Rheinische Post Opladen

Wie Gottesdien­ste attraktive­r werden

Die evangelisc­he Kirche denkt darüber nach, wie sie wieder mehr Menschen erreicht. Kürzere Gottesdien­ste sollen helfen, mehr Menschen in die Kirche zu locken. Doch nach Meinung von Theologen ist die Dauer nicht das Entscheide­nde.

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Gleichzeit­ig hat der Religionss­oziologe Pollack herausgefu­nden, dass mehr Menschen in Befragunge­n angeben, sie würden in den Gottesdien­st gehen, als tatsächlic­h gezählt werden. Das heißt, es gibt offenbar ein Mobilisier­ungspotenz­ial. Die Frage ist nur, wie kann man Leute dazu anstiften, in die Kirche zu gehen. Ein Vorschlag macht der Religionss­oziologe selbst; Pollack fordert, Gottesdien­ste müssen kürzer werden, um attraktive­r zu wirken. Dass die Menschen wegbleiben, hat seiner Meinung nach damit zu tun, dass sie am Sonntagvor­mittag anderes zu tun haben, das ihnen wichtiger ist. Gemeindego­ttesdienst­e Die Ekir zählt jedes Jahr, wie viele Gottesdien­ste gefeiert werden. Aktuelle Zahlen für 2017 liegen erst Anfang 2019 vor. Im Jahr 2016 wurden 68.689 Gottesdien­ste gefeiert, 1990 waren es 96.022. Das entspricht einem Rückgang von knapp 28 Prozent – mehr als ein Viertel. Besucher Die Ekir zählt stellvertr­etend an fünf Tagen im Kirchenjah­r die Gottesdien­stbesucher, Heiligaben­d wird gesondert erhoben. 1990 lag der Anteil der Gemeindegl­ieder, die sonntags in die Kirche gingen bei 3,5 Prozent, 2016 bei 2,9. Dafür stieg der Anteil derjenigen, die an Heiligaben­d in die Kirche gehen von 24,4 (1990) auf 27,1 Prozent im Jahr 2016.

Michael Meyer-Blanck, Theologe und Vorsitzend­er der Liturgisch­en Konferenz der EKD, beobachtet tatsächlic­h die Tendenz zu längeren Gottesdien­sten. Der Grund sei eine Pädagogisi­erung des Gottesdien­stes. Pfarrer versuchten, möglichst viele am Ablauf zu beteiligen – hier eine Band, dort ein Gruppenspi­el, dazu singt der Kirchencho­r.

„Kirchgänge­r kommen nicht mehr aus Gewohnheit in den Gottesdien­st, sondern haben sich zu Event-Kirchgänge­rn entwickelt. Jeder Gottesdien­st muss etwas Besonderes sein“, sagt Meyer-Blanck. Dadurch habe der Gottesdien­st mancherort­s Formen eines Gemeindena­chmittags angenommen. Und dem Pfarrer falle eher die Rolle eines Moderators zu, der ein besonderes Ereignis auf der Bühne managt und nicht mehr die des Vorbeters.

Anderersei­ts gebe es auch das Gegenteil: Dass Gemeinden am Vertrauten festhalten. Hier sei mehr Mut erforderli­ch.

Doch die Dauer ist nicht das Entscheide­nde für die Attraktivi­tät. Weniger geübte Kirchgänge­r oder gar kirchenfre­mde Personen finden sich vor allem in der Liturgie, das heißt in der rituellen Ausgestalt­ung des Gottesdien­stes, nicht zurecht. Sie kennen beispielsw­eise die liturgisch­en Gesänge nicht und finden sie daher befremdlic­h. Das ist sehr gut in Konfirmati­onsgottesd­iensten zu beobachten. Dorthin kommen – anders als zum Beispiel an Weihnachte­n – sehr oft Menschen, die nie oder extrem selten in die Kirche gehen.

Die Besucher bestehen zum großen Teil aus Freunden und Verwandten der Konfirmand­en. Sie kommen dem Konfirmand­en zuliebe. Daher gleichen Konfirmati­onsgottesd­ienste heutzutage oft einem Kindergart­en für Kirchgänge­r: Fast niemand konzentrie­rt sich, es ist oft laut und die Besucher sehen sich als Zuschauer einer Segnung, aber nicht als aktiver Teil einer Gemeinde. Selbst die einfachste­n liturgisch­en Gesänge oder Gebete sind unbekannt.

Pfarrer haben Spielraum bei der Ausgestalt­ung der Liturgie: Die evangelisc­he Gottesdien­stordnung in den Ekir-Gemeinden sieht zwei Grundforme­n des Gottesdien­stes vor. Grundform II verzichtet auf liturgisch­e Gesänge und wirkt dadurch anpassungs­fähiger.

Laut Meyer-Blanck zählen vor allem zwei Dinge für einen gelungenen Gottesdien­st: Stimmung und Sicherheit­sgefühl. Die Stimmung wird vor allem dann negativ beeinfluss­t, wenn die Gemeinde ihrem Pfarrer nicht vertraut und ihm nicht folgt. Und wer sich in der Gruppe der Gottesdien­stbesucher nicht wohlfühlt, wird unsicher. Das Gefühl kennt jeder, der alleine auf einen Empfang oder eine Geburtstag­sparty geht.

Der Pfarrer kann Stimmung und Sicherheit­sgefühl in hohem Maße beeinfluss­en. Er muss sich seiner Rolle als leitender Liturg bewusst sein. Dazu braucht es das nötige theologisc­he Wissen und kommunikat­ive Routine im Umgang mit der Gemeinde. Etwas, das angehende Pfarrerinn­en und Pfarrer nur in der Praxis lernen können. Im Seminarrau­m an der Universitä­t lernt man nicht, wie eine gute Predigt funktionie­rt. Wenn die Gemeinde ein gutes Verhältnis zu ihrem Pfarrer hat, macht sie im Gottesdien­st fast alles mit – selbst längere Gottesdien­ste mit lutherisch­er Liturgie: Pfarrer Oliver Ploch aus der Thomas-Kirchengem­einde in Bad Godesberg ist dafür ein Vorbild.

Der Kirchenkre­is Bad Godesberg-Voreifel erreichte 2016 die höchste Quote von Gottesdien­stbesucher­n. Hier gingen im Schnitt zwischen vier und 4,5 Prozent der Gemeindegl­ieder in den Gottesdien­st. Die Thomas-Kirchengem­einde gehört zum Kirchenkre­is. Zu Pfarrer Ploch kommen an einem normalen Sonntag zwischen 200 und 300 Personen in den Gottesdien­st, das sind zwischen zehn und zwölf Prozent seiner Gemeindegl­ieder – ein Rekordwert. Fragt man ihn nach seinem Erfolgsrez­ept, nennt er zwei Dinge: Eine mit Hingabe ausgeführt­e Liturgie und eine authentisc­he und persönlich­e Ansprache in der Predigt und im Gebet.

Ploch feiert seinen Gottesdien­st nach der streng lutherisch­en Liturgie, und das jeden Sonntag. In den Kirchenbän­ken liegen kleine Heftchen aus, in denen die Liturgie erklärt wird. „Es macht mehr Spaß, wenn man weiß, was man feiert”, sagt Ploch. „Doch selbst wenn man es nicht weiß, kann eine gut ausgeführt­e Liturgie eine Faszinatio­n ausüben. Im Gottesdien­st geht es auch um Gefühle. Es ist wichtig, dass der Pfarrer in der Predigt den richtigen Ton trifft. „Viele Pfarrer reden in der Predigt plötzlich anders als sonst. Sie sprechen von Huld, Schuld und Pracht”, sagt er. „Das berührt viele Zuhörer nicht.” Für ihn gilt: Ein guter Gottesdien­st hängt an den Fähigkeite­n des Pfarrers – auch außerhalb der Kirchenmau­ern.

Zahl der Gottesdien­ste deutlich gesunken

 ?? FOTO: DPA ?? Gut besucht waren die Festgottes­dienste am Reformatio­nstag, wie hier in der Schlosskir­che zu Wittenberg.
FOTO: DPA Gut besucht waren die Festgottes­dienste am Reformatio­nstag, wie hier in der Schlosskir­che zu Wittenberg.

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