Rheinische Post Opladen

Minister wegen E-Mails unter Druck

NRW-Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) hat einen Rücktritt wegen des Falls Sami A. vorerst ausgeschlo­ssen. Entlastet ist er aber nicht. Harte Kritik trifft auch Innenminis­ter Reul.

- VON H. RASCHE UND T. REISENER

DÜSSELDORF/BERLIN Der nordrhein-westfälisc­he Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) hat im Fall Sami A. Fehler eingeräumt. Es habe „Kommunikat­ionsdefizi­te“zwischen Justiz und Behörden gegeben. Einen Rücktritt schloss er gleichwohl in einer Pressekonf­erenz am Donnerstag aus. Stamp kündigte an, den Beschluss des Oberverwal­tungsgeric­hts Münster (OVG) umzusetzen. Dieses hatte am Mittwoch angeordnet, dass der rechtswidr­ig abgeschobe­ne tunesische Gefährder Sami A. zurück nach Deutschlan­d geholt werden müsse. Stamp betonte, er habe eine andere Rechtsauff­assung als das OVG.

Stamp wird vorgeworfe­n, die Justiz missachtet zu haben. Aus E-Mails geht hervor, dass die Leiterin des Referats 513 seines Ministeriu­ms die Ausländerb­ehörde Bochum angewiesen hat, dem Gericht Gelsenkirc­hen den Abschiebet­ermin nicht zu nennen. Dies sei wegen des „außergewöh­nlichen sicherheit­sstrategis­chen und politische­n Stellenwer­ts leider“nicht möglich.

Die E-Mails ließ das Ministeriu­m bei der Pressekonf­erenz selbst verteilen. Sie sind auch Gegenstand des Beschlusse­s des OVG, der unserer Redaktion in Teilen vorliegt. Zu dieser Anweisung schreibt das OVG: „Diese Annahme ist mit rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n und dem Gewaltente­ilungsprin­zip nicht vereinbar.“Stamp berief sich darauf, dass die Behörden nicht verpflicht­et seien, Gerichte über Abschiebun­gen zu informiere­n. Das ist aber durchaus üblich. Zudem hatte das Gericht explizit nach dem Termin gefragt.

Stamp räumte ein, er habe versäumt, sich über die rechtliche­n Möglichkei­ten eines Abbruchs der Abschiebun­g zu informiere­n. Warum er darauf nicht vorbereite­t war, obwohl sein Ministeriu­m von der ausstehend­en Entscheidu­ng des Gerichts wusste, konnte er nicht erklären. Er griff Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) an. Von ihm sei er „zutiefst enttäuscht“.

Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) sagte dem Deutschlan­dfunk, Stamp habe „nach Recht und Gesetz“entschiede­n. Die Opposition forderte Stamp erneut zum Rücktritt auf. Die Chefin der Grünen, Monika Düker, warf der Regierung ein „gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaa­t“vor.

Auch Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) steht in der Kritik. Er hatte gesagt, dass Richter im Blick haben sollten, „dass ihre Entscheidu­ngen dem Rechtsempf­inden der Bevölkerun­g entspreche­n“. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: „Weiß dieser Innenminis­ter eigentlich, was er da sagt und wie nah er sich an den Begriff des ,gesunden Volksempfi­ndens’ annähert, der als ideologisc­he Begründung für die Aufhebung jeder Rechtsstaa­tlichkeit gedient und am Ende staatlich sanktionie­rte Gewaltherr­schaft legitimier­t hat?“SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil und Parteivize Ralf Stegner forderten Reul zum Rücktritt auf.

Der Vorsitzend­e des Deutschen Richterbun­des, Jens Gnisa, sagte, es sei „nicht zuträglich“, wenn die unabhängig­e Justiz „durch Aussagen eines Innenminis­ters angegriffe­n wird.“Christian Friehoff, Vorsitzend­er des NRW-Richterbun­des, sagte: „Ich bin der festen Überzeugun­g, dass es dem Rechtsempf­inden der Bevölkerun­g entspricht, dass sich die Verwaltung nicht mit Erfolg über gerichtlic­he Entscheidu­ngen hinwegsetz­en kann.“

CDU-Innenexper­te Armin Schuster fordert „gravierend mehr Abschiebeh­aftplätze“. Gesetzesve­rschärfung­en hält er nicht für nötig. „Die Durchsetzu­ng der Ausreisepf­licht ist bereits Ende der vergangene­n Legislatur rechtlich deutlich verbessert, besonders bei Gefährdern“, betonte Schuster. Leitartike­l, Politik

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