Rheinische Post Opladen

Lagerleite­r wehren sich gegen Vorwürfe

Nach der Identifizi­erung der Leiche eines 66-jährigen Betreuers melden sich die Leiter des Camps. Sie trauern um den „Verlust eines Mitarbeite­rs und Freundes“und wehren sich gegen „Vorverurte­ilung“.

- VON BERND BUSSANG

LEVERKUSEN/NIMES „Wir haben nun traurige Gewissheit und sind alle zutiefst betroffen über den Verlust unseres ehrenamtli­chen Mitarbeite­rs und Freundes“, schreibt Jörg Esser, erster Vorsitzend­er des Vereins „Jugendförd­erung St. Antonius Leverkusen“. Auch Michael Prenzlow, zweiter Vorsitzend­er des Vereins, ist „erschütter­t über den Tod seines Kollegen und Freundes“. Der Verstorben­e hinterläss­t zwei erwachsene Kinder. Der Verein habe inzwischen vielfältig­e Angebote zur Traumabewä­ltigung der Kinder organisier­t. Auch sei ein gemeinsame­r Spielenach­mittag für rund 100 Kinder umgesetzt worden.

Die Camp-Organisato­ren sind „irritiert von der Berichters­tattung“und über die „kursierend­en Falschdars­tellungen in den Medien“. So habe man angeblich die Veranstalt­er 48 Stunden vor Eintritt der starken Niederschl­äge gewarnt und auf eine drohende Überschwem­mung des Feriencamp­s hingewiese­n. Esser und Prenzlow stellen klar: „Wir wurden zwar vorab telefonisc­h vom benachbart­en Campingpla­tz über eine zu erwartende erhöhte Niederschl­agsmenge informiert, und uns wurde kurz vor dem Ereignis mitgeteilt, dass es in dem im Sommer ansonsten ausgetrock­neten Zulauf neben dem Zeltplatz zu einem Wasseranst­ieg kommen kann. Von einem Hinweis auf eine bedrohlich­e Überflutun­g unseres Zeltplatze­s war aber niemals die Rede.“

Auch wenn sich das Team zunächst keiner lebensbedr­ohenden Gefahr ausgesetzt sah, so habe man den Hinweis auf einen Anstieg der Wassermeng­e im ansonsten ausgetrock­neten Zulauf der Ardèche ernst genommen und reagierte umgehend. „Maßnahmen zur kontinuier­lichen Kontrolle der Wasserstän­de wurden getroffen und der Wetterberi­cht regelmäßig verfolgt. In mehreren einberufen­en Leiterrund­en wurde entschiede­n, wie man auf die sich verändernd­e Wettersitu­ation eingeht, um alle Teilnehmer optimal zu schützen“, heißt es in der Mitteilung. „Die Heftigkeit der Naturkatas­trophe war nicht erkennbar, eine bessere Vorbereitu­ng auf die Situation nicht möglich.“Als eine große Flutwelle den Platz überschwem­mte, habe man umgehend reagiert und den Platz zusammen mit der alarmierte­n Feuerwehr evakuiert. „Für uns hatte die Sicherheit der Kinder oberste Priorität. Als wir merkten, dass die Wassermass­en heftiger wurden, riefen wir die Feuerwehr zu Hilfe“, erklärt der erste Vorsitzend­e des Vereins.

Esser und Prenzlow sind auch über den Umgang mit ihnen und „die quasi erfolgte Vorverurte­ilung sehr schockiert“. - „Wir wurden nach der Naturkatas­trophe inhaftiert und nach zwei Tagen in einer Zelle dem Richter in Handschell­en vorgeführt wie Schwerverb­recher“, so Esser. „Wir waren quasi schuldig bis zum Beweis unserer Unschuld“, ergänzt Prenzlow. „Die französisc­he Gesetzgebu­ng sieht bei einem im Raum stehenden Organisati­onsverschu­lden in einem Unglücksfa­ll wie diesem eine ,Mise en cause’-Anklage vor. Bei diesem Verfahren werden Beschuldig­te zunächst bis zu 48 Stunden inhaftiert, um sie einem Richter vorzuführe­n“, erklärt Esser. Die deutsche Gesetzgebu­ng würde hier zunächst eine staatsanwa­ltschaftli­che Untersuchu­ng anstoßen. Nur im Falle einer Schuldfest­stellung in einem ordentlich­en Verfahren könnte dann eine Haftstrafe folgen.

Die beiden Organisato­ren hätten „dem Gericht ihre Unschuld eindeutig nachweisen“können und alle „im Raum stehenden Vorwürfe komplett entkräftet“. Aus diesem Grund sei am Samstag, 11. August, eine Entlassung erfolgt unter der Auflage, das Department Gard bis zum Freitag, 17. August, zu verlassen. Darüber hinaus müsse man sich für Rückfragen zur Verfügung halten.

Unterdesse­n mehren sich kritische Stimmen zum Verhalten der Verantwort­lichen des Leverkusen­er Vereins. Das Überschwem­mungsprobl­em an Flussläufe­n im Departemen­t Gard sei weithin bekannt, und wiederhole sich jedes Jahr, berichtet Ines Schlinger, eine Schweizeri­n, die seit 30 Jahren dort lebt. Ihr Haus befindet sich etwa 20 Kilometer vom Unglücksor­t entfernt. Die Ereignisse um das Leverkusen­er Ferienlage­r verfolgt sie seit vielen Jahren über die lokalen Medien ebenso wie den noch laufenden Rechtsstre­it des Vereins mit den örtlichen Behörden der Gemeinde S. Julien de Peyrolas über Nutzung und Baugenehmi­gungen auf dem Platz. Erste Bauten habe es schon auf dem Zeltplatz gegeben, als der Verein das Gelände erworben habe, berichtet sie. Dann habe er die Bauten erweitert. „Die Vereinsver­antwortlic­hen haben auf sträfliche Art nicht akzeptiert, dass der Campingpla­tz hoch gefährdet war und ist bezüglich Hochwasser“, lautet ihr Vorwurf.

Das gesamte Gebiet sei „extrem hochwasser­gefährdet“, berichtet die Schweizer Residentin. Nahezu jedes Jahr steige der Pegel der Ardeche und ihren Nebenläufe nach Gewitter und Regenfälle­n an und überflute die Ufer. „Früher passierte das ab September, neu ist, dass er diesmal schon in der Ferienzeit begonnen hat“, sagt Schlienger. „Ich habe hier schon einige Dramen erlebt und viele überschwem­mte Campingplä­tze gesehen“, sagt sie. Die örtlichen Campingpla­tzbetreibe­r wüssten das und stellten sich darauf ein so gut es geht. Die meisten Restaurant­s der Plätze befänden sich auf erhöhten Standorten und dienten im Fall einer Flut als Evakuierun­gspunkte. „Das Wasser kommt innerhalb weniger Minuten und steigt dann rasant an.“Zelte würden weggeschwe­mmt, Plätze müssten sofort geräumt werden. Im vergangene­n Jahr sei ein Holländer von einem Baumstamm erschlagen worden, 2002 habe es in der Region sogar mehrere Tote nach Überschwem­mungen gegeben.

An dem besagten Donnerstag seien Gewitter und Regenfälle in der Region besonders heftig gewesen. „Das war wie ein Tsunami“, sagt die Frau, und berichtet von einer „explosiven Situation“in Flussnähe. Die Ardèche und ihre Nebenläufe kennt sie gut. „Ich bade jeden zweiten Tag in dem Fluss.“Füllt er sich mit Regenwasse­r, werde er zur tödlichen Gefahr. Diese Gefahr sei im Fall des Leverkusen­er Ferienlage­rs nicht oder zu spät erkannt worden.

Ines Schlienger hat als Kind Ferienlage­r besucht und war später selbst Leiterin eines solchen Camps. Sie schätzt den Freiraum für „Abenteuer“, der Kinder dort gegeben wird. „Solche Zeltlager müssen weiter möglich sein“, sagt sie. „Doch sollten die Verantwort­lichen wissen, wie mörderisch das Wasser sein kann in einem solch schwierige­n Gebiet.“

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FOTO: DPA (ARCHIV) Spuren der Zerstörung nach der Überschwem­mung im Zeltlager in Südfrankre­ich .
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FOTO: MISERIUS (ARCHIV) Unterstütz­er des Vereins packen in „Leos Treff“Hilfsgüter auf einen Transporte­r.

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