Rheinische Post Opladen

Ein Hallelujah für den Soul

Aretha Franklin, die „Queen of Soul“, ist nach langer Krankheit im Alter von 76 Jahren gestorben. Die 1942 in Memphis geborene Sängerin war mit Titeln wie „Think“, „Respect“, „Chain of Fools“und „I Say a Little Prayer“berühmt geworden.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DETROIT Alle kamen und wärmten ihr Krankenzim­mer in Detroit mit unvergessl­ichen Erinnerung­en. Sie sollte wissen und spüren, dass die Familie der Musik ihr beistand und sie begleitete. So eilte beispielsw­eise Stevie Wonder herbei, der Bruder im Geiste des Soul, und hielt ihre Hand. Auch Jesse Jackson kam, der große schwarze Bürgerrech­tler. In Washington betete eine Mahnwache für sie, Gospelsäng­er stimmten Hymnen an. Wer an sie in diesen letzten Tagen ihres Lebens dachte, in der Nähe mit ihr sprach oder in

Ihr Vater war Prediger, und in seiner Kirche lernte sie, Gospel zu singen

der Ferne für sie sang, tat es aus Inbrunst und aus Hochachtun­g. Sie war nicht allein, sie fühlte sich geliebt – und so konnte Aretha Franklin gestern nach ihrem langen, tapfer geführten, verzehrend­en Kampf gegen den Krebs ihrer Bauchspeic­heldrüse still und ergeben, doch getröstet Lebewohl sagen. Sie wurde 76 Jahre alt.

Die Vereinigte­n Staaten der Welt haben gestern eine einzigarti­ge Künstlerin verloren, die jede Achtelnote und jede Silbe ihrer Musik mit einer Bedingungs­losigkeit interpreti­erte, die ungewöhnli­ch war. Die lächelnd-überlegene, intellektu­ell gefrorene Distanz mancher Künstler zu ihrer Materie war ihre Sache nicht. So viel hatte sie erlebt, und dieses Leben mochte sie nicht aus ihren Tönen tilgen. In ihr schienen zugleich alle Emotionen zusammenzu­fließen, die dieses zersplitte­rte Land mit seinen Rassen- und Geschlecht­erkonflikt­en aufwühlten. Sie sammelte dieses Leid, aber sie begann nicht zu wüten, sondern zu predigen – mit Musik.

Das hatte die 1942 in Memphis geborene Künstlerin von ihrem Vater Clarence LaVaughn Franklin, einem weithin bekannten Baptistenp­rediger. Dessen Predigten waren Sprache und Musik in einem und vor allem landesweit bekannt. Bisweilen halb gesungen, halb gesprochen, verkauften sie sich auch auf Platte gut und wurden gern im Radio ausgestrah­lt. „Fast alles, was ich stimmlich gelernt habe, kommt von ihm. Er gab mir den Sinn fürs Timing – und Timing ist für alles wichtig“, sagte sie einmal.

Die Kirche also als Nährboden, das war das Markenzeic­hen vieler Soul-Karrieren, doch bei Aretha Franklin fand alles zusammen, als sei sie die ideale Adressatin: Gospel, Pop, Jazz, Blues, politische Theorie und Praxis. Nie war sie eine esoterisch­e Balladensä­ngerin, deren Publikum das Heile und Brave vorgegauke­lt werden sollte. Sie liebte es knallhart. Und wer bei den Franklins zu Besuch war, befeuerte ihre Idee, Musik und Botschaft zu verschweiß­en. Martin Luther King oder Ray Charles waren sozusagen perfekte Paten und gaben Auftrieb, in jeder Hinsicht. Von beiden lernte sie, welche Dimension ein Hallelujah wirklich hat.

Zunächst sang Aretha mit ihren Schwestern im Chor der väterliche­n „New Bethel Baptist Church“. 1956 erschien ihre erste LP, ein Gospelalbu­m. Mit 18 Jahren begann sie, auch Popmusik aufzunehme­n. Den Grundstein ihrer großen Bekannthei­t legte Franklin 1967 mit „I Never Loved A Man The Way I Loved You“, jener Song, mit dem sie später Barack Obama zu Tränen rühren sollte. Mit „Respect“wurde sie Ende der 60er Jahre zu einer Ikone der schwarzen Musik in den USA. 1967 hatte sie den Song taufrisch von Otis Redding gecovert und dabei drastisch verändert.

Jetzt war der Text noch drängender, unmittelba­rer. Es geht um ein brisantes Thema wie Sozialhilf­e für Frauen, um weiblichen Verzicht – und um den Respekt, den sie erwarten darf. Das Grandiose ist, dass Franklins Version ausgerechn­et in C-Dur steht, der „weißen Tonart“. Wer Noten lesen konnte, wusste, welche subtile Spannung diese Tonart barg. Franklins Coverversi­on war es, die das Original berühmt machte. Sie sang es wie jeden ihrer Songs: euphorisch, mahnend, realistisc­h. Ihre Interpreta­tion wurde zu einer Hymne der afroamerik­anischen Bevölkerun­g und selbstvers­tändlich der Frauenbewe­gung.

Aretha Franklin führte ein bewegtes Leben, wie auch sonst, wenn man alles aus Überzeugun­g und Leidenscha­ft tut. Als junges Mädchen hatte sie den Tod der Mutter verkraften müssen. Mit 15 hatte sie selbst bereits zweimal entbunden. Zwei weitere Kinder, zwei Ehen, diverse Liebschaft­en und der Alkohol kamen dazu. An ihren ärgsten Tagen war es ein Kreislauf aus Hemmungslo­sigkeit und Betäubung. Aber wenn sie sang, dann war sie frei, dann brach sich eine zutiefst expressive Stimme Bahn, der jeder gebannt lauschte – auch Papst Franziskus, als er 2015 in Philadelph­ia aus ihrer Kehle „Amazing Grace“hörte. Wie so oft sang sie den Song so, wie er wirklich gemeint war: als Danksagung nach göttlicher Errettung aus höchster (See-)Not.

Wer je auf den Meeren des Lebens in Gefahr gerät, sollte tatsächlic­h Franklins Version von „Amazing Grace“hören. In diesem Moment hat er eine Seele an seiner Seite und im Ohr, die ihn versteht.

 ?? FOTO: DPA ?? Aretha Franklin, US-amerikanis­che Soul-Sängerin, Songwriter­in und Pianistin, trat am 5. September 2011 bei einer Veranstalt­ung im Rahmen des Labour Days auf.
FOTO: DPA Aretha Franklin, US-amerikanis­che Soul-Sängerin, Songwriter­in und Pianistin, trat am 5. September 2011 bei einer Veranstalt­ung im Rahmen des Labour Days auf.

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