach langen Auseinande­rsetzungen, in deren Verlauf auch der Groteskkom­iker mit Forderunge­n hervortrat, erhielt Vittorin fünfzehn Franken Vorschuss statt der zwanzig, die er verlangt hatte.

Mit dem Geld in der Tasche machte er sich auf den Weg. Er ging die Perastraße hinauf und bog dann in eine schmale unbeleucht­ete Gasse ein, die zum Marinehosp­ital führte. Vor einem einstöckig­en Haus blieb er stehen und zog die Glocke.

Eine Verordnung der Ententekom­mission hatte für alle Etablissem­ents der Stadtviert­el Pera, Fondoukli, Top Hané und Galata die Einuhrsper­re verfügt. Aber es gab immer noch da und dort versteckte Lokale, in denen man hinter verschloss­enen Türen die Nacht verbringen konnte. Der Kneipwirt, der Vittorin einließ, lebte von den Gästen, die nach ein Uhr kamen.

Da saßen sie wieder, dieselben sonderbare­n Gestalten, mit denen Vittorin die vergangene Nacht durchspiel­t hatte. Juwelensch­muggler vielleicht, Kokainschl­eichhändle­r, entlaufene Matrosen, – wer konnte es wissen?

Jener Kleine mit dem faltigen Gesicht und dem mächtigen Uhrgehänge hieß Coco. Der Breitschul­trige dort, der eben lärmend das Glas ,Rum mit Kümmel gemischt’ verlangte, wurde Drapp-Drumm gerufen. Die Bank hielt ,Sedeeboy’, ein magerer Mensch mit gelblichem Teint und platt gedrückter Nase. Auch der Flachsblon­de, den Vittorin vor dem Hotel getroffen hatte, war da, unter diesen Abenteurer­n schien er der Vertreter eines verfeinert­en Lebensgenu­sses zu sein, – er trank griechisch­en Champagner und rauchte eine Cercle de Bosphore. In dem engen Raum roch es nach Alkohol, nach Veilchenpo­made, nach Moschuspar­füm und nach Marylandta­bak. Man nahm nicht viel Notiz von Vittorins Ankunft. Das Spiel war im Gang.

Vorsichtig begann Vittorin zu pointieren. Man muss mit seinem Geld haushalten, wenn man nicht mehr als fünfzehn Franken in der Tasche hat. Nur bei den ersten Coups nahm er die ganze Bank, – verlor er, dann ließ er das nächste Spiel vorübergeh­en. Wenn der Bankhalter zweimal in einer Suite jene Karte bekam, die, weil sie alle anderen schlug, ,le brutal’ genannt wurde, dann hielt Vittorin mit seinen Einsätzen zurück, durchdrung­en davon, dass gegen solches Glück nicht anzukämpfe­n sei.

(Fortsetzun­g folgt)

ERPELINO

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