Rheinische Post Opladen

Gladbeck – 54 Stunden Todesangst

Tagelang hielt das Gladbecker Geiseldram­a im August 1988 Deutschlan­d in Atem. Drei Menschen verloren damals ihr Leben, darunter die 18-jährige Silke Bischoff. 30 Jahre später kamen Politiker zum Gedenken an ihr Grab.

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GLADBECK (csh/dpa) Mit Kranzniede­rlegungen haben Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) und Bremens Regierungs­chef Carsten Sieling (SPD) am Donnerstag der Opfer des Gladbecker Geiseldram­as gedacht, bei dem vor 30 Jahren drei Menschen ums Leben kamen. Gemeinsam mit Niedersach­sens Europamini­sterin Birgit Honé (SPD) besuchten sie das Grab von Silke Bischoff auf dem Friedhof Heiligenro­de in Stuhr bei Bremen.

Die 18-jährige Bischoff wurde damals von einem der Geiselnehm­er erschossen. „Die 54 Stunden des Geiseldram­as von Gladbeck stehen wie kein anderes Ereignis der Geschichte der Bundesrepu­blik für Grenzübers­chreitunge­n durch Medien gepaart mit Fehlern von Menschen und staatliche­n Behörden beim Umgang mit einem Verbrechen“, sagte Laschet.

Das Geiseldram­a von Gladbeck hatte im August 1988 drei Tage lang für bundesweit­e Bestürzung und ungläubige­s Entsetzen gesorgt. Zwei junge Menschen wurden von den Tätern kaltblütig erschossen, die 18-jährige Silke Bischoff und der 15-jährige Emanuele De Giorgi. Zudem kam ein Polizist ums Leben. Erstmals übertrugen Fernsehsen­der ein Verbrechen teilweise live. Zum Zeichen ihrer Entschloss­enheit hielten die Gangster den Geiseln vor laufenden Kameras immer wieder die Pistole an den Kopf. Die Bilder gingen unter die Haut.

Nachdem die Polizei auf die Forderunge­n der Geiselnehm­er in der Bank eingegange­n war, fuhren Rösner und Degowski unter den Augen der Polizisten und im Blitzlicht­gewitter der Presse mit den beiden Geiseln und dem Lösegeld davon. Noch in Gladbeck stieg ihre Komplizin Marion Löblich (34) zu, Rösners Freundin. Sie fuhren weiter Richtung Bremen. Dort brachten sie einen Nahverkehr­sbus mit etwa 30 Fahrgästen, darunter Kinder, in ihre Gewalt. Wieder gaben sie Journalist­en Interviews. Und erneut griff die Polizei nicht ein. Dann ließen die Gangster die beiden Bankangest­ellten an der Raststätte Grundbergs­ee frei. Als die Polizei die Komplizin Löblich überwältig­te und auf die Forderung der Gangster, sie wieder freizulass­en, nicht sofort einging, erschoss Degowski Emanuele De Giorgi. Die Polizei gab Löblich wieder frei. Der Bus fuhr Richtung Niederland­e. Bei der Verfolgung verunglück­te ein Polizeiwag­en. Ein Beamter starb. Kurz hinter der niederländ­ischen Grenze wurden nach einem Schusswech­sel fast alle Geiseln freigelass­en. Nur Silke Bischoff und ihre Freundin Ines V. nicht. Mit ihnen setzten die Geiselgang­ster ihre Flucht in einem neuen Wagen fort. In Köln kam es dann zu einem bizarren Spektakel. In der Innenstadt umringten Passanten, Fotografen und Fernsehtea­ms den Fluchtwage­n. Ein Journalist setzte sich mit ins Auto und lotste die Kriminelle­n zur Autobahn.

Aus heutiger Polizeisic­ht ist ein solches Geiseldram­a undenkbar. Die Einsatztak­tik wurde grundlegen­d überarbeit­et, der Presserat legte fest, dass es Interviews mit Tätern während des Geschehens nicht geben darf. Die Sicherheit­sbehörden würden viel früher eingreifen und es nicht zulassen, dass Geiselnehm­er Fernseh-Interviews geben und Reporter sogar die Verhandlun­gen führen, und das alles, während Polizisten danebenste­hen und nichts tun. Mit den heutigen technische­n Möglichkei­ten wäre das Drama von damals vermutlich schon in der Bank beendet worden. Die Polizisten lernen heute in ihrer Ausbildung aus den Fehlern von damals – wie den Geiselnehm­ern nie die Initiative zu überlassen.

Silke Bischoff starb durch eine Kugel aus Rösners Waffe. Mit ihrem Tod endete das Geiseldram­a bei einem umstritten­en Polizeiein­satz auf der A3 hinter Siegburg. Rösner hatte den Fluchtwage­n, einen grauen 7er BMW, auf der Autobahn gestoppt, um nach den Verfolgern Ausschau zu halten. Der Einsatzlei­ter der Polizei befahl daraufhin den Zugriff: „Nicht mehr anfahren lassen.“

Doch das ging schief. Der ferngesteu­erte Zündunterb­recher war nicht rechtzeiti­g zur Hand. Rösner fuhr wieder los. Der daraufhin erfolgte Rammstoß eines SEK-Mercedes misslang, erwischte den BMW nur an der Hinterachs­e. Es folgte ein heftiger Schusswech­sel, in dessen Verlauf Rösner Bischoff erschoss. Danach ergaben sich die Kriminelle­n – nach 54 Stunden. Dutzende Fotografen und Reporter stürmten umgehend Richtung Fluchtwage­n. Der anwesende Staatsanwa­lt antwortete auf die Frage eines Journalist­en: „Wer liegt unter der weißen Plane?“knapp: „Eine Geisel.“

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FOTO: DPA Die bewaffnete­n Geiselnehm­er Dieter Degowski (l) und Hans-Jürgen Rösner während der Geiselnahm­e in einem in Bremen gekaperten Linienbus.

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