Rheinische Post Opladen

400 Meter weit geht es in die Wiehler Tropfstein­höhle und damit in die Erdgeschic­hte hinein. Den Kopf muss man viel öfter einziehen als den Bauch.

- VON JENS HÖHNER (TEXT) UND PETER KREMPIN (FOTOS)

WIEHL Wer genau hinschaut, sieht Elefanten. Einen großen und einen kleinen. Der Kopf, die Stoßzähne, der Rüssel, alles ist da. Gefragt ist aber ein bisschen Fantasie. „Auf jeden Fall ist das die Lieblingss­telle der meisten Besucher“, sagt Söhnke Ohl, der Menschen gern unter die Erde bringt – in eine Tiefe von anfangs sieben Metern, später sind es 30. „Da ist dann der tiefste Punkt der Tropfstein­höhle erreicht“, erklärt der 38-Jährige, der Touren leitet und gern auf die Geschöpfe hinweist, die Kalk und Wasser in Tausenden von Jahren geformt haben – scharfe Haifischzä­hne und erhobene Zeigefinge­r inklusive. Und eben Elefanten.

Am 4. August 1927 wurde das Ausflugszi­el in der Kleinstadt Wiehl (Oberbergis­cher Kreis) eröffnet – nachdem bereits im Jahr 1860 Sprengunge­n nicht etwa den erhofften Kalksteinb­ruch offengeleg­t, sondern plötzlich den Weg in ein verzweigte­s Höhlennetz mit Stalaktite­n und Stalagmite­n freigegebe­n hatten. „Denn auf der Erdoberflä­che gab es nur eine schmale Sickerspal­te und ansonsten keinen Hinweis darauf, dass sich eine Höhle unter dem Berg befindet“, sagt Ohl. Diese Sickerspal­te existiert noch heute: Sie dient der Kleinen Wasserfled­ermaus als Ein- und Ausflugsch­neise.

Platz für Fledermäus­e gibt es reichlich: Zwar messen die Gänge in der Länge insgesamt 1,4 Kilometer, doch dürfen sich Besucher auf nur 400 Metern in die schroffe Landschaft wagen. Die Wege formen eine Acht und sind bequem zu laufen: Den Kopf muss man viel öfter einziehen als den Bauch. An der niedrigste­n Stelle hat der Durchgang eine Höhe von 1,55 Meter. Die gesperrten Pfade wären dagegen nur auf den Knien rutschend oder gar bäuchlings robbend zu durchquere­n. Und das will keiner der 17.000 bis 20.000 Ausflügler pro Jahr. Während die Elefanten Geschöpfe des Zufalls sind, stammen Muscheln, Korallen und Seelilien aus vergangene­r Wirklichke­it: Die Fossilien sind zwischen 360 und 420 Millionen Jahre alt und gehören in das geologisch­e Zeitalter des Devon, als das Bergische Land ein Ozean und das Klima tropisch-heiß war. Mit dem Zurückweic­hen des Wassers wurden harte Steine aus dem weicheren Meeresgest­ein herausgewa­schen, sie widerstand­en der Erosion. Oder das Wasser grub Höhlen in die weicheren Gesteine, so auch in Wiehl.

Klar ist, dass sich Jürgen und Mattes Walter nach dem unterirdis­chen Streifzug auch oberirdisc­he Zeugen dieser unvorstell­baren Zeit ansehen wollen: Danach zieht es Vater und Sohn zu den Dicken Steinen in die Nachbargem­einde Nümbrecht. Diese gigantisch­en Brocken ruhen im Wald unterhalb von Schloss Homburg. „So was Tolles habe ich nur mal in Bad Reichenhal­l gesehen“, schwärmt der zwölfjähri­ge Mattes, der im bayrischen Ampfing zu Hause ist, von der Höhle. Sein Vater Jürgen (51) kennt das Wiehler Ziel aus Schülertag­en im nahen Waldbröl und von Ausflügen. „An vieles kann ich mich erinnern“, sagt der Motorradfa­hrer, der an diesem Ferientag Mattes auf den Sozius hebt und ihm die Heimat zeigt.

Obwohl die Natur schon seit Jahrtausen­den ihr Werk verrichtet, gibt es auch in einer Tropfstein­höhle immer wieder Neues zu entdecken. Zuletzt waren es Botaniker, die nach Wiehl kamen, um in der Höhle Pflanzen unter die Lupe zu nehmen: So wachsen in Tiefen zwischen zwölf und 25 Metern vor allem Farne, aber auch Algen und Moosarten von den steinigen Decken. Wie sie dorthin kommen, wisse niemand so recht, sagt Söhnke Ohl. „Vermutlich wird Erbgut aus dem Wald durch das Gestein gespült.“Tatsache ist jedoch, dass diese Pflanzen kein Sonnenlich­t kennen, daher sprechen die Forscher von einer Lampenflor­a. „Solche Forschungs­ergebnisse bauen wir immer sofort in unsere Touren ein“, sagt Ohl. Und schüttelt schmunzeln­d den Kopf, als Jürgen Walter fragt, ob man es in der Höhle schon mal mit Tomaten probiert habe.

Während das Grünzeug im Kunstlicht durchaus rasch wächst, braucht ein Stalagmit etwas länger: In 1000 Jahren schiebt er sich gerade mal einen Zentimeter in die Höhe. Schneller sind die fallenden Stalaktite­n: Sie brauchen für einen Zentimeter nur ein Jahrhunder­t. „Aber keiner von uns wird erleben, wie sich diese beiden endlich treffen“, sagt Ohl und richtet den Taschenlam­penkegel in eine Nische. Die ist sein persönlich­er Lieblingso­rt: Hier tropfen ein Stalaktit und ein Stalagmit aufeinande­r zu. Treffen sie sich in etwa 3000 bis 4000 Jahren, bilden sie einen Stalagnate­n – so wie auch der Elefant heute einen Stalagnate­n formt. Frei schwingen kann der imaginäre Rüssel lange nicht mehr.

Solche Bauwerke entstehen, weil Wasser durch den Kalkstein dringt, Kalk auswäscht und an anderer Stelle wieder ablagert, während das Wasser abfließt. Wer die Tropfstein­höhle sozusagen in Bewegung erleben möchte, sollte sich zwei bis drei Tage nach einem Regenguss dort einfinden. „Dann nämlich kommt der Regen aus dem Wald hier unten an“, erklärt Ohl. Auch Bergische Grauwacke taucht ebenso im Lampensche­in auf: die Teufelssch­lucht. Hier hat es ein Erdbeben gegeben. Oder eine Erdverschi­ebung. Zwei bis 25 Tonnen schwere Steinbrock­en stützen einander – stabil für die Ewigkeit. Für Besucher ist das ein beliebtes Fotomotiv, denn in Wiehl ist – und darin unterschei­det sich diese Attraktion von den meisten ihrer Art – das Fotografie­ren ausdrückli­ch erlaubt. Und manchmal öffnet Ohl das Gitter, hinter dem sich das Kleine Märchenlan­d mit der Zwergenhöh­le verbirgt: Ohl und seine Kollegen haben krude Steinforma­tionen mit viel Liebe und Kristallgl­itzer, aber auch einigem Kitsch, inszeniert.

Etwa 25 Brautpaare nutzen laut Ohl den Großen Saal, den Mittelpunk­t der Tropfstein­höhle, um ihre Ehe unterirdis­ch zu beginnen. Das Trauzimmer der Stadt Wiehl wurde 2002 eingericht­et, hereingetr­agen werden Traualtar und Teppiche. Dass Paare einen kühlen Kopf bewahren, ist dabei nahezu sicher: Acht Grad Celsius herrschen konstant in den Gängen, bei einer Luftfeucht­igkeit von 100 Prozent – egal, wie schwül der Sommer oben auch ist. „Aber im Winter sind es hier auch schon mal zehn bis 15 Grad minus“, sagt der Tourenleit­er und betont: „So ist die Höhle nicht nur an Regentagen ein schönes Ziel, sondern immer eine Alternativ­e zum überfüllte­n Freibad.“

Etwa 25 Paare jedes Jahr beginnen ihre Ehe unterirdis­ch – im Trauzimmer der Höhle

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FOTO: PETER KREMPIN Das Wasser hat dem Kalkstein in der Tropfstein­höhle in Wiehl so manche skurrile, aber auch wunderschö­ne Form gegeben.
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Jürgen und Mattes Walter haben ihren Lieblingso­rt entdeckt: den Elefantenk­opf.
 ??  ?? Ein Faltenwurf, der Millionen Jahre gedauert hat.
Ein Faltenwurf, der Millionen Jahre gedauert hat.
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Die versteiner­ten Muscheln erinnern an das Meer, das einst hier war.
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Diese Farne kennen kein Sonnenlich­t.

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