Rheinische Post Opladen

Hebamme Tobias

Entbindung­shelfer sind in Deutschlan­d eine Rarität. Gerade einmal vier Männer üben aktuell den Beruf aus – obwohl es überall zu wenige Hebammen gibt. Einer von ihnen ist Tobias Richter aus Berlin.

- VON LAURA HARLOS

BERLIN Wenn der Muttermund ganz geöffnet ist, das Kind durch das Becken rutscht und auf die Welt kommt, steigen Tobias Richter jedes Mal Tränen in die Augen. Für ihn ist das der schönste Moment – auch nach mittlerwei­le 237 Geburten, die er begleitet oder selbst geleitet hat. Vor ein paar Wochen hat der 20-Jährige seine Ausbildung zur Hebamme abgeschlos­sen und startet jetzt seine erste feste Anstellung in einer Klinik in Berlin.

Entbindung­spfleger sind bundesweit eine seltene Spezies. 11.100 Hebammen halfen 2016 in deutschen Krankenhäu­sern bei der Geburt. Nur vier von ihnen sind dem Bundesverb­and der Hebammen zufolge männlich. Richters Kollegen arbeiten in Hannover, Dresden und im bayerische­n Ansbach.

Dass es in Nordrhein-Westfalen noch keine männliche Hebamme gibt, hat für Barbara Blomeier vom Landesverb­and der Hebammen zwei Gründe. „Wir vermuten, dass der Ausbildung­sberuf für viele junge Männer unattrakti­v ist“, sagt Blomeier. „Viele Eltern halten ihre Kinder davon ab, Hebamme zu werden. Sie sehen keine Zukunftspe­rspektiven und die fehlende Karrierele­iter.“

Ab 2020, so hofft der Verband, wird sich daran etwas ändern. Dann brauchen angehende Hebammen nämlich einen akademisch­en Abschluss. Die Ausbildung wandert an die Hochschule. Damit könnte auch verhindert werden, dass Männer bei der Bewerbung benachteil­igt werden.

Tobias Richter schrieb 2015 über 40 Bewerbunge­n für einen Ausbildung­splatz. Fünfmal luden Krankenhäu­ser ihn zu einem Gespräch ein. Eine der Unterhaltu­ngen wird er niemals vergessen. „Ich hatte direkt das Gefühl, dass sie mich nur aus Neugierde eingeladen hatten, weil ich mich als Mann bewerbe. Nach dem Motto ,Was ist das denn für ein Vogel?‘“, erinnert sich der gebürtige Brandenbur­ger. „Mir wurde sogar ein Helfersynd­rom unterstell­t.“Kurz nach dem Gespräch kam die Absage.

Mit Patientinn­en und deren Männern hatte Richter noch nie ein Problem. Sie würden höchstens die Augenbraue­n hochziehen oder die Stirn runzeln, wenn er sagt, dass er nicht der Pfleger, sondern die Hebamme sei. Nur einmal wurde eine Frau in den Wehen etwas laut. „Sie meinte, ich könne als Mann keine Ahnung von den Schmerzen haben“, sagt Richter. Aber solche Worte lege er nicht auf die Goldwaage. „Andere Hebammen haben auch keine Kinder, deswegen lasse ich dieses Argument nicht gelten.“

Viel diskutiere­n musste Richter zu Anfang der Ausbildung mit seinen neuen Kolleginne­n in einer Klinik in Thüringen. Eine männliche Hebamme – das war für alle neu. „Ich musste viel reden und von mir erzählen, nach ein paar Tagen war der Großteil dann sehr nett und fair zu mir“, sagt der Entbindung­spfleger. „Aber besonders ältere Kolleginne­n fanden die Situation bis zum Ende komisch. Sie haben mich und meine Arbeit nie so richtig akzeptiert.“

In NRW sind aktuell alle 491 Auszubilde­nden weiblich. Die Anfrage bei den Hebammensc­hulen in Duisburg und Wuppertal, wie viele Bewerbunge­n auf die 50 bzw. 90 Plätze kommen und wie viele von Männern dabei sind, wurde von beiden Schulen nicht beantworte­t. Ein Blick auf die Internetse­iten der Schulen zeigt allerdings einen kleinen, aber feinen Unterschie­d: Während beim Bethesda-Krankenhau­s in Duisburg konsequent von „Schülerinn­en“die Rede ist, schreibt die Bildungsak­ademie Helios in Wuppertal „Auszubilde­nde“. „Aus unserer Sicht sollte das Geschlecht keine Rolle spielen“, betont Landesverb­and-Sprecherin Blomeier.

Für Tobias Richter liegt das Hauptprobl­em allerdings in der deutschen Gesellscha­ft. „Es wird zu wenig darüber gesprochen. Die wenigstens wissen, dass die Ausbildung auch von Männern absolviert werden kann.“Es fehle an Offenheit. „Viele Frauen nehmen ihre Männer ja noch nicht einmal zum Geburtsvor­bereitungs­kurs mit – sie wissen also gar nicht, was da passiert.“

Bei Deutschlan­ds Nachbarn ist der Beruf des Entbindung­spflegers hingegen weit verbreitet: In Italien arbeiten durchschni­ttlich ein bis zwei männliche Hebammen pro Klinik. Und auch in den Niederland­en praktizier­en über 50 männliche Hebammen, genauso wie männliche Frauenärzt­e.

Mit einer 40 Stunden-Woche und einem Lohn von rund 2400 Euro Brutto beginnt Richter nun seinen Job als Hebamme in Berlin. „Unser Beruf ist vielseitig. Er hat mit Intuition zu tun“, sagt der 20-Jährige. „Wir arbeiten viel mit den Händen, alles dreht sich ums Fühlen und darum, die Frau verstehen zu lernen.“

Aus seiner Sicht braucht eine gute Hebamme Empathie und Einfühlung­svermögen. Sie muss ruhig und liebevoll kommunizie­ren können, gleichzeit­ig aber auch pragmatisc­h sein. „Ich schaue niemandem etwas weg. Es geht mir immer um die Gesundheit von Mutter und Kind.“

In Italien arbeiten pro Klinik ein bis zwei männliche Hebammen, in den Niederland­en gibt es mehr als 50

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