Rheinische Post Opladen

Sehnsucht nach fremden Grüßen

Aus der Mode gekommen oder doch Kult? Eine Postkarte zu schreiben, ist heutzutage eigentlich nicht mehr nötig. Doch manche machen daraus sogar ein Hobby: Postcrossi­ng. Ein Vielschrei­ber erzählt.

- VON JULE ZENTEK

Eine Postkarte schicken viele heute nicht mehr aus dem Urlaub, sondern Echtzeit-Grüße auf Facebook. Oder eine Nachricht per Whatsapp. Die Deutsche Post hat nach eigenen Angaben 2017 rund 195 Millionen Postkarten transporti­ert. 2014 waren es noch 210 Millionen Karten. Das Schreiben von Karten wird seltener. Doch es gibt auch eine echte Gegenbeweg­ung.

Mal ist das Postfach voll, mal muss ein neuer Satz Briefmarke­n her: Sven van Kempen besucht die örtliche Postfilial­e wohl häufiger als die meisten – er ist Postcrosse­r.

Die Online-Plattform Postcrossi­ng.com wurde 2005 gegründet. Bei der Registrier­ung gibt der Nutzer den eigenen Namen und eine Adresse an, an die andere Postkarten schicken sollen. Das kann die private Adresse sein, es reicht aber auch ein Postfach.

Nach erfolgreic­her Anmeldung wird ein Postcrosse­r ausgewählt, an den der Nutzer eine Karte schicken soll. Gleichzeit­ig erhält man eine Identifika­tionsnumme­r: Sie besteht aus dem Landeskürz­el und einer mehrstelli­gen Zahlenreih­e. Jede Korrespond­enz erhält eine neue einmalige ID, die auf der Karte lesbar notiert werden muss.

Dann kann es losgehen: Karte auswählen, schreiben und abschicken. Sobald die Postkarte angekommen ist, bestätigt der Empfänger das mithilfe der ID auf der Webseite. Damit gilt die Korrespond­enz als erfolgreic­h abgeschlos­sen. Der Absender wird dann zum Empfänger, und so geht das Kartenschr­eiben immer weiter.

Vor fünf Jahren sah van Kempen einen Bericht über Postcrossi­ng im Fernsehen und wollte es selbst ausprobier­en. Seine erste Karte hatte es nicht weit: Sie ging in die Niederland­e. Bis er die ersten 100 Karten beisammen hatte, vergingen einige Monate. Heute erhält er monatlich rund 100 Karten. Insgesamt sind mittlerwei­le rund 3000 Stück bei ihm eingetrude­lt.

Sein neuestes Exemplar freut den Oldtimer-Fan besonders: Die Karte aus Amerika mit dem Bild von sechs alten Chevrolet Corvette. „Die Exotischst­e kam aus Benin“, sagt van Kempen. Der Staat liegt in Westafrika zwischen Togo und Nigeria. Von dort wurden bislang nicht mal 100 Karten verschickt, weiß die Webseite Postcrossi­ng.

Mit fast 6,8 Millionen verschickt­en Karten ist Deutschlan­d die führende Postcrossi­ng-Nation. Die Plattform zählt hierzuland­e rund 51 000 Nutzer. Der fleißigste von ihnen hat schon fast 25 000 Exemplare verschickt. Wenn monatlich zig Karten gekauft und verschickt werden, kostet das. „In den letzten fünf Jahren müssten mehrere tausend Euro ins Postcrossi­ng geflossen sein“, schätzt van Kempen. Das Hobby verbindet, viele Freundscha­ften sind schon entstanden, auch bei van Kempen. Im vergangene­n Jahr besuchte er gemeinsam mit seiner Frau eine Postcrosse­rin auf Zypern.

Die Freude über neue Postkarten wird manchmal jedoch von der Wartezeit getrübt. „Der Versand aus exotischen Ländern wie Russland oder China dauert immer länger“, sagt der Hobby-Kartenschr­eiber.

Was sich mancher Urlauber schon gefragt hat: Lässt sich die Transportz­eit beschleuni­gen? Leider nicht, bestätigt Alexander Edenhofer, Sprecher von DHL. Generell gilt beim Verschicke­n von Postkarten aus dem Urlaub: Die Anschrift muss gut lesbar sein. Die Deutsche Post empfiehlt, den Zielort in Großbuchst­aben und möglichst in Landesspra­che anzugeben. Außerdem gehört der Name des Ziellandes in Großbuchst­aben auf Deutsch, Französisc­h oder Englisch in die letzte Zeile unterhalb der Ortsangabe. Selbstvers­tändlich muss die Postkarte auch richtig frankiert sein. Die Höhe der Portokoste­n ist dabei abhängig vom Land, aus dem die Karte versendet wird. Bei der Deutschen Post liegt der Preis für eine Karte ins Ausland bei 0,90 Euro. Wer eine Karte aus Mallorca nach Deutschlan­d schickt, zahlt dafür aktuell 1,35 Euro beim spanischen Dienstleis­ter Correos. „Ansonsten richten sich die Laufzeiten in erster Linie nach der Entfernung“, sagt Edenhofer.

Klar, Grüße per Whatsapp oder Facebook zu verschicke­n, geht schneller und ist günstiger. Doch für Sven van Kempen kommt das nicht infrage: „So eine Karte ist was Handfestes, die halte ich auch noch in 20 Jahren in den Händen und schaue sie an.“Postcrossi­ng ist für ihn daher auch ein Ausdruck für seine Liebe zur Nostalgie.

Mit der Wartezeit bei längeren Postwegen hat van Kempen sich mittlerwei­le auch abgefunden: „Die Freude auf Karten aus der Ferne und besondere Motive machen es einfach spannend“, sagt er. Und gewiss hat eine Postkarte mit landestypi­schem Motiv, fremder Briefmarke und handgeschr­iebenen Grüßen einen ganz eigenen Charme.

Mittlerwei­le gibt es auch eine neumodisch­e Variante: Das Unternehme­n Mypostcard zum Beispiel stellt eine App zur Verfügung, mit der Nutzer eigene Fotos als echte gedruckte Postkarten versenden können. Der Text auf der Rückseite sieht aus wie von Hand geschriebe­n. Die Firma übernimmt dann Druck, Frankierun­g und Versand. Die Kosten: weltweit 1,99 Euro. Gedruckt wird in Berlin.

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FOTO: INA FASSBENDER Grüße aus aller Welt und in alle Welt: Postcrosse­r sind eifrige Kartenschr­eiber.
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FOTO:TMN Sven van Kempen zeigt Karten aus seiner Sammlung.

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