Scheinriese Deutsche Bank
Die Deutsche Bank war einst das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. In den Vorstandsetagen der Top-Konzerne lief wenig ohne den Bankenprimus. Seine Macht bezog das Geldhaus aus dem Kreditgeschäft, der über Jahrzehnte wichtigsten Finanzierungsquelle der deutschen Wirtschaft. Denn die Aktienkultur war und ist in Deutschland wenig ausgeprägt. Wer allerdings Anteilsscheine der Deutschen Bank erwarb, der spekulierte auf die Ertragsstärke der deutschen Wirtschaft insgesamt – und meistens nicht schlecht. Das führte dazu, dass die riesige Bilanzsumme der Deutschen Bank sich im Börsenwert des Kreditinstituts wiederfand.
Seit der Wert der Deutschen Bank an der Börse so jäh abgestürzt ist, gilt dieser Grundsatz nicht mehr. Für die Topbanker war es eine Demütigung, dass der bayerische Internet-Finanzdienstleister Wirecard mit seinen 4500 Beschäftigten (die Deutsche Bank hat fast 100.000) und der Bilanzsumme von 4,5 Milliarden Euro die größte und bis dato wichtigsten deutsche Bank beim Börsenwert überrundete. Die Bilanzsumme der größten deutschen Bank liegt bei 1500 Milliarden Euro, dem über 300-Fachen von Wirecard.
Jüngst meinte deshalb ein Aufsichtsrat der Deutschen Bank, dass die Summe der Ausleihungen noch immer belege, dass der Branchenprimus in Wirklichkeit das wertvollere Kreditinstitut ist. Im Vorstand sieht man das offenbar anders, denn dort wird die Bilanzsumme seit Jahren verkürzt. Nur noch Darlehen, die eine bestimmte Mindestrendite mitbringen, schaffen es in die Bilanz.
Die Zukunft gehört dennoch wohl eher Wirecard. Dieser Finanzdienstleister bietet im Internet maßgeschneiderte Zahlungsund Kreditkartengeschäfte an, die dem neuen Medium angemessen sind. Der chinesische Internetriese Alibaba gehört zu seinen Kunden. Da an der Börse die künftigen Gewinne gehandelt werden, ist die Fantasie bei Wirecard gigantisch größer als bei der Deutschen Bank. Deshalb ist die höhere Börsenkapitalisierung gerechtfertigt, solange Wirecard die Erwartungen der Kapitalmärkte erfüllt. Die Bilanzsumme ist sekundär. Ihre Meinung? Schreiben Sie dem Autor unter: kolumne@rheinische-post.de