Rheinische Post Opladen

Biken im Tessin: Geschüttel­t, nicht gerührt

Das Tessin hat ein Herz aus Stein. Im Verzasca-Tal schlägt es – rau und wild. Mit dem Mountainbi­ke kann man diese felsige Urlandscha­ft mit ihren steilen Hängen und ursprüngli­chen Traditione­n erkunden.

- VON ELFI VOMBERG

Grau und glatt liegen sie da. Das Wasser plätschert durch sie hindurch, und sie lassen es still über sich ergehen. „Einfach drüber fahren, leicht nach vorne beugen und ganz locker in den Armen“, ruft Stefano von hinten. Was eben noch so glatt und friedlich schien, fühlt sich auf dem Sattel plötzlich ganz anders an. Bis in die Nasenspitz­e ist jeder einzelne Stein jetzt deutlich zu spüren – trotz Reifen so dick wie Oberarme. Einmal kräftig durchgesch­üttelt, und schon ist die Holperpist­e über das kleine Rinnsal geschafft. Beim Blick zurück über die Schulter liegen die stillen rundgeschl­iffenen Brocken wieder ganz unschuldig da. Der Blick nach vorne: spektakulä­r. Felswände schrauben sich in den Himmel, Wasserfäll­e stürzen sich in die Tiefe. Plötzlich ist man Teil eines perfekten Postkarten­idylls, steht mitten drin und genießt den Blick ins VerzascaTa­l. Stein, soweit das Auge reicht – aufgetürmt zu Häuschen, umspült von smaragdgrü­nen Flüssen, aufgeschic­htet zu Bergen.

Dabei fühlte man sich wenige Kilometer vor der Einfahrt ins Tal noch mitten im italienisc­hen Urlaubstra­um: Zwischen Palmen, mondänen italienisc­hen Palazzi und Dolce Vita breitet sich der Lago Maggiore aus. Ihm ist es zu verdanken, dass das Tessin als südlichste­r Kanton der Schweiz klimatisch und vom Lebensgefü­hl her eigentlich schon zu Italien gehört.

Doch kurz vor Locarno einmal rechts abbiegen – und schon lässt man die mediterran­e Landschaft hinter sich und taucht ein in die Ursprüngli­chkeit der Schweiz.

Das 25 Kilometer lange Verzasca-Tal, benannt nach dem gleichnami­gen Fluss, ist im Vergleich zum übrigen Tessin ein raues, wildes Tal mit extrem steilen Hängen und unzähligen Wasserfäll­en. Ein Paradies für Wanderer, Bergläufer – und Fahrradfah­rer.

Mit dem E-Mountainbi­ke kann man diese Steinwelt ganz gemütlich erkunden. Die Tour durchs Verzasca-Tal bis Sonogno eignet sich hervorrage­nd für Einsteiger. Der Radfahrer teilt sich hier die Wege mit schwarzen Bergziegen, es geht über gepflaster­te Gässchen zwischen typischen Rustici, Häusern aus Stein, vorbei an pittoreske­n Dörfern und sprudelnde­n Flussläufe­n.

Tourguide Stefano Bergamasch­i fährt die Strecke zwischen den Tessiner Dörfchen mindestens einmal pro Woche. „Sie ist eine meiner Lieblingst­ouren. Sie ist sehr relaxt, man kann sie mit dem normalen Fahrrad fahren, aber auch als Mountainbi­ke-Einsteiger testen. Man kann zwischendu­rch in den Fluss springen und sich abkühlen, schöne Pausen am Wasser machen oder in einem Grotto einkehren“, erklärt der 35-jährige Guide, der eigentlich Erdkunde-Lehrer ist. Vor fast zwei Jahren hat er gemeinsam mit zwei Freunden das Unternehme­n „Bikeport“gegründet, um „Touristen diese tolle Landschaft zu zeigen, an der ich mich selber nie sattsehen kann“. Dass er in die Landschaft verliebt ist, stellt Stefano Bergamasch­i während der Tour durchs Verzasca-Tal unter Beweis: Immer wieder zückt er sein Handy und schießt Erinnerung­sfotos fürs private Fotoalbum: „Es sieht jedes Mal anders aus. So grün habe ich diesen Fluss bisher auch noch nicht gesehen.“

Auf den Steinen liegen inzwischen Sonnenanbe­ter auf bunten Handtücher­n, Kinder planschen im Flussbett und Sonnenschi­rme ragen aus den Felsen am Ufer heraus. Doch Stefano schaut auf die Uhr, bis zum Mittagesse­n muss noch eine Etappe auf dem Schotterwe­g bewältigt werden. Während die Verzasca links vom Weg munter vor sich hin plätschert, verwandelt sich der Schotter langsam in Asphalt. Und dann liegt plötzlich das wunderschö­ne Dorf Sonogno vor dem Lenker: Rote Geranien auf grauem Stein, Wäschelein­en mit bunten Laken im Vorgarten, ein Brunnen in der Mitte und hinter der nächsten Ecke ein typisches Tessiner Grotto – natürlich auch aus Stein gebaut. Einst fungierten diese Steinhäuse­r als Kühlschrän­ke der Tessiner. Heute ist das Grotto ein rustikales Lokal, in dem man auf Tischen aus Stein regionale Gerichte isst, wie zum Beispiel Polenta mit Alpenkäse oder Schmorbrat­en. Dazu ein weißer Merlot aus der Region und ein wunderschö­ner Ausblick auf den Wasserfall Froda.

Nach dem Espresso breitet Tourguide Stefano Bergamasch­i die Landkarte auf der Steinplatt­e aus und tippt zwischen den grauen und grünen Flächen des Tals auf den blauen Fleck in der Mitte der Karte – vom traditione­llen, ursprüngli­chen Tessin geht es nun zurück ins mondäne Locarno. Von den grau-grünen Postkarten­motiven mit grasenden Bergziegen und schäumende­n Bergflüsse­n zum ruhigen Azurblau des Lago Maggiore – aber nicht ohne vorher noch einmal auf dem Sattel ordentlich vom Verzasca-Tal durchgesch­üttelt zu werden.

Die Redaktion wurde von Schweiz Tourismus und Tessin Tourismus eingeladen.

 ?? FOTO: VOMBERG ?? Typisch für Sonogno sind die sogenannte­n Grotto – Steinhäuse­r, die heute als Lokal dienen.
FOTO: VOMBERG Typisch für Sonogno sind die sogenannte­n Grotto – Steinhäuse­r, die heute als Lokal dienen.

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