„20.000 Lehrstellen bleiben unbesetzt“
Der Handwerkspräsident über die Trumpisierung der Politik, die Meisterpflicht und den Nachwuchsmangel.
BERLIN Schon mit 21 Jahren übernahm Hans Peter Wollseifer den väterlichen Malerbetrieb in Hürth. Er expandierte rasch, aus drei wurden 100 Mitarbeiter. Später wandte er sich als Unternehmer der Immobilienund Projektentwicklung zu. Herr Wollseifer, die Währungskrise in der Türkei zeigt uns, wie schnell es in einem Land abwärts gehen kann. Macht Ihnen die aktuelle Entwicklung Sorgen? Wollseifer Die USA machen ja nicht nur Druck auf die Türkei, sondern auch auf die EU, Iran, Russland, China, Nordkorea und andere Länder. Das trägt nicht gerade zur Stabilität des Welthandels, der Weltwirtschaft und der Weltlage insgesamt bei. Das macht mir schon große Sorgen. Gegenwärtig sehen wir vielerorts keine Politik des Miteinanders mehr, wie wir sie kannten, sondern vor allem eine des Gegeneinanders. Das ist der falsche Weg, und doch müssen wir uns viel besser wappnen. Eigentlich sollte es darum gehen, Handelsschranken abzubauen und gemeinsam Handel zu betreiben. Aber so wie es aussieht, müssen wir uns wohl auf härtere Auseinandersetzungen nicht nur mit den USA und auf insgesamt härtere Zeiten in der Zukunft einstellen. Noch ist die deutsche Wirtschaft in einer sehr guten Verfassung. Deshalb sind die Auswirkungen dieser globalpolitischen Entwicklungen auf uns zum Glück noch begrenzt. Wegen der vollen Auftragsbücher sind Handwerker knapp geworden. Wie lange muss man warten? Wollseifer In allen Bau- und Ausbaugewerken müssen Kunden momentan bis zu zwölf Wochen warten, bis ein Handwerker kommt. Wir suchen händeringend Fachkräfte, in der nächsten Zeit werden wir die aber kaum bekommen, weil zu wenige in den vergangenen Jahren eine berufspraktische Ausbildung gemacht haben, stattdessen lieber an die Uni gegangen sind. Die Folgen spüren wir jetzt. Dabei bietet das Handwerk überproportional Ausbildungsplätze an. Und obwohl es gelungen ist, die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge von Januar bis Juli 2018 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um mehr als vier Prozent zu steigern, gibt es derzeit immer noch rund 30.000 offene Ausbildungsplätze. Jugendliche, die noch auf der Suche sind, kann ich nur ermuntern: Schaut Euch im Handwerk um, da ist bestimmt etwas für Euch dabei. In eine Ausbildung könnt Ihr auch jetzt noch immer starten. Zum Stichtag 30. September werden aber – trotz unserer Bemühungen und unseres Werbens – voraussichtlich um die 20.000 Plätze unbesetzt sein. Wegen der Rekordbeschäftigung ist die Kasse der Bundesagentur für Arbeit gut gefüllt. Wie stark muss der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung nach Meinung des Handwerks 2019 sinken? Wollseifer Das, was möglich ist, sollte auch wirklich an Entlastung bei den Arbeitnehmern und Arbeitgebern ankommen. Da ist mit Sicherheit mehr möglich, als die jetzt vereinbarte Senkung um 0,3 Prozentpunkte. Die Höhe der Beitragssenkung von Qualifizierungsmaßnahmen abhängig zu machen, halte ich für nicht vermittelbar. Um 0,5 Prozentpunkte sollte der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung mindestens gesenkt werden. Und das ohne Wenn und Aber. Es ist nun mal kein Geld, über das die Politik frei verfügen kann. Es ist das Beitragsgeld der Arbeitnehmer und der Betriebe, das in Nürnberg nur verwaltet wird. Warum soll die vor mehr als einem Jahrzehnt abgeschaffte Meisterpflicht in vielen Gewerken wieder eingeführt werden? Wollseifer Wir halten es für richtig, Fehler wieder zu korrigieren, die die Abschaffung der Meisterpflicht 2004 für mehr als 50 Gewerke zur Folge hatte. Die Reform hat dazu beigetragen, dass heute zehntausende nicht ausreichend qualifizierte Solo-Selbstständige als Handwerker unterwegs sind. Da erleben wir vielfach einen Qualitätsverfall, der dem Handwerk insgesamt einen Imageschaden beschert. Viele Solo-Selbstständige sorgen auch zu wenig oder gar nicht vor, haben sich teils komplett aus den Sozialversicherungssystemen verabschiedet. Sie sind nicht für das Alter abgesichert und auch nicht bei Krankheit oder Unfällen. Am Ende ist es dann wieder die Allgemeinheit, die sie finanziell auffangen muss. Steigt die Zahl der Solo-Selbstständigen auch wegen der Migration aus anderen EU-Staaten? Wollseifer Die EU-Dienstleistungsfreiheit hat den Wettbewerb bei uns verschärft. Das ist wünschenswert, solange der Wettbewerb fair bleibt. Aber wer keine Sozialversicherungsabgaben leistet, der kann natürlich ganz andere Preise kalkulieren und anbieten als Betriebe, die diesen Pflichten nachkommen. Einige Handwerkskammern berichten mir, dass Arbeiter aus Osteuropa oft in Bussen gemeinsam ankommen, sich dann einzeln als Solo-Selbstständige bei den Kammern anmelden und danach auf großen Baustellen wieder gemeinsam in Kolonnen arbeiten. Dieser Missbrauch der Dienstleistungsfreiheit muss unterbunden werden.