Das Ende der Unbeschwertheit
Das Werk, das der junge Pfarrer Leo Verhülsdonk vor 61 Jahren in der Gemeinde von St. Antonius geschaffen hat, ist äußerst verdienstvoll: Junge Menschen, damals noch von den mageren Jahren der Nachkriegszeit geprägt, sollten Gelegenheit erhalten, mit Gleichaltrigen Abstand zu gewinnen vom Alltagsgrau. Kinder und Jugendliche, deren Eltern oft wenig hatten, sollten an fremden Küsten und Stränden sich selbst erfahren und organisierte Abenteuer erleben. Ein Erfolgsmodell, wie sich bald schon zeigen sollte. Tausende Leverkusener Kinder machten diese Erfahrung im Laufe der vielen Jahre, und sie gaben ihre Eindrücke vielfach an ihre Kinder weiter, die „das große Abenteuer“dann selbst ausprobieren wollten.
Der heilige Antonius von Padua, den nicht nur Bäcker, Schweinehirten und Bergleute, sondern auch Reisende und Sozialarbeiter als ihren Schutzpatron betrachten, hätte seine Freude an diesem Projekt gehabt und ihm den Segen gegeben. Doch spätestens in diesem Sommer hat den Verein, der inzwischen unabhängig von der Kirchengemeinde arbeitet, das Glück verlassen. Das „große Abenteuer“, wenn es wirklich eines sein soll, hat einen Nachteil: Es ist unkalkulierbar.
Die tragischen Vorfälle in dem Zeltlager mit Leverkusener Kindern in Südfrankreich werfen weiter viele Fragen auf. Die Schuldfrage müssen Staatsanwälte klären. Sorglose Ferien im „Abenteuercamp“erscheinen nicht mehr möglich.
Die Vorfälle bei der Überschwemmungskatastrophe auf dem Campingplatz an der Ardèche haben einem Menschen das Leben gekostet und hätten noch weit mehr Schaden anrichten können. Ein Junge berichtet, wie ihm die Flut die Shorts auszieht, ihm nichts lässt als seine Unterhose, wie sie ihn unter Wasser drückt für Sekunden, die scheinbar nicht enden wollen. Wie er sich zuletzt noch an einem Baumstamm festhalten und ins seichtere Wasser retten kann.
Wer nicht dort war, ist mit wohlfeilen Urteilen schnell bei der Hand. Hinterher ist man immer schlauer. Doch verdichten sich die Hinweise vieler, die dabei waren zu einem höchst widersprüchlichen Bild: Während die Vereinsvorsitzenden und Lagerleiter betonen, vorbeugend und besonnen gehandelt und alles zum Schutz der Kinder getan zu haben, berichten Teilnehmer von „chaotischen Zuständen“und einer offenbar längeren und ungeordneten Evakuierung. Die Verantwortlichen, die noch in Frankreich weilen, sprechen hingegen von „Vorverurteilungen“und weisen jede Schuld von sich. In einem haben sie Recht: Solange sie nicht von einem französischen Gericht verurteilt sind, muss selbstverständlich auch für sie die Unschuldsvermutung gelten. Nun ist die französische Justiz gefragt, die Abläufe und somit die Schuldfrage zu klären. Das kann dauern. Was aus dem Zeltlager wird, ist offen. Es ist kaum vorstellbar, dass dort jemals wieder Kinder unbeschwert ihre Ferien verbringen können.
Bernd Bussang