Rheinische Post Opladen

Der stille Tod der Indianer

- VON TOBIAS KÄUFER

ANALYSE Lateinamer­ikas Ureinwohne­r sterben einen langsamen, qualvollen Tod – weil der Rest der Welt lieber Geld verdient, statt sich um den Schutz des Regenwalds zu kümmern. Das ist eine Schande für die Zivilisati­on.

Die Gier der Welt frisst sich gnadenlos in die Lunge der Welt. Wie die Metastasen eines Krebsgesch­würs durchziehe­n riesige Wunden den Amazonas-Regenwald. Jeden Tag wird das für das Klima so wichtige Ökosystem weiter malträtier­t. Dahinter stecken die Interessen verschiede­nster Gruppen: Mal ist es der Hunger der Welt nach Kokain, nach Gold, nach Erdöl, Fleisch oder der Sojabohne. Mal sind es Staudämme, die den Territorie­n der Ureinwohne­r das lebenswich­tige Wasser rauben, mal ist es der Bergbau, der mit Quecksilbe­r die Flüsse und die Fische vergiftet. Mit jedem Tag wird der Lebensraum jener Völker kleiner, die dort einmal gelebt haben. Der stille Tod des Regenwalde­s ist auch ein stiller Tod der Indigenen, also der Ureinwohne­r.

Vor Kurzem veröffentl­ichte die brasiliani­sche Behörde für indigene Angelegenh­eiten Aufnahmen eines Mannes beim Holzfällen im Regenwald. Er sei wahrschein­lich der letzte Überlebend­e seines Volkes im brasiliani­schen Amazonas-Gebiet, hieß es. Menschenre­chtler gehen davon aus, dass die übrigen Mitglieder von Viehzüchte­rn getötet wurden, die in den 70er und 80er Jahren in das Gebiet im Bundesstaa­t Rondônia vordrangen. Die Region gilt als Wilder Westen Brasiliens, wo Landkonfli­kte schnell mit der Waffe ausgetrage­n werden. Seit 22 Jahren ist der Mann wohl ganz auf sich allein gestellt – mit ihm stirbt sein Stamm aus.

Stephen Corry von der globalen Bewegung „Survival Internatio­nal“für die Rechte indigener Völker nennt die Alternativ­e: indigene Territorie­n. Sie schützen auch vor Entwaldung. Doch die Realität sieht anders aus: Selbst in Bolivien, dem Land mit dem ersten gewählten indigenen Präsidente­n Lateinamer­ikas, in dessen Verfassung der Schutz der „Mutter Erde“festgeschr­ieben ist, treibt Präsident Evo Morales eine Wirtschaft­spolitik voran, die zulasten der Umwelt und der Indigenen geht. „Auf dem Boden indigener Bevölkerun­gsgruppen werden Wasserstau­dämme gebaut, ohne sie zuvor zu befragen“, sagt Ruhrbischo­f Franz-Josef Overbeck, zuständig für das kirchliche Hilfswerk Adveniat. Dies widersprec­he einer Konvention der Arbeitsorg­anisation ILO der Vereinten Nationen, die Bolivien mit unterzeich­net hat und die eine Befragung der betroffene­n Völker vorsehe.

In Brasilien wird die indigene Bevölkerun­g in viel zu kleinen Reservaten eingepferc­ht, weil die Agrarindus­trie Platz für die Sojabohne braucht. Holzfäller dringen rücksichts­los in die Territorie­n unkontakti­erter Völker ein. In Kolumbien werden indigene Menschenre­chtsvertei­diger ermordet, weil sie neoparamil­itärische Banden und linke Guerillagr­uppen bei deren schmutzige­m Geschäft mit der Drogenmafi­a und dem illegalen Bergbau stören. In Chile sitzen Mitglieder des Mapuche-Stamms im Gefängnis, abgeurteil­t nach Terrorismu­sgesetzen aus der Zeit der Militärdik­tatur. In Ecuador wehren sich Indigene verzweifel­t gegen chinesisch­e Konzerne, die in den ökologisch sensibelst­en Regionen der Welt ihre Ölbohrer in den Boden rammen.

Die Indigenen würden von fast allen Seiten bedrängt, teils auch vom Staat, sagt die Gesellscha­ft für bedrohte Völker: „Wer trotzdem die Interessen seiner Gemeinscha­ft verteidigt, riskiert sein Leben.“So sind 2017 allein in Guatemala 496 Bauernführ­er ermordet worden. Die meisten Opfer waren Indigene, die sich friedlich für Landrechte sowie gegen Großprojek­te von Energie- und Bergbauunt­ernehmen auf ihrem traditione­llen Territoriu­m eingesetzt hatten.

Was vor über 500 Jahren mit der Entdeckung Amerikas begann, setzt sich bis heute fort: Gnadenlos wird das Land der Indigenen geplündert. Waren es vor Jahrhunder­ten Galeonen, die das geraubte Gold Lateinamer­ikas nach Spanien brachten, sind es heute Konzerne und Kartelle, die Gold, Kohle, Öl, Kokain

Was mit der Entdeckung Amerikas begann, setzt sich fort: Das Land der Indigenen wird geplündert

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